zurück
Kritischer, aufmüpfiger Geist
Joachim Gauck: Kein Rebell – und doch in der Opposition in der DDR. Seine Söhne kritisierten die Inkonsequenz des Pastors und gingen in den Westen.
Joachim Gauck: Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten.
Foto: dpa | Joachim Gauck: Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten.
Von unserem Korrespondenten Martin Ferber
 |  aktualisiert: 05.03.2012 19:58 Uhr

Pastor wollte er eigentlich niemals werden, lieber Journalist. Doch weil er sich dem SED-Regime verweigerte und schon in der Schule durch „eigenwillige Äußerungen und einen Mangel an Disziplin“ auffiel, wurde Joachim Gauck das Studium der Germanistik und Geschichte verweigert. Übrig blieb nur die Theologie. „Die theologischen Fakultäten waren der einzige Raum, der nicht dem unmittelbaren Zugriff des Staates und der Partei ausgesetzt war, ein Raum, in dem unabhängiges Denken möglich und die Existenz nicht an Unterordnung gebunden war.“ Dem kritischen und aufmüpfigen Geist, der nicht bereit war, die alle Bereiche des Lebens bestimmende Autorität des SED-Regimes anzuerkennen, der aber auch nicht, wie so viele seiner Landsleute, in den Westen auswandern wollte, vermittelte der Glaube „eine geheimnisvolle Kraft, die uns befähigte, den Minderheitenstatus durchzuhalten, mutig zu bleiben, wo andere sich schon angepasst hatten“.

So studierte Joachim Gauck von 1958 bis 1965 in Rostock evangelische Theologie. Die Entscheidung, Pastor zu werden, fiel allerdings erst während des Vikariats in Laage bei Rostock. Von 1967 bis 1971 wirkte er als Pastor in der mecklenburgischen Landgemeinde Lüssow, 1971 zog die mittlerweile fünfköpfige Familie in die Plattenbausiedlung Rostock-Evershagen, in der überwiegend Arbeiter aus den nahegelegenen Werften eine neue Wohnung erhielten. Weder gab es eine Kirche noch ein Pfarrhaus, erst recht kaum bekennende Christen und keine existierende Gemeinde. „Es war wie die Entsendung in ein Missionsland.“ Der junge Pastor zog von Haus zu Haus, klingelte an jeder Tür, stellte sich vor und lud Interessierte ein. Mit Erfolg. Aus dem Nichts entstand eine Gemeinde mit 4500 Mitgliedern, Bibelabende und Konfirmandenunterricht, Glaubensgespräche und Gruppenstunden fanden in Privatwohnungen statt, für Jugendliche wurden Freizeiten und Zeltlager organisiert.

Gesprochen wurde dabei nicht nur über Glaubensfragen. „Immer mehr nahm sich die Kirche der Themen an, die von staatlicher Seite ausgeklammert oder sogar tabuisiert wurden. Wir setzten uns kritisch auseinander mit der Militarisierung im Schulbereich, der Atomenergie, insbesondere nach dem Desaster von Tschernobyl, mit den zahlreichen Ökologieproblemen, mit den Menschen- und Bürgerrechten und mit der Friedensfrage.“ Die Kirche, so Gauck im Rückblick, habe sich dabei nicht per se als Opposition verstanden, sei aber insofern oppositionell gewesen, „als sie die einzige eigenständige und unabhängige, dem Zugriff von Staat und Partei entzogene Institution war, der einzige Ort, wo ein offenes Gespräch möglich war, wo Themen und Meinungen weder tabuisiert noch zensiert wurden und eine Erziehung zum unabhängigen Denken und Handeln erfolgte.“

„Wir wollten die SED zwingen, sich zu unseren friedenspolitischen und zu unseren Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsthemen zu äußern.“

Joachim Gauck

Gauck war kein Oppositioneller, kein lauter Rebell, kein politisch agierender Bürgerrechtler, der sich offen gegen das SED-System auflehnte, wohl aber einer, der seine unabhängige Meinung offen vertrat, das System nicht akzeptierte und einen „Dialog ohne Beschränkung“ forderte: „Wir wollten die SED zwingen, sich zu unseren friedenspolitischen und zu unseren Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsthemen zu äußern.“ Doch es kam zu keinem Dialog. Seine eigenen Söhne warfen ihm Inkonsequenz vor, er rede nur von der Freiheit, anstatt sie zu leben, und reisten Ende der 80er Jahre in den Westen aus, ein Schritt, den Gauck für sich stets ablehnte. Der Vater, klagt Sohn Christian, heute Chirurg in einer Hamburger Klinik, habe sich stets für andere mehr eingesetzt als für seine Familie, was ihn oft „unglaublich enttäuscht“ habe: „Wir kamen als Familie immer an zweiter Stelle, er hat alles allein entschieden.“

