An einen Zufall mag nur glauben, wer auch glaubt, dass die Erde eine Scheibe ist. In der hohen Schule der Diplomatie hingegen wird nichts dem Zufall überlassen, vielmehr greift ein Rädchen ins andere, bis sich alles fügt.
Am Freitag teilt die Bundesregierung der verblüfften Öffentlichkeit mit, dass man zwar einerseits hinter der Armenien-Resolution des Bundestags stehe, dass diese aber andererseits keine rechtliche Bindewirkung für die Regierung habe. Am Sonntag trifft sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande des G 20-Gipfels mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Am Montag spricht Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit seinem türkischen Amtskollegen. Und am Dienstag wird bekannt, dass das Verteidigungsministerium 58 Millionen Euro für Investitionen auf dem von der Nato genutzten Luftwaffenstützpunkt im türkischen Incirlik nahe der Grenze zu Syrien freigibt, wo 250 Soldatinnen und Soldaten sowie sechs deutsche Tornados stationiert sind.
Die Botschaft hinter all dem lautet: Nach Monaten der Eiszeit, der gegenseitigen Vorwürfe und der strikten Abgrenzung reden Berlin und Ankara wieder miteinander und sind dabei, den Scherbenhaufen zusammenzukehren. Die offizielle Klarstellung der Regierung, dass Bundestagsresolutionen und Regierungshandeln zwei getrennte Stiefel sind, die unmittelbar nichts miteinander zu tun haben, war das Signal, auf das Erdogan gewartet hat. Man kann es auch einen Kotau nennen. Oder schlicht Realpolitik.
Seitdem jedenfalls läuft es wie am Schnürchen. Die nächsten Schritte zeichnen sich bereits ab: Dass Ursula von der Leyen ausgerechnet jetzt die Mittel für den Ausbau von Incirlik freigibt, ist Indiz dafür, dass die Türkei in Kürze das nach dem Armenienbeschluss des Bundestags ausgesprochene Besuchsverbot für Abgeordnete auf der Nato-Basis aufhebt. Im Gegenzug wird Berlin die Drohung vom Tisch nehmen, das im Dezember auslaufende Mandat nicht zu verlängern, die Tornados aus der Türkei abzuziehen und stattdessen auf Zypern oder in Jordanien zu stationieren. Auch dieser Wink mit dem Zaunpfahl hat seine Wirkung nicht verfehlt.
Im Grunde sind das gute Nachrichten. Berlin wie Ankara wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind und sich einen Dauerkonflikt nicht leisten können. Ohne die Türkei ist die globale Migrationskrise nicht zu bewältigen. Europas Sicherheit hängt maßgeblich davon ab, dass die Türkei ihre Grenzen dicht hält. Zudem hat der Westen mit Argwohn beobachtet, wie sich Erdogan mit Putin ausgesöhnt und den Schulterschluss mit Moskau gesucht hat. Umgekehrt kann sich die Türkei angesichts der Konflikte in seiner Nachbarschaft eine außenpolitische Isolation nicht leisten, der Kampf gegen die Terrormilizen des IS ist eine Gemeinschaftsaufgabe, der islamistische Terrorismus bedroht auch die Türkei.
Fehlt nur noch der letzte Schritt der Annäherung. Seit dem 2. Juni, dem Tag, an dem der Bundestag die Armenien-Resolution beschloss, gibt es in Berlin keinen türkischen Botschafter und somit keinen direkten Ansprechpartner zwischen beiden Regierungen mehr. Doch das Ende der Funkstille ist in Sicht. Einen Nachfolger gibt es bereits, es ist nur noch eine Frage von Tagen, wann er in Berlin seine Arbeit aufnimmt. Es wäre der vorerst letzte Mosaikstein. Dann ist alles wieder gut.