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Leitartikel:Altmaiers Industriestrategie führt in die Irre
Strategien sind bei Bundeswirtschaftsministern offenbar sehr beliebt.
Stefan Lange (51) ist neuer Leiter des Hauptstadtbüros unserer Zeitung. Zuvor arbeitete er als Teamleiter Politik im Berliner Büro von Dow Jones Newswires und dem Wall Street Journal. Lange ist seit 2001 in Berlin und hat dort unter anderem bei verschiedenen Nachrichtenagenturen gearbeitet. Davor war der gebürtige Friese zwölf Jahre lang als Volontär und Redakteur bei einer Tageszeitung in Jever beschäftigt.
Stefan Lange
 |  aktualisiert: 11.12.2019 21:36 Uhr

Strategien sind bei Bundeswirtschaftsministern offenbar sehr beliebt. Am Dienstag stellte der amtierende Ressortchef Peter Altmaier seine „Nationale Industriestrategie“ vor. Als einer von Altmaiers Vorgängern präsentierte Sigmar Gabriel (SPD) unter anderem eine Strategie zur Stärkung der Rüstungsindustrie, sein Vorgänger Philipp Rösler (FDP) wiederum erarbeitete eine Strategie zur schärferen Kontrolle der Finanzmärkte. Ein „genauer Plan des eigenen Vorgehens“ soll laut Wörterbuch eine Strategie sein. Gabriels und Röslers Erfolge waren da zweifelhaft, bei Altmaier ist klar: Seine „Industriestrategie“ geht völlig am Ziel vorbei.

Da ist zunächst Altmaiers Anspruch. Es gehe bei der Strategie um die Frage, wie der in den letzten 70 Jahren erarbeitete Wohlstand behauptet werden könne, erklärte der CDU-Politiker. Geht es natürlich nicht, denn der Wohlstand wird nicht durch ein 20-seitiges Strategiepapier aus dem Hause Altmaier gesichert. Dafür ist vielmehr die Wirtschaft zuständig.

Unternehmen sorgen für Arbeitsplätze und damit für materiellen Wohlstand

Denn die deutschen Unternehmen, von den großen Konzernen über den Mittelstand bis hin zu kleinen Betrieben, reagieren nahezu tagtäglich auf veränderte Wettbewerbsbedingungen. Sie gleichen schwankende Rohstoffpreise aus, sie gehen mit überbordender Bürokratie in Deutschland und ganz Europa um. Die Unternehmen sorgen für Arbeitsplätze und damit für den von Altmaier gemeinten materiellen Wohlstand. Der Staat tut es nur da, wo er selber Arbeitgeber ist, aber das hat mit Altmaiers Strategie nichts zu tun.

Altmaier stellte auf einer Pressekonferenz auch fest, dass es „das erste Mal“ sei, dass ein Vorschlag mit einem solch allumfassenden Anspruch erhoben werde. Ist es natürlich auch nicht, denn es gab schon einige vor ihm, die sich darüber Gedanken machten. Angefangen bei dem Ökonomen Alfred Müller-Armack, der den Begriff Soziale Marktwirtschaft prägte.

Aber Altmaier versteht sich mit seiner „Nationalen Industriestrategie“ nicht nur als Retter des deutschen Wohlstands, er braucht es noch größer: Nichts weniger als „der Zusammenhalt des Landes und die Legitimation des demokratischen Systems“ stehe auf dem Spiel, „wenn wir unsere Hausaufgaben nicht machen“, erklärte der Wirtschaftsminister.

Nicht nur viele Journalisten konnten mit Altmaiers Botschaft wenig anfangen, der Wirtschaft ging es auch so. „Eine wirkungsvolle Industriepolitik in Deutschland besteht darin, günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, nicht darin, staatliche Bestandsgarantien zu verteilen“, kritisierte etwa der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken. „Peter Altmaier will für die Bundesrepublik das werden, was Günter Mittag für die DDR war“, wetterte der mächtige Verband der Familienunternehmer und betonte, Volkswirtschaft sei „kein Planfeststellungsverfahren“.

„Volkswirtschaft ist kein Planfeststellungsverfahren“

Altmaier weiß zudem genau, dass Deutschland alleine gegen die Wirtschaftsriesen USA und China nichts ausrichten kann. Das geht nur im europäischen Verbund, wie es Kanzler Angela Merkel immer wieder predigt. Ihr Wirtschaftsminister müsste also die EU-Mitgliedstaaten von seiner „Industriestrategie“ überzeugen. Er wird das Thema angesichts des Brexits und der bevorstehenden Europawahl jedoch nicht einmal auf die Tagesordnung bekommen. Und wer beobachtet hat, wie die Reformpläne von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zerpflückt wurden, hat eine genaue Vorstellung von den schlechten Chancen, die Altmaiers Strategie in der EU hätte.

Und warum das alles? Die Antwort ist bei Altmaier selbst zu suchen. Der „Ankündigungsminister“, wie er in der Wirtschaft genannt wird, agiert seit Amtsantritt erfolglos. Seine sogenannte Gründungsoffensive floppte. Er kündigte zunächst eine steuerliche Entlastung der Unternehmen im Volumen von 20 Milliarden Euro an und ging dann wieder auf Abstand. Ende September kam es richtige dicke, da warf ihm der Bundesrechnungshof völliges Missmanagement bei der Umsetzung der Energiewende vor.

Altmaier, der fast vom CDU-Politiker Friedrich Merz abgelöst worden wäre, muss also liefern. Die „Industriestrategie“ hat seine Chancen auf Joberhalt jedoch nicht verbessert.

 
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