Bayerns Abgeordnete stehen unter Beschuss, die Angehörigen bayerischer Abgeordneter unter Generalverdacht – und all jene Adabeis, die gestern noch mit guten Kontakten ins Maximilianeum prahlten, ducken sich heute, um nicht von Querschlägern getroffen zu werden. Während bayernweit Journalisten noch recherchieren, ob „ihr“ regionaler Abgeordneter auch Frau oder Tante einen netten Nebenjob vermittelt hat, holt in München Barbara Stamm zum Befreiungsschlag aus, veröffentlicht die im Eiltempo erstellte Liste von 79 Verwandtenbeschäftigern. Ein, zwei Tage wird diese Art der Familienförderung noch die Medien beschäftigen; dann aber werden noch aufregendere, noch aktuellere Affären Schlagzeilen machen – so wie das der Fall war bei der Plagiatsaffäre, der Vortragshonoraraffäre, der Dienstwagenaffäre . . .
Deshalb vorm Vergessen eine kleine Analyse: Was wird die Folge der Verwandtenbeschäftiger-Affäre sein? Was sollte die Folge sein?
Man muss kein Politikforscher sein, um vorhersagen zu können, dass die aktuelle Gehälteraffäre der Glaubwürdigkeit unserer Politiker nicht viel wird anhaben können. Warum nicht? Weil die Politikerkaste an sich das Vertrauen der Wähler schon lang verloren hat; darum! Insbesondere die CSU kann in Sachen Glaubwürdigkeit kaum tiefer sinken; sie wurde bei einer Umfrage von Infratest Dimap 2012 von Bundesbürgern als weniger glaubwürdig eingeschätzt als SPD, Grüne oder CSU. Dessen ungeachtet wird die CSU in Bayern bei der Landtagswahl wieder die meisten Stimmen kriegen – erstens von den Resignierten, die glauben, dass „die anderen“ auch nicht besser seien, zweitens von den Pragmatikern, die sagen: „Was soll die Hetzjagd? War doch legal!“ Und Ministerpräsident Seehofer tut gerade das Seine, um Stimmenverluste im September abzuwenden: Drängt jene, die es mit der legalen Familienbeschäftigung noch mehr übertrieben haben als andere, zum Rücktritt. Wirft damit ein paar besonders Angreifbare den Medien zum Fraß vor. Schickt mit Stewens und Stamm eine Doppelspitze integrer älterer Damen an die Affären-Aufklärungsfront und betont ansonsten den Willen zur Transparenz. Besser geht Krisenmanagement nicht – aber Seehofer hat ja auch Erfahrung!
Kommen wir von dem, was Folge ist, zu dem, was Folge sein sollte: zur verstärkten Kontrolle des Politikergebarens, zur verstärkten Kontrolle vor allem der Gesetze, die Bezüge, Rechte und Pflichten von Politikern regeln. Dass angesichts Dutzender Politiker, die Dienstwagen privat nutzen, luxuriöse Vortragshonorare abgreifen oder Verwandte mit steuerfinanzierten Jobs beglücken, mehr Kontrolle nötig ist, ist klar. Nicht klar allerdings ist, ob Journalisten, denen die Kontrollfunktion obliegt, sie auch in Zukunft noch in dem Maß leisten können, wie es nötig wäre: Laut dem am Freitag veröffentlichten Bericht von „Reportern ohne Grenzen“ verschlechtert sich in Deutschland gerade die Arbeitssituation derer, die die Politiker kontrollieren sollten: Die Zahl der eigenständig arbeitenden Zeitungen nimmt ab, während die Menge der von Unternehmen bezahlten Beiträge und Veröffentlichungen steigt.
Wäre man Zyniker, könnte man sagen: Das ist an dem Tag, an dem Seehofer früh die Selbstbedienerkrise managt und abends groß Bayern feiert, für Politiker doch eine wirklich gute Nachricht.