Noch weiß niemand, wie Frankreich, wie Europa auf den schrecklichen Terroranschlag von Paris reagieren wird. Auch zwei Tage danach sind wir geschockt, fühlen uns ohnmächtig. Denn der Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ war auch ein Anschlag auf unsere Werte, auf Meinungsfreiheit und Zivilisation. Die Bilder des Schreckens werden sich in unser Gedächtnis einprägen, sie werden in unserem Kopf sein, wenn wir künftig über islamistischen Terror sprechen.
Doch bei aller Trauer und Betroffenheit erleben wir zwei Tage danach auch tröstliche Reaktionen. Auf der ganzen Welt ersetzen Menschen ihre Profilbilder im Internet mit dem Slogan „Je suis Charlie – ich bin Charlie“, um ihrer Solidarität und Betroffenheit Ausdruck zu geben. Zeitungen und Homepages schließen sich an. Bis auf wenige unrühmliche Ausnahmen, die das Attentat für ihre politischen Ziele instrumentalisieren wollten, verschwand für eine Moment das Gelaber und die Kleingeisterei aus dem politischen Diskurs. „Je suis Charlie“ steht für Trauer, Solidarität und Unbeugsamkeit, nicht für Hass, nicht für Ausgrenzung, sondern für die Stärke der Demokratie.
Der Anschlag in Paris zeigte auch deren verwundbare Seite. In dem Attentat manifestiert sich ein Weltbild, das keine Argumente, keinen Spott, keine Freiheit und keine Pluralität zulässt. Demokratie bedeutet das Gegenteil. Wenn jetzt die Welt ein wenig enger zusammenrückt, ist das genau das, was die Mörderbande von Paris nicht wollte. Doch der Anschlag wird Folgen haben. Wenn Angst und Unsicherheit wachsen, können sie in Ablehnung und Ausgrenzung umschlagen. Das haben wir vor dem Attentat sowohl in Frankreich, als auch in Deutschland spüren können.
Wie lange halten die Appelle, Islamismus nicht mit dem Islam an sich gleichzusetzen, Millionen von friedlich in Europa lebende Muslime nicht in einem Atemzug mit islamistischen Terroristen zu nennen? Nicht den Islam, sondern den Terrorismus als Feind zu identifizieren? Vor allem in Deutschland sollten wir uns erinnern, dass Muslime selbst zu Opfern des Terrors der rechtsextremen NSU wurden.
Doch Unsicherheit und Angst kann man nicht wegdiskutieren. Dazu braucht es Aufklärung, Vertrauen und Verständnis – und da sind auch die Muslime gefragt. Sie müssen eine Debatte zulassen, besser noch selbst anstoßen, die kritisch hinterfragt, welche Glaubensinhalte, welche Verkrustungen und welche Widersprüche ihrer Religion dazu führen, dass junge Leute „Allah ist groß“ rufen, während sie Karikaturisten niedermetzeln. Es gibt wachsende Reformbewegungen in der islamischen Welt, die allerdings in vielen islamischen Staaten unterdrückt und zensiert werden. Sie plädieren für eine strikte Trennung von Staat und Religion.
Die Koranauslegung der Extremisten reduziert den Islam auf einen Gesetzesislam, der nur verboten und erlaubt kennt. Es fehlt die Erkenntnis, das der Mensch in eine lebendige Beziehung zu Gott treten kann, die ihn dazu bringt aus Liebe moralisch und selbstlos zu handeln. Den reformerischen Stimmen des Islam sollten wir in der öffentlichen Debatte mehr Raum geben als den Parolen der Fanatiker. Ganz egal, ob wir selbst Christen oder Moslems sind. Dann erst haben die Mörder von Paris ihr Ziel nicht erreicht.
Je suis Charlie.