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Leitartikel: ACTA weist in die falsche Richtung
Von ROLAND SCHMITT-RAISER roland.schmitt-raiser@mainpost.de
 |  aktualisiert: 30.03.2012 16:20 Uhr

Das Handelsabkommen ACTA sollte schleunigst ad acta gelegt werden. Auch wenn es zunächst bedeutungslos wäre, ob die Bundesregierung das Abkommen unterzeichnet oder nicht – es weist politisch in die vordigitale Zeit und tut so, als ob es das Internet nicht gäbe. Gleichwohl haben die Proteste in Würzburg und vielen weiteren Städten vom Wochenende ein untrügliches Geschmäckle.

Systematische Urheberrechtsverletzungen bescheren Produzenten künstlerischer Werke Milliardenverluste, während illegale Tauschbörsen im Internet Ganoven wie den kürzlich festgenommenen Kim Schmitz zu reichen Männern machen. Wer in dieser Situation nur die Freiheit des Internets wie eine Monstranz vor sich herträgt, unterstützt ungewollt gewerbsmäßige Datenhehlerei.

Keine Frage, ACTA hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, war ein Fehler. Dabei sind die Absichten und Wünsche des Abkommens, die in neun Absätzen dem Vertrag vorangestellt sind, durchaus zu verstehen. Die Musikindustrie zum Beispiel hat im vergangenen Jahrzehnt ihren Umsatz nahezu halbiert. Gleichzeitig vergeht so gut wie keine Party, auf der nicht sämtliche Hits der vergangenen 50 Jahre digital von einer Festplatte für die musikalische Untermalung sorgen. Jeder Gast weiß, dass die dazugehörige Plattensammlung nicht im Keller, sondern im Internet zu finden ist. Und wer heute Kinofilme noch vor ihrem offiziellen Start in den Lichtspielhäusern sehen möchte, besucht die etlichen sogenannten Datentauschbörsen, auf denen gegen eine kleine monatliche Gebühr so gut wie jeder Film herunterzuladen ist. Da nutzt auch die spektakuläre Verhaftung der Betreiber von Megaupload und dem Portal Kino.to nichts. Beide haben längst ihre Nachfolger gefunden.

Musikindustrie, Wirtschaftsverbände und Gesetzgeber haben auf diesen Umstand in den vergangenen Jahren lediglich mit einer Verschärfung des Urheberrechts reagiert. Doch einerlei, welche Namen die Abkommen trugen und wie hart die angedrohten Strafen auch waren, an dem Boom digitaler Tauschbörsen änderten sie nichts.

ACTA würde auch nichts ändern. Die meisten Richtlinien des Abkommens gelten in der Bundesrepublik bereits. Und der Vorschlag, an dem sich die Proteste vor allem entzünden, würde hier niemals zum Tragen kommen. Der in einer Fußnote formulierte Hinweis, die Internetprovider in Haftung für Urheberrechtsverletzungen zu nehmen, könnte kaum in geltendes Recht gegossen werden. Providerhaftung bedeutet, dass etwa die Telekom sämtliche Daten, die auf ihren Servern gespeichert oder durch ihre Leitungen transportiert werden, kontrollieren müsste. Das wäre ein großer Lauschangriff, der allem Rechtsverständnis widerspräche.

Dennoch: So verständlich die Proteste gegen ACTA auch sind – es ist nicht das Urheberrecht, das die Freiheit des Internets gefährdet. Es sind vor allem jene, die die Freiheit des Internets missbrauchen, um mit geistigem Eigentum anderer Millionen zu verdienen. Und dazu wünschte man sich zumindest von den Parteien, die die Proteste unterstützen, eine Stellungnahme. Von ihnen erwartet man Ideen, wie wir geistiges Eigentum schützen, Persönlichkeitsrechte wahren und die Freiheit im Internet beibehalten wollen. Hier nur auf die Freiheit zu verweisen, hilft nicht weiter, sondern erweckt den Eindruck, sie wollten einen berechtigten Protest politisch instrumentalisieren.

 
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    Schön, dass die Piraten unter vollen Segeln sind und die Enterhaken ausgefahren haben. Die Piraten weisen bereits seit einem Jahr auf das Thema hin. Die Grünen sind bei diesem Spiel nur Mitläufer und Statisten. Dem Rest der Parteien fehlt der Durchblick ohnehin. Wenigstens haben einige von den Grünen begriffen, wo die Musik demächst spielen wird.
    Freue mich schon auf die nächsten Wahlen. Da kommt etwas Schwung in die politische Landschaft - auch in Schweinfurt.
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  • P. H.
    Ja, es ist richtig, dass das Thema in der breite der Partei nicht bei uns angekommen ist. Liegt an der Struktur der Mitglieder.

    Uns aber als „Mitläufer“ zu bezeichnen trifft die Sache auch nicht. Wir haben sehr wenige Menschen, die sich sehr, sehr intensiv mit dem Thema ACTA befassen, aber die tun das schon sehr lange. Und Leute wie Jan-Philipp Albrecht, MdEP gehören eben zu der sehr kleinen Gruppe von Aktiven, die schon seit Jahren vor ACTA warnen. Außer auf Netzpolitik.org und Heise.de wurde darüber aber nicht berichtet.

    Die Piraten stehen dem Thema naturgemäß näher, aber auch dort ist es nur eine kleine Gruppierung, die sich sehr intensiv mit ACTA beschäftigt hat. Und auch leider das in den letzten Monaten nicht mit gleicher Intensität.

    Aber es ist nicht verwunderlich, dass bei den vielen netzpolitischen Themen, die netzpolitischen Spezialisten in den Parteien auch mit der Vielfalt der Themen und des Handlungsbedarfs überrollt werden. Die Verwerterindustrie hat eben schon 20 Jahre Vorlaufszeit.
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  • P. D.
    ein etwas schwacher Kommentar - die Kommentare der Leser sind für mich nachvollziehbar.
    Die MP verschweigt eben viele Themen einfach. So z.B. die Psychiatrisierung von Leuten die auf Misstände (z.B. Steuerhinterziehung durch Banken/Fall Gustl Mollath) hinweisen.

    Erst dann wenn alle darüber schreiben traut sich die MP auch etwas.
    Engagierter Journalismus geht jedoch anders!

    Bessere finde ich z.B. da:

    http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-1433040.html

    oder

    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/urheberrecht-im-internet-ad-acta-war-gestern-11644702.html

    Am besten jedoch finde ich die Kommentare von Teilnehmern der Demo:
    z.B. hier:

    http://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/Das-Internet-geht-auf-die-Strasse-Demonstrationen-in-60-Staedten;art735,6611703,E
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  • I. H.
    da haust du aber Vieles durcheinander. Man sieht dem Artikel an, dass du halt mal auf die Schnelle einen Text zum Thema Acta tippen musstest.

    Im Ergebnis ziemlich große Töne dafür, dass ihr Medien das Thema bisher totgeschwiegen habt.
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  • R. S.
    Einfach mal ne Meinung raushauen, ohne jede Begründung zu liefern! Da habe ich mir definitiv mehr Mühe gegeben. Aber im Ernst: Klär mich auf, wo ich daneben liege!
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    Ich zitiere aus Jürgens Rede: "Durch eine Reform des Urheberrechts, die wir Piraten seit langem fordern, macht Abkommen wie ACTA überflüssig und dennoch erhalten die Künstler einen gerechten Lohn. Durch Modelle wie Kulturflatrate und Pre-post release wird sichergestellt, das die Bürger die Kunst und Kultur bekommen die sie sich auch vorstellen, und die nicht durch die Musikindustrie diktiert wird. […] Wir fordern deshalb […] Eine Reformation des Urheberrechts, die einen fairen ausgleich zwischen Künstlern und Kulturschaffenden und Nutzern ermöglicht, ohne auf ein System aus Lizenzen und Represalien aufzubauen." - Schon peinlich wenn ein Leitartikler sich eine Stellungsnahme wünscht die bereits erfolgt ist. Wir wollen kein "geistiges Eigentum schützen", wir wollen das möglichst viele Kreative von ihren Werken leben können. Und man könnte statt
    "Systematische Urheberrechtsverletzungen bescheren Produzenten künstlerischer Werke Milliardenverluste, während illegale Tauschbörsen im Internet Ganoven wie den kürzlich festgenommenen Kim Schmitz zu reichen Männern machen"
    genausogut schreiben
    "Systematisches beharren auf veralteten Geschäftsmodellen beschert Rechteverwertern Milliardenverluste, während Angebote von Branchenausseitern wie iTunes oder Amazon ebooks zeigen, dass sich auch im Internet gutes Geld verdienen lässt".
    Angebote wie flattr zeigen, dass auch ohne Strafandrohung Zahlungsbereitschaft durchaus vorhanden ist.
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  • R. S.
    Ist in deinem zitierten Satz eine Stellungnahme zum Missbrauch und zur gewerblichen Datenhehlerei? Forderungen aufstellen kann jeder, Wünsche formulieren auch. Beides muss sich aber an der Realität messen lassen.
    Itunes ist ein schönes Beispiel, stimmt. Auch ein Grund, weshalb ich gegen acta oder weitere Verschärfungen des Urheberrechts bin ...
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