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Leitartikel: Aggressive Autofahrer ausbremsen
Von Tilman Toepfer tilman.toepfer@mainpost.de
 |  aktualisiert: 24.01.2013 08:43 Uhr

Wut am Steuer! Der Hass gibt Gas! Solche Schlagzeilen formulieren den Unmut darüber, dass die Aggressivität auf Deutschlands Straßen zunimmt. Ein Drittel der Unfälle mit Todesfolge ist auf aggressive Fahrweise zurückzuführen, sagen Unfallforscher. Zu oft sitzen Wüteriche hinter dem Lenkrad. Der Verkehrsgerichtstag in Goslar nimmt sie bis Freitag ins Visier.

Politiker vermeiden das tunlichst. Ihnen fehlt der Mut, sich gegen die Autolobby durchzusetzen und wirksame Maßnahmen zu verordnen, die das Geschehen in Bahnen lenken und befrieden. Die Regierung tut nur so, als täte sie was. Sie appelliert an die Vernunft, stellt Programme auf, startet Kampagnen. Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) redet wie seine Vorgänger vom Mix der Maßnahmen und hat vollmundig verkündet, die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 um 40 Prozent senken zu wollen.

Freiwilligkeit hat Vorfahrt. Auch Ramsauer verzichtet auf die Helmpflicht für Radfahrer, auf verpflichtende Gesundheitschecks für Senioren, die weiter Auto fahren wollen. Er verspricht mehr Kontrollen. Personal und moderne Videotechnik für die Polizei bleiben aber Mangelware. Kein Wunder, dass nach einer Studie des Interdisziplinären Zentrums für Verkehrswissenschaft (IZVW) in Würzburg 80 Prozent der Autofahrer die Wahrscheinlichkeit für gering bis sehr gering halten, dass ein drängelnder Fahrer von der Polizei entdeckt wird.

Wie seine Vorgänger ist auch der derzeitige Verkehrsminister Gegner eines generellen Tempolimits auf Autobahnen. Dabei wissen wir, dass vor allem dort gerast, gedrängelt und gepöbelt wird. Eine Ursache für die Wut am Steuer ist der Zeitdruck, dem die Arbeitnehmer in der globalisierten, liberalisierten Arbeitswelt ausgesetzt sind. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ist gewachsen, nicht nur in der Logistikbranche nimmt der Zeitdruck immer extremere Formen an. Wenn Lkw-Fahrer rücksichtslos und angriffslustig fahren, wird ihr Verhalten von anderen Verkehrsteilnehmern kopiert.

Gilt nicht ohnehin das Recht des Stärkeren? Unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung jedenfalls hat die Ellenbogenmentalität gefördert, Rücksichtnahme wird oft als Schwäche ausgelegt. Wen wundert es da, dass unzählige Verkehrsteilnehmer egoistisch nur an ihr Fortkommen denken. Angriffslustiges Verhalten ist einer „Spiegel“-Studie zufolge besonders bei 35- bis 50-jährigen, gut verdienenden Männern verbreitet. Viele aus dieser Risikogruppe fahren Autos mit „eingebauter Vorfahrt“. Das erklärt, dass sich die Hälfte aller Autofahrer von BMW-Lenkern, ein Drittel von Mercedes-Fahrern und ein Viertel von Audi-Piloten bedroht fühlen, so eine aktuelle Studie des ADAC. Wie man überhaupt feststellen kann, dass die Gemeinschaft der Automobilisten die immer tiefer werdende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich abbildet. Hier Hunderte Pferdestärken starke und immens schnelle Boliden, dort der schwächliche Kleinstwagen des Rentners oder die Rostlaube des Zeitarbeiters. Völlig unterschiedliche Fahrweisen und Geschwindigkeiten sind die Folge.

Freie Bürger fordern freie Fahrt – das war schon 1974 die falsche Parole. Seitdem ist der Verkehr viel dichter geworden, die Leistung der Motoren deutlich gestiegen. Höchste Zeit, dass unsere Politiker wahr machen, was sie uns gerne versprechen: die Schwachen schützen. Die gibt es auch auf unseren Straßen.

