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„Kultur wächst im Dialog“
Das Gespräch führte Henry Stern
 |  aktualisiert: 01.03.2012 19:35 Uhr

Ob Geschichtsmuseum, Dürer-Bild oder Münchner Konzertsaal – in Bayern wird derzeit leidenschaftlich über Kulturpolitik gestritten. Seit November ist der Würzburger Oliver Jörg Vorsitzender des Kunstausschusses im Landtag. Mit dieser Zeitung spricht der CSU-Politiker über Kulturzentralismus, seine Forderungen an Minister Heubisch – und die politischen Voraussetzungen für eine „Isar-Philharmonie“.

Frage: Herr Jörg, immer wieder gibt es Streit um fränkische Kunstschätze, die in München aufbewahrt werden – und wie der Bamberger Domschatz oder jüngst das Dürer-Bild nicht einmal leihweise nach Franken dürfen. Ist die bayerische Kulturpolitik zentralistisch?

Oliver Jörg: Im Grundsatz nicht. Man kann an vielen guten Beispielen belegen: Die Kultur in Bayern lebt in den regionalen Räumen – überall vor Ort. Aber es gibt auch eine bayerische Seele, die sehr genau darauf schaut, dass sich alle Landesteile gleichmäßig entwickeln. Das ist ja gerade in der Kulturpolitik ein berechtigtes Anliegen. Und symbolträchtige Entscheidungen wie zuletzt heizen diese Debatten natürlich an. Kulturpolitiker sind gut beraten, sehr ernst zu nehmen, was die Menschen hier bewegt.

Die Kulturbürokratie in München macht aber keinen Hehl daraus, dass es bei Leihanfragen nicht um Einzelfallentscheidungen geht, sondern ums Prinzip: Die zentrale Ausstellung der Wittelsbacher Sammlung in München habe „Identität stiftende Wirkung“ für ganz Bayern, heißt es etwa in einem Bericht von 2010. Teilen Sie diese Auffassung?

Jörg: Ich plädiere für mehr Pragmatismus. Wir erleben doch, dass attraktive, befristete Sonderausstellungen große Publikumsmagnete sind – ob es die Landesausstellungen sind oder jetzt die große Dürer-Schau in Nürnberg. Alle Museen, ob groß, ob klein, müssen sich um Sonder-Events bemühen, um Menschen für Kultur zu begeistern. Das kann aber nur gelingen, wenn alle Kultureinrichtungen in Bayern unkompliziert zusammenarbeiten. Für unberührbar erklärte Sperrbestände, wie sie die Münchner Pinakotheken aufgelistet haben, lehne ich deshalb ab. Denn ich glaube nicht, dass die Identität eines Museen in Gefahr ist, wenn einzelne Stücke zeitweise verliehen sind.

Müsste nicht auch der kulturhistorische Wert etwa des Bamberger Domschatzes oder des Würzburger Herzogschwerts mehr ins Zentrum des Standortstreits rücken? Also die Symbolkraft dieser Schätze für die weltliche Macht der Kirche. Und die Frage, was diese Macht für die Menschen früher bedeutete.

Jörg: Ich möchte in der Tat keine Debatten mehr nur um der Debatten willen. Wir müssen uns doch fragen: Wie können wir nicht zuletzt junge Menschen immer wieder für eine Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur, mit unserer Geschichte begeistern. Diese Überlegung muss im Zentrum aller Diskussionen stehen.

Braucht man mehr Ehrlichkeit und Sachlichkeit? Schließlich dreht man sich mit emotionalen Argumenten seit Jahrzehnten im Kreis.

Jörg: Selbstverständlich. Sonst gäbe es ja den Streit gar nicht. Das beginnt doch schon mit der Frage, warum bestimmte Gegenstände nicht ausgeliehen werden: Warum hat man jüngst beim Dürer-Bild nicht gleich gesagt, dass es konservatorische Probleme gibt? Hätte man dies sofort glaubhaft klargemacht, hätte es den ganzen Ärger gar nicht gegeben. Das ist auch der Vorwurf, den ich dem Staatsgemälde-Direktor Klaus Schrenk machen muss: Hier ist die Argumentation von der völlig falschen Seite aufgezogen worden. Und das war absolut nicht hilfreich.

Vor einigen Wochen gab es im Landtag harte Kritik auch von Kulturexperten an den Grundsätzen der staatlichen Kulturpolitik. Was erwarten Sie nun von FDP-Kunstminister Wolfgang Heubisch?

Jörg: Ich erwarte mir mehr Initiative vom Minister – auch weil die Kulturpolitik die Menschen in Bayern ganz offensichtlich sehr bewegt. Ich will kulturelle Vielfalt politisch mitgestalten und nicht nur verwalten. Ich wünsche mir deshalb, dass er eine breite Diskussion anstößt, wohin sich Kulturpolitik in Bayern entwickeln soll. Der Minister sollte Ansatzpunkte liefern, damit wir eine breite Debatte mit Kunstschaffenden, Kulturbegeisterten, mit den Trägern von Kultureinrichtungen und vielen anderen Gruppen beginnen können. Kultur kann man nicht verordnen. Kultur wächst im Dialog.

Ein zentraler Kritikpunkt lautete, die staatliche Kulturpolitik sei auf die kulturellen Leuchttürme fixiert – also Staatsoper, Pinakotheken, klassische Orchester. Alternative Kultur – wie etwa das Africa Festival in Würzburg – fällt dagegen durch den Rost. Muss man den Kulturbegriff inhaltlich weiter fassen, um eine zukunftsfeste Kulturpolitik zu haben?

Jörg: Wenn wir diese Diskussion ernsthaft führen können, dann hat die Kultur in Bayern schon gewonnen. Dann wird nämlich klar, wie vielfältig Bayerns Kulturlandschaft ist. Und auch die Förderpolitik wird sich dann fragen lassen müssen, ob wir mit den bisherigen Vorgaben dieser Vielfalt wirklich gerecht werden können.

Ministerpräsident Horst Seehofer hat München einen neuen Konzertsaal versprochen. Wie stehen Sie zu diesem Projekt?

Jörg: Solch ein Vorhaben muss in jedem Fall eingebettet sein in ein kulturpolitisches Gesamtkonzept, das sowohl die Kultur in den Regionen wie auch die sogenannten „Leuchttürme“ umfasst. Ich will nicht, dass die Kosten für den Konzertsaal in München nur zur Beruhigung der Debatte aufgewogen werden mit vergleichbaren, aufaddierten Summen für eine Sanierung hier und einen kleinen Zuschuss dort. Unter solchen Vorzeichen will ich den Konzertsaal nicht. Ich will, dass wir zunächst eine offene Grundsatzdebatte führen. Und ich bin sicher: Ohne ein nachhaltiges Kulturkonzept für ganz Bayern wird es mit der Landtags-CSU keine „Isar-Philharmonie“ geben.

Oliver Jörg

Erst seit 2008 für den Stimmkreis Würzburg-Stadt im Landtag, hat es der CSU-Politiker Oliver Jörg bereits zum Vorsitzenden des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst gebracht: In der Folge der letzten Kabinettsumbildung rückte der 39-Jährige für den zum Kultus-Staatssekretär beförderten Parteifreund Bernd Sibler auf diesen Posten vor. Jörg stammt aus Aalen in Baden-Württemberg und lebt seit dem Jahr 2000 in Würzburg. Dort führt der studierte Jurist seit 2004 zusammen mit einem Partner auch eine eigene Rechtsanwaltskanzlei. Jörg ist verheiratet und Vater von drei Kindern. FOTO: Thomas Obermeier

 
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