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Leitartikel: Absurde Gesetze aus der Nazizeit
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 27.05.2014 13:30 Uhr

Der Kunstfund in München löst zwiespältige Gefühle aus. Für die Medien ist es der Stoff für eine Traumberichterstattung, spannend und spektakulär. Für Schriftsteller ist es eine unglaubliche, dennoch wahre Geschichte, die jede andere, und sei sie noch so gut von ihnen erfunden, in den Schatten stellt. Für die Kunstwelt ist der Bilderschatz ein unfassbarer Glücksfall. Hunderte verloren gelaubter Meisterwerke sind nicht durch die Nationalsozialisten oder in der Flammenhölle des Zweiten Weltkriegs vernichtet worden. Die Erben der einstigen Besitzer der Ölgemälde, Radierungen, Holzdrucke oder Zeichnungen dagegen werden durch die sensationelle Entdeckung erneut die Erfahrung machen, dass sie ihre Ansprüche nur schwer oder überhaupt nicht durchsetzen können.

Die Rechtslage ist komplex. Und sie ist für den Nichtjuristen verwirrend und kaum nachvollziehbar. Die Regeln im menschlichen Miteinander sind da weit einfacher gestrickt. So bringen Eltern ihren Kindern bei, dass sie das, was sie gerne hätten, nicht einfach anderen wegnehmen können. Falls sie es doch getan haben, dann müssen sie es zurückgeben, trotz aller fadenscheinigen Ausflüchte. Die eigentumsrechtliche Problematik in der Erwachsenenwelt dagegen scheint mit unzähligen juristischen Fallstricken gespickt. Aus gefühltem Unrecht ist verbindliches Recht geworden.

Absurd erscheint es, dass noch immer Vorschriften gelten, die das nationalsozialistische Regime mit eindeutig verwerflicher Absicht skrupellos ins Leben gerufen hat. Dazu zählt zum Beispiel das „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ vom Mai 1938. Es legalisierte im Nachhinein die bereits ab 1937 vorgenommene Beschlagnahmung von Kunstwerken aus Museen oder öffentlich zugänglichen Sammlungen. Eine Entschädigung wurde ausgeschlossen, ein finanzieller Ausgleich nur in besonderen Fällen eingeräumt.

Nach Kriegsende wurde dieses Gesetz nicht etwa aufgehoben, geschweige denn infrage gestellt. Der Alliierte Kontrollrat verbot zwar die Anwendung etlicher Gesetze aus der Nazizeit. Ausschlaggebend war, ob sie Menschen diskriminierte. Im Bereich der „Erzeugnisse entarteter Kunst“ entschied er jedoch seltsamerweise anders: Er wollte den Käufern Rechtssicherheit geben.

Der Kunstmarkt dankt es noch heute. Oder Cornelius Gurlitt, der von seinem Vater Hildebrand den Kunstschatz geerbt hat. Die Kaufverträge, die der Kunsthändler einst mit den Nazis geschlossen hatte, sind immer noch rechtsgültig. Es könnte also sein, dass sein Sohn die Werke, die vor 1945 als „entartet“ angesehen wurden, behalten darf.

Stammten die beschlagnahmten Kunstwerke aus Privatbesitz, dann haben die Nachfahren der Enteigneten von damals wenig Chancen. Die Rückgabefristen sind abgelaufen. Sie können nur auf die Bereitschaft hoffen, dass ihnen die Bilder und Skulpturen aus moralischen Gründen zurückgegeben werden.

Doch darauf sollte es künftig nicht alleine ankommen. Es wird endlich Zeit zu überprüfen, ob die Nazigesetze nicht doch Unrecht darstellen oder, darauf weist der Rechtsanwalt Professor Carl-Heinz Heuer hin, ob der Widerspruch zwischen materiellem Recht und Gerechtigkeit ein derart unerträgliches Maß erreicht hat, dass man einem Gesetz die Würde geltenden Rechts und damit die Rechtsnatur aberkennen muss. Doch die Mühlen der Justiz mahlen bekanntlich langsam.

 
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