Spätestens 1982, als er zum Leiter der Kirchentagsarbeit in Mecklenburg aufstieg, geriet Gauck ins Visier der Staatssicherheit. Ein Dutzend IM war auf ihn angesetzt, sein Telefon wurde abgehört, die Post geöffnet und die Wohnung verwanzt. Der Pastor, meldete ein Informant dem MfS, nutze „legale Möglichkeiten wie Stadtjugendabende und Gottesdienste vor allem zur antisozialistischen-feindlichen Inspirierung der kirchlich orientierten Jugendlichen“. Nach dem Kirchentag in Rostock 1988 kam es schließlich zu einem offenen Kontakt. Ein Hauptmann Terpe besuchte Gauck und bot einen „Dialog“ an, doch Gauck blieb distanziert und informierte umgehend die Kirchenleitung. Terpe kam in seinem Bericht zu dem Schluss, dass Gauck „zu einem ständigen regelmäßigen Kontakt nicht bereit ist, da es seiner Grundauffassung widerspreche und es zu viele Dinge gibt, die zwischen uns stehen“.

Im Herbst 1989 schließlich verließ der Pastor, der eigentlich nie Pastor werden wollte, den schützenden Raum der Kirche und trat in die Welt. Er engagierte sich politisch, erst langsam und zögerlich, dann aber konsequent. Im Oktober 1989 gehörte Gauck zu den Mitbegründern des „Neuen Forums“ in Rostock, in die Friedensgottesdienste strömten plötzlich Tausende, die Angst wich dem Mut, die Schweigenden begehrten auf und forderten Veränderungen. Und Gauck war plötzlich mittendrin, gehörte zu den Sprechern des „Neuen Forums“ – und kandidierte für die ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990.

So schließt sich der Kreis. Auf den Tag genau 22 Jahre später wird Joachim Gauck am 18. März Präsident eines Staates, der für ihn als DDR-Bürger immer als eine unerreichbare Utopie erschien – des freien, demokratischen, rechtsstaatlichen und wiedervereinigten Deutschlands.

Die Zitate entstammen der Autobiografie Joachim Gaucks „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“, erschienen 2009 im Siedler-Verlag Berlin.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
DDR
Evangelische Kirche
Joachim Gauck
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • P. D.
    Ein Nachfolger für den großen großen Satiriker Wulff wurde in Person des
    Joachim Gauck nun gefunden:

    Christian Wulff gewidmet, dem großen Satiriker und Literaten
    [Artikel in The Intelligence]

    Mit allen Wassern ungewaschen

    Der politische Kabarettist Joachim Gauck bewirbt sich derzeit für das höchste Staatsamt. Nachdem der talentierte Satiriker, der für sein Programm "Freiheit" euphorische Kritiken bekam, bereits Stasi-Chef Erich Mielke beerbte hatte, will er nun auch Erich Honecker nachfolgen, dessen Foto einst die ostdeutschen Amtsstuben zierte. Die neue Figur des vielseitigen Künstlers als "oberster Dienstherr" beweist einen feinsinnigen Humor, hatte doch Gauck früher ausgerechnet die Obrigkeit prinzipiell abgelehnt. In den zwei Jahrzehnten der deutschen Einheit glänzte der wandlungsfähige Gauck in kontrastreichen Rollen, die nun in einem Feuerwerk der guten Laune Revue passieren möchten.

    "Der einsitzende Fastenprediger"

    Joachim Gauck startete seine Bühnenkarriere in der DDR zunächst nicht als politischer Kabarettist, sondern als Comedian. In Rostock debütierte der Künstler, der sich heute insbesondere die "Freiheit" auf die Buchfahne schreibt, in der satirischen Rolle eines protestantischen Pfarrers. Mit dieser Figur bewies Gauck großen Sinn für Ironie, denn Freiheit hat im Christentum nun einmal keine nennenswerte Tradition. Im Gegenteil stützte das Christentum jahrhundertelang Leibeigenschaft, Sklavenwesen, Monarchie, Unterdrückung der Frau, Zensur, Wissenschaftsfeindlichkeit, religiöse und weltanschauliche Intoleranz und jegliche Unterordnung des Individuums gegenüber Mächtigen. Wer Gerechtigkeit im Diesseits suchte, wurde von gut betuchten Pfaffen auf das Jenseits vertröstet. Kleriker allerdings genossen stets gewisse Freiheiten, insbesondere ökonomische - auch in der DDR, als deren "Insasse" sich der nie inhaftierte Gauck stilisiert.
    ...
    Weiterlesen können Sie
    [hier]
    http://www.heise.de/tp/artikel/36/36550/1.html
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • D. K.
    mit Pastor Gauck kommt das nächste ......... auf uns zu. Macht schon mal den nächsten Ehrensold zurecht.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten