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Würzburg/Hamburg
Kommentar: Wie die neue "Spiegel"-Affäre Medien helfen kann
Unbemerkt frisierte ein Reporter über Jahre seine Geschichten. Die Affäre bietet für Journalisten Anlass zur Rückbesinnung auf ihre Tugenden.
Das Verlagsgebäude des Spiegel-Verlags am Rande der Hamburger Hafencity
Foto: Christian Charisius, dpa | Das Verlagsgebäude des Spiegel-Verlags am Rande der Hamburger Hafencity
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:43 Uhr

Bis vor wenigen Tagen war der Begriff "Spiegel"-Affäre mit einer Episode der deutschen Geschichte verknüpft, an deren Ende ein Triumph für die Pressefreiheit und den Journalismus stand. Weil Recherchen des Magazins den Mächtigen in der Republik nicht passten, wurden 1962 auf Betreiben des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß (CSU) Redaktionsräume durchsucht und Herausgeber Rudolf Augstein sowie mehrere Redakteure verhaftet. Am Ende musste Strauß seinen Posten räumen – ein Sieg der Medien. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass 56 Jahre später eine neue "Spiegel"-Affäre denselben Medien eine herbe Niederlage beschert.

Dass Claas Relotius, ein mehrfach preisgekrönter Reporter des renommiertesten deutschen Nachrichtenmagazins, über Jahre hinweg unbemerkt Protagonisten erfinden, Quellen fingieren, Recherchen vortäuschen und die Wahrheit zurechtbiegen konnte bis sie zur nächsten preisverdächtigen Geschichte wurde, macht wütend. Nicht nur die Leser, sondern gerade auch die große Mehrheit der Journalisten, die sich redlich um saubere Recherche und wahrheitsgetreue Berichterstattung bemühen. Das sind sowohl Kolleginnen und Kollegen beim "Spiegel" als auch bei der kleinen Heimatzeitung.

Futter für den Lügenpresse-Vorwurf

Denn wie vor 56 Jahren hat die aktuelle "Spiegel"-Affäre Auswirkungen auf einen ganzen Berufsstand, eine ganze Branche. Nur sind sie diesmal negativer. In Zeiten, in denen Propaganda mit unabhängiger Berichterstattung verwechselt, Lügen als "alternative Fakten" verkauft und Wahrheiten – weil komplex – angezweifelt werden und gleichzeitig die Pressefreiheit unter Druck gerät, kommt der Fall Relotius zur Unzeit: Er liefert den Lügenpresse-Krakeelern neue Nahrung und fährt Medienhäusern, Redaktionen oder einzelnen Journalisten in die Parade, die sich bemühen, mit Transparenzoffensiven und in vielen persönlichen Gesprächen Leser von ihrer Arbeit – dem Qualitätsjournalismus – zu überzeugen. Diese Herausforderung ist nun erneut gewachsen. Denn längst leiten einige aus dem, was beim "Spiegel" passiert ist, ein systematisches Versagen der Medien im Allgemeinen ab.

Doch Jammern hilft nicht. Stattdessen sollten wir – die Redaktionen, die Journalisten – uns fragen, was die Affäre für uns bedeutet. Können wir unsere Hände dafür ins Feuer legen, dass alle unsere veröffentlichten Berichte unverfälscht die Wahrheit wiedergeben? Machen wir Fehler, die jedem einmal passieren, transparent? Können wir widerstehen, Geschichten um der Schlagzeile willen unverhältnismäßig stark zuzuspitzen? Machen wir uns wirklich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten? Schaffen wir den Spagat zwischen faktenbasiertem Geschichtenerzählen und leserfreundlichem Informieren? Verwerfen wir kompromisslos eine These, die sich nach gründlicher Recherche nicht halten lässt? Geben wir uns genügend Zeit und Raum für Recherche, die mitunter der mühsamere und ungemütlichere Teil unserer Arbeit ist? Die Leser haben ein Recht darauf, dass wir all diese Fragen mit ja beantworten.

Nirgendwo sind Fakten so einfach überprüfbar wir im Lokaljournalismus

Daher sind es eben diese großen Fragen, mit denen sich nicht nur die "Spiegel"-Edelfedern, sondern jeder Journalist beschäftigen sollte. Auch im Regional- und Lokaljournalismus. Denn nirgendwo sind die Leser näher an dem dran, worüber berichtet wird. Und nirgendwo sind dementsprechend Fakten einfacher überprüfbar.

Wenn Medienmacher jetzt also nicht über einen mutmaßlichen Vertrauensverlust lamentieren, sondern den Fall Relotius zum Anlass nehmen, um sich zu fragen, welche Lehren daraus zu ziehen sind, kann auch die "Spiegel"-Affäre des Jahres 2018 ein gutes Ende nehmen. Der Weg dorthin ist eigentlich ganz einfach. Ausgerechnet "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein hat ihn in seinem Leitspruch simpel beschrieben: Journalisten müssten einfach "sagen, was ist".

 
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Kommentare
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  • PEUL
    "Denn nirgendwo sind die Leser näher an dem dran, worüber berichtet wird.Und nirgendwo sind dementsprechend Fakten einfacher überprüfbar."
    Und was soll uns das sagen?Dass der Leser die Fakten des Artikels überprüfen muß und sie dann berichtigt oder bestätigt?
    Fakten müssen überprüfbar sein, das ist eine Selbstverständlichkeit.
    Weniger selbstverständlich ist leider aber , dass die Prüfung durch den
    Journalisten, und nur durch ihn bzw.der Red., auch tatsächlich stattfindet.
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  • al-holler@t-online.de
    man war schon immer gut beraten, nicht alles zu glauben, was man so liest; dass es aber gerade den Spiegel, den manche beinahe schon als klassenkämpferische "Bibel" einer sich fast schon elitär fühlenden (linken?) Minderheit bezeichnen wollen, so hart trifft, ist fast schon - na ja, das verkneife ich mir jetz mal.
    Ach ja, noch was kommt mir gerade in den Sinn: Nach des Leseranwalts unmaßgeblichen "Eckenlehre" gehört das Blatt zumindest nicht in die "rechte".
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  • DFR4
    Relotius hat geliefert, was der SPIEGEL und dessen Leser bestellt haben. Er muss ein feines Gespür dafür gehabt haben, was man gerne lesen möchte, und danach hat er dann gehandelt. Siehe das Interview mit der letzten Überlebenden der Weißen Rose. Ihr hat er Aussagen zu Chemnitz in den Mund gelegt, die sie zwar nicht gesagt hat, welche aber ganz auf der Linie von SPIEGEL und Bento sind. Und so wäre das immer weiter gegangen, hätte nicht ein Kollege in Eigeninitiative den Betrug aufgedeckt. Beim SPIEGEL haben die Kontrollmechanismen versagt, weil man es gar nicht so genau wissen wollte und sich lieber an der Prosa von Relotius berauscht hat. Es handelt sich um einen Systemfehler, denn es geht eben nicht um „Sagen, was ist!“ sondern um „Sagen, was sein soll!“. Der SPIEGEL will erziehen und nicht informieren. Da kam ein Relotius gerade recht.
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  • DFR4
    (Fortsetzung)
    Der deutsche sog. Qualitätsjournalismus ist auf unterstem Niveau angelangt, wie schon eindrücklich in Ulfkottes Bestseller „Gekaufte Journalisten“ dokumentiert wurde. Der mündige Leser sollte sich endlich diesen manipulativen Medien verweigern !
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  • al-holler@t-online.de
    Der "mündige Leser", damit meinen Sie aber sicher nicht den durchschnittlichen Spiegel-Konsumenten . Wenn das, was Relotius lieferte, seinen Lesern und auch seinen Vorgesetzten nicht gefallen hätte, wäre seine Erfindungen wahrscheinlich schon wesemtlich früher aufgefallen.
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  • DFR4
    Relotius hat die stereotypen, von den Verantwortlichen im „Spiegel vorgegebenen, Narrative bedient: Trump-Bashing, Trump-Wähler-Bashing, AfD-Bashing, edler Flüchtling - tumber, rassistischer Deutscher. Weil er mit seinen gefakten Reportagen genau das Weltbild der linksgrünen Chefetage bediente, hat niemand Zweifel an seinen vor Rührung für Flüchtlinge triefenden Lügengeschichten gehabt. Dieser „Spiegel-Skandal“ dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein. In anderen Redaktionen der linken Mainstreammedien, die aufgrund ihrer ideologischen Scheuklappen und der Political Correctness die gesellschaftlichen Realitäten ausblenden oder beschönigen, ist ähnliches zu vermuten. Indoktrination der Bevölkerung, Meinungsmanipulation, Hofberichterstattung für die sog. politische Elite, Regierungspropaganda (vor allem bei den öffentlich-rechtlichen Medien) sind im Merkel-System derart ausgeufert, dass sich ein Vergleich mit dem DDR-Machtapparat geradezu aufdrängt. Der deutsche sog. Qualitätsjournalismus
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  • Auf eigenen Wunsch entfernt.
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