 
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Kommentare
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  • M. D.
    ....gibt es einen "Täterbonus".....?

    Und bitte nicht die sinnfreie Helmpflicht mit der sehr sinnvollen altersbedingten. Fahrtauglichkeitsprüfung, deren Fehlen aktuell immer wieder Todesopfer fordert, in einen Topf werfen!
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  • H. S.
    Toll, wie Tilman Töpfer in diesem Leitartikel herausarbeitet, wie sehr die Situation im alltäglichen Verkehr eine zutreffende Ergänzung der Situation unserer Gesellschaft liefert: Während man im Verkehr mit Äußerlichkeiten, wie einem PS-starken Auto, den anderen zeigen kann, daß man etwas gilt, daß man Vorfahrt hat, daß man mehr wert ist als andere in ihren Kleinwagen oder als die Radfahrer und die Fußgänger. Da im Gegensatz zu früheren Zeiten solche herzeigbaren Äußerlichkeiten einer gesellschaftlichen Höherstellung weniger geworden sind, setzt man sie auch ein.

    Leider benennt Herr Töpfer nicht die Mittel, die Konflikte aus oben geschilderter Situation gar nicht erst aufkommen lassen: Geschwindigkeitsbegrenzung auch und besonders auf Autobahnen und Verbot von PS-starken Autos im Straßenverkehr. Helme für Radfahrer und Führerscheinüberprüfungen, wie Herr Töpfer vorschlägt, lösen das Problem jedenfalls nicht.
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    Zitat: "Helme für Radfahrer und Führerscheinüberprüfungen, wie Herr Töpfer vorschlägt, lösen das Problem jedenfalls nicht". Ich frage mich genau aus diesem Grund, was Töpfer's Hinweis darauf in diesem Zusammenhang, d.h. dem Problem der aggresiven Autofahrer, soll und habe dafür nur eine Erklärung: Da er für die Aggressivität schlecht verantwortlcuh gemacht werden kann, soll dem Minister mit diesem Schwenk doch noch ein Versäumnis ange***** werden traurig Mit einer evtl. Parteienpräferenz den Kommentators hat dies im übrigen nix zu tun!
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    Meine volle Zustimmung an gna für den Kommentar!!!

    Ebenso an Herrn Töpfer, jedoch mit den Einschränkungen, die gna schon anführte.
    Ich kann nach langjähriger Tätigkeit auf unseren Autobahnen bestätigen, daß dort teilweise "kriegsähnliche" Zustände herrschen. Diesen Zuständen kann im Moment nur durch verstärkten Kontrolldruck begegnet werden, im besonderen müssen noch mehr hochtechnische, zivile Videofahrzeuge mit Rundum-Kameras eingesetzt werden. Einzig diese garantieren das Erkennen und Aufdecken von Aggressionsdelikten im Straßenverkehr. Dies bedarf natürlich auch einer besseren Personalstärke. Dies und gute technische Ausstattung, wozu auch Digitalfunk gehört, kostet jedoch Geld.........
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    Soweit hier die Zustände auf den deutschen Straßen und vornehmlich den Autobahnen beschrieben werden, ist diese Meinung (mehr ist der Leitartikel aber auch nicht) wohl allgemein konsensfähig.
    Was soll aber in diesem Zusammenhang - Titel "Aggressive Autofahrer..." - der ansonsten natürlich berechtigte Hinweis auf die fehlende Helmpflicht und - wohl des Autors Lieblingsthema? - Gesundheitscheck für Senioren? Auf diesen gewohnten Seitenhieb auf den "rechten" Politiker konnte er wohl nicht verzichten zwinkern , er entwertet m.E. den sonst recht guten Artikel.
    Wie gesagt, ich bin nicht dagegen, dass man über diese beiden Sachverhalte auch diskutiert (wobei ich dann gespannt bn, wie das Kriterium "gesundheitscheckpflichtiger Senior" definiert wird), aber nicht i n diesem zusammenhang - s. Titel -!
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