
Einen Vorgeschmack auf das Niveau der Auseinandersetzung in den aufziehenden Wahlkämpfen bot eine Gesprächsrunde mit den Generalsekretären der im Bundestag vertretenen Parteien, zu der die Deutsche Presseagentur Journalisten nach Berlin geladen hatte. Zuvor hatte sich SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück der Presse gestellt.
Nein, das sei keine Show, „wir mögen uns wirklich nicht“, poltert CSU-General Alexander Dobrindt auf die Journalistenfrage, ob die verbale Härte gegen seine Grünen-Kollegin Steffi Lemke nur fürs journalistische Publikum inszeniert sei. Was folgt, ist die Attacke Dobrindts gegen den grünen Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit. Dieser sei ein „widerwärtiger Typ“, weil er einst für Pädophilie geworben habe. Ob er ihrem Parteifreund wirklich Sex mit Kindern vorwerfe, will die entsetzte Lemke wissen. „Ja, Cohn-Bendit ist ein widerwärtiger Pädophiler“, setzt Dobrindt einen drauf. Dass Cohn-Bendit öffentlich jegliche Pädophilie-Anwandlungen bestritten und sich auch von seinen 38 Jahren alten unsäglichen Buch-Passagen („eine Provokation, geschmacklos und dumm“) distanziert hat, interessiert ihn nicht, ebenso wenig die angekündigte Aufklärung über mögliche Geldflüsse von den Grünen zu Pädophilen-Organisationen.
Dobrindt rühre eine „Wahlkampf-Drecksuppe“, um vom CSU-Filz abzulenken, wirft Lemke dem Kontrahenten vor. Und erinnert nicht minder polemisch daran, dass in der CSU ein Mann, der betrunken einen Rentner totgefahren hat, bayerischer Verkehrsminister werden konnte.
Das kann ja heiter werden in den nächsten Monaten. Dabei behaupten die Parteistrategen gerne, der eigentliche Wahlkampf starte erst im August. Um welche Themen es dann geht? Vorzugsweise wohl um die Finanz- und Steuerpolitik. Da haben Grüne und SPD mit ihren Beschlüssen zu Steuererhöhungen der Konkurrenz streitbare Vorlagen geliefert. Während Lemke und SPD-Generalin Andrea Nahles den Wohlstand im Land „besser“ und gerechter verteilen möchten und Matthias Höhn von den Linken behauptet, diese Einsicht sei dem steten Druck seiner Partei zu verdanken, sieht FDP-Mann Patrick Döring ein „groß angelegtes Täuschungsmanöver“ gegen die Leistungsgerechtigkeit. Das werde man nicht zulassen.
Entgegen allen Versicherungen würden die rot-grünen Steuerpläne längst nicht nur die Reichen im Lande zur Kasse bitten, sondern auch Kleinverdiener, wenn beispielsweise das Ehegattensplitting abgeschmolzen oder gar abgeschafft werde, oder wenn in Minijobs nur noch maximal hundert Euro im Monat sozialversicherungsfrei gestellt würden. Das treffe selbst Alleinerziehende, so Döring. Laut Dobrindt werden Minijobber gar um drei Viertel ihrer Bruttoeinkünfte gebracht, was ihm von „Freundin“ Lemke prompt den Vorwurf der Lüge einbringt.
Zwischen all der Wortgewalt sitzt ein bemerkenswert zurückhaltender CDU-Generalsekretär Herrmann Gröhe, wohl wissend um seine größten Trümpfe im Wahlkampf: die große Beliebtheit und das hohe Ansehen von Angela Merkel. Die Frage wird sein, ob diese – wie beim letzten Mal – reichen oder ob die Bundeskanzlerin im sich abzeichnenden Lagerwahlkampf auch mal „Kante“ zeigen muss. Schließlich geht es laut Döring um nicht weniger als darum, „ob Deutschland ein bürgerliches Land bleibt oder ein linkes Land wird“. „Es wird keinen Kuschelwahlkampf geben“, verspricht CSU-Speerspitze Dobrindt. Ein bisschen schaut Kollege Gröhe dabei so, als sei ihm das gar nicht recht.
SPD-Frau Nahles setzt auf die Mobilisierung vor allem von Nichtwählern und macht eine gewaltige Vorgabe: Sagenhafte fünf Millionen Menschen sollen Peer Steinbrück und die SPD-Spitze bis zum Wahltag direkt ansprechen, am liebsten bei Hausbesuchen. Kandidaten könne man heute nicht mehr inszenieren wie einst Gerhard Schröder, so Nahles. Nein, ein Peer Steinbrück taugt wirklich nicht für Homestorys und Hochglanzbilder.
Der Kanzlerkandidat hatte sich bereits vor der Runde mit den Generalsekretären den Journalisten gestellt, für seine Themen – allen voran die Gerechtigkeitsfrage – geworben und sich dabei einmal mehr als kauziger, aber nicht unsympathischer Mann mit Ecken und Kanten präsentiert. Steinbrück kokettiert als einer, der sich nicht verbiegen lässt, von der „Wind- und Propagandamaschine“ der Konservativen nicht, von schlechten Meinungsumfragen nicht, und schon gar nicht von Journalisten. Die sollten „kein Glaskinn“ zeigen, wenn auch er mal austeile. Ob am Ende also die Presse schuld ist, wenn es am 22. September zum Wahlsieg nicht reicht, fragt ein Kollege ängstlich nach. „Nein, natürlich nicht.“ Steinbrück lacht etwas gequält.
Seine Zuversicht lässt sich der Kandidat jedenfalls nicht nehmen. Es bleibe noch jede Menge Zeit für Wechselstimmung, sagt er. Ob „Frau Merkel“ oder er die nächsten vier Jahre regiert, interessiere die Menschen frühestens Anfang August. Jetzt gehe es erst einmal darum, ob Dortmund oder Bayern die Champions-League gewinnt.