zurück
Leitartikel: Atomenergie rechnet sich nicht
Von Tilman Toepfer tilman.toepfer@mainpost.de
 |  aktualisiert: 28.03.2014 17:51 Uhr

Das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld (AKW) soll früher vom Netz. Betreiber E.ON hat die Stilllegungsanzeige verschickt. Stimmt die Bundesnetzagentur zu, liefert der Generator Ende Mai 2015 keinen Strom mehr. Die beiden Kühltürme werden nicht mehr dampfen, die Menschen in der Region können feiern. Wenn die Sirenen nach Mai 2015 eine Minute lang heulen – der Supergau dürfte nicht mehr möglich sein. Niemand muss dann Radio oder Fernseher einschalten, um zu erfahren, zu welcher Sammelstelle er aufbrechen soll. Niemand muss sich zur Ausgabestelle für Jodtabletten durchschlagen. Niemand muss befürchten, wegen eines außer Kontrolle geratenen Reaktors evakuiert zu werden. Wunderbar ist die Abschaltung, überraschend nicht.

Das Ende des Atomkraftwerks ist seit drei Jahren beschlossene Sache. Seit in Japan erst die Erde bebte, dann ein Tsunami die Küste überrollte und schließlich stündlich atomare Horrornachrichten aus der Anlage Fukushima Menschen weltweit in Wallung brachten, wurde selbst eingefleischten Atomkraftbefürwortern klar: Diese Art Energiegewinnung ist unverantwortlich.

Die ältesten und gefährlichsten Meiler mussten damals sofort vom Netz, für den in Grafenrheinfeld sollte es Ende 2015 soweit sein. Dass E.ON nun schneller abschalten will, hat auch mit der Brennelementesteuer zu tun. Durch vorzeitige Abschaltung kann man auf den Tausch der Brennelemente verzichten und rund 80 Millionen Euro allein an Steuern sparen.

Der schnelle Griff zum Off- beziehungsweise Aus-Schalter hat noch einen Grund – den entscheidenden. Der Atomenergie in Deutschland geht es schlecht, ausgesprochen miserabel. Die von Kraftwerksbetreibern und großen Teilen der Politik einst über den grünen Klee gelobte Kernkraft ist rein wirtschaftlich gesehen unrentabel. Das liegt am Boom der erneuerbaren Energien. Seit immer mehr Strom aus Sonne und Wind in die Netze und von dort zu den Verbrauchern fließt, lässt sich mit dem Atomstrom nicht mehr der Reibach früherer Jahre machen. Die Betreiber von Windrädern und Solarmodulen müssen nichts für die Brennstoffe bezahlen, das ist ihr Vorteil. Gegen diese Art von Wettbewerber kommt auch das billigste Atomkraftwerk nicht an.

Grafenrheinfeld noch früher vom Netz nehmen als nun beantragt? Das Schweinfurter Aktionsbündnis gegen Atomkraft, der Bund Naturschutz in Bayern und die Grünen im Bayerischen Landtag wollen sofort abschalten, und die Erfahrung spricht dafür, dass selbst in diesem Fall die Lichter nicht ausgehen. 2011 wurden acht Atommeiler abgeschaltet – es wurde nicht dunkel und kalt. Wie überhaupt das Gerede vom drohenden Blackout zusehends verstummte. Dieser Tage ist das Seehofer-Kabinett zu der Einsicht gelangt, dass Bayern den Strom aus Grafenrheinfeld ab dem nächsten Frühjahr nicht mehr braucht.

Verblüffend, dass Horst Seehofer (CSU) wenige Tage vorher noch gegenteiliger Auffassung war und vor Stromengpässen warnte. Wir wollen glauben, dass ihm ein Münchener Superministerium falsche Zahlen vorgelegt hatte. Andersfalls könnte man doch glatt meinen, Bayerns Ministerpräsident habe E.ON beim Poker um einen möglichen Steuerrabatt ein Ass zustecken wollen. Was unwirklich erscheint angesichts der Risiken eines nicht beherrschbaren Atomunfalls.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Atomenergie
Atomkraftwerk Grafenrheinfeld
Atomkraftwerke
BUND Naturschutz in Bayern
Bayerischer Landtag
Bundesnetzagentur
CSU
Eon AG
Evakuierungen
Fernsehgeräte
Horst Seehofer
Iodtabletten
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Du_di_ned_oo
    Natürlich gibt es auch einen Wettbewerb bei Photovoltaik und Windkraft.
    Die Käufer der Anlagen werden vergleichen und suchen welche Anlage zu einem möglichst niedrigen Preis möglichst viel Strom liefert.
    Sie beklagen weiterhin daß diese Anlagen "am Markt vorbei (!!!)" Strom einspeisen.
    Warum beklagen sie dies nicht auch bei Kernkraftwerken und Kohlekraftwerken?
    Auch diese Anlagen können nicht so schnell geregelt werden daß sie auf den aktuellen Bedarf reagieren können.

    Zudem gibt es bei PV-Anlagen eine ferngesteuerte Leistungsbegrenzung
    in der die Netzbetreiber die Einspeiseleistung der PV-Anlagen per Funksignal
    begrenzen können.
    Und auch bei Windkraftanlagen gibt es sowas:
    http://www.wind-energie.de/infocenter/technik/funktionsweise/leistungsbegrenzung-und-regelung

    Und nehmen sie doch endlich die Realität zur Kenntniss Kernenergie ist weltweit inzwischen unrentabel. Daher sinkt die Anzahl neu gebauter AKWs weltweit seit Jahren.
    Tilman Toepfer hat hier also völlig recht.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • ramazotti
    "Gegen diese Art der Wettbewerber kommt auch das billigste Atomkraftwerk nicht an."

    Die vorgenannten Windräder und die Photovoltaik befinden sich nicht im Wettbewerb,
    sondern speisen am Markt vorbei (!!!) dann ihren hoch subventionierten, mit 20 Jahre
    garantierter Einspeisevergütung und mit Vorrang in das Netz,wenn sie gerade verfügbar
    sind und nicht wenn sie gebraucht werden.
    Es ist nicht der Preis für den Brennstoff sondern die eigens eingeführte Steuer hierfür,
    die zu dieser Entscheidung geführt haben.
    Die Steuer fällt an,ab erstem Einsatz und ist unabhängig von der Dauer des "Gebrauchs".
    Es ist also ein Unterschied ob ein Brennelement nur 1 Jahr oder z.B. 4 Jahre im Einsatz ist.

    Die Aussage,dass der Störfall in Fukushima zu einer Einschätzung der Unverantwortlichkeit dieser Art der Energiegewinnung geführt habe,ist leider auch sehr
    subjektiv geprägt.
    Ein Blick über den engen Tellerrand dieses Artikels hätte auch bei diesem Aspekt zu
    weiteren Fakten geführt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten