Bis vor wenigen Tagen war der Begriff "Spiegel"-Affäre mit einer Episode der deutschen Geschichte verknüpft, an deren Ende ein Triumph für die Pressefreiheit und den Journalismus stand. Weil Recherchen des Magazins den Mächtigen in der Republik nicht passten, wurden 1962 auf Betreiben des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß (CSU) Redaktionsräume durchsucht und Herausgeber Rudolf Augstein sowie mehrere Redakteure verhaftet. Am Ende musste Strauß seinen Posten räumen – ein Sieg der Medien. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass 56 Jahre später eine neue "Spiegel"-Affäre denselben Medien eine herbe Niederlage beschert.
Dass Claas Relotius, ein mehrfach preisgekrönter Reporter des renommiertesten deutschen Nachrichtenmagazins, über Jahre hinweg unbemerkt Protagonisten erfinden, Quellen fingieren, Recherchen vortäuschen und die Wahrheit zurechtbiegen konnte bis sie zur nächsten preisverdächtigen Geschichte wurde, macht wütend. Nicht nur die Leser, sondern gerade auch die große Mehrheit der Journalisten, die sich redlich um saubere Recherche und wahrheitsgetreue Berichterstattung bemühen. Das sind sowohl Kolleginnen und Kollegen beim "Spiegel" als auch bei der kleinen Heimatzeitung.
Futter für den Lügenpresse-Vorwurf
Denn wie vor 56 Jahren hat die aktuelle "Spiegel"-Affäre Auswirkungen auf einen ganzen Berufsstand, eine ganze Branche. Nur sind sie diesmal negativer. In Zeiten, in denen Propaganda mit unabhängiger Berichterstattung verwechselt, Lügen als "alternative Fakten" verkauft und Wahrheiten – weil komplex – angezweifelt werden und gleichzeitig die Pressefreiheit unter Druck gerät, kommt der Fall Relotius zur Unzeit: Er liefert den Lügenpresse-Krakeelern neue Nahrung und fährt Medienhäusern, Redaktionen oder einzelnen Journalisten in die Parade, die sich bemühen, mit Transparenzoffensiven und in vielen persönlichen Gesprächen Leser von ihrer Arbeit – dem Qualitätsjournalismus – zu überzeugen. Diese Herausforderung ist nun erneut gewachsen. Denn längst leiten einige aus dem, was beim "Spiegel" passiert ist, ein systematisches Versagen der Medien im Allgemeinen ab.
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Doch Jammern hilft nicht. Stattdessen sollten wir – die Redaktionen, die Journalisten – uns fragen, was die Affäre für uns bedeutet. Können wir unsere Hände dafür ins Feuer legen, dass alle unsere veröffentlichten Berichte unverfälscht die Wahrheit wiedergeben? Machen wir Fehler, die jedem einmal passieren, transparent? Können wir widerstehen, Geschichten um der Schlagzeile willen unverhältnismäßig stark zuzuspitzen? Machen wir uns wirklich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten? Schaffen wir den Spagat zwischen faktenbasiertem Geschichtenerzählen und leserfreundlichem Informieren? Verwerfen wir kompromisslos eine These, die sich nach gründlicher Recherche nicht halten lässt? Geben wir uns genügend Zeit und Raum für Recherche, die mitunter der mühsamere und ungemütlichere Teil unserer Arbeit ist? Die Leser haben ein Recht darauf, dass wir all diese Fragen mit ja beantworten.
Nirgendwo sind Fakten so einfach überprüfbar wir im Lokaljournalismus
Daher sind es eben diese großen Fragen, mit denen sich nicht nur die "Spiegel"-Edelfedern, sondern jeder Journalist beschäftigen sollte. Auch im Regional- und Lokaljournalismus. Denn nirgendwo sind die Leser näher an dem dran, worüber berichtet wird. Und nirgendwo sind dementsprechend Fakten einfacher überprüfbar.
Wenn Medienmacher jetzt also nicht über einen mutmaßlichen Vertrauensverlust lamentieren, sondern den Fall Relotius zum Anlass nehmen, um sich zu fragen, welche Lehren daraus zu ziehen sind, kann auch die "Spiegel"-Affäre des Jahres 2018 ein gutes Ende nehmen. Der Weg dorthin ist eigentlich ganz einfach. Ausgerechnet "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein hat ihn in seinem Leitspruch simpel beschrieben: Journalisten müssten einfach "sagen, was ist".
Und was soll uns das sagen?Dass der Leser die Fakten des Artikels überprüfen muß und sie dann berichtigt oder bestätigt?
Fakten müssen überprüfbar sein, das ist eine Selbstverständlichkeit.
Weniger selbstverständlich ist leider aber , dass die Prüfung durch den
Journalisten, und nur durch ihn bzw.der Red., auch tatsächlich stattfindet.
Ach ja, noch was kommt mir gerade in den Sinn: Nach des Leseranwalts unmaßgeblichen "Eckenlehre" gehört das Blatt zumindest nicht in die "rechte".
Der deutsche sog. Qualitätsjournalismus ist auf unterstem Niveau angelangt, wie schon eindrücklich in Ulfkottes Bestseller „Gekaufte Journalisten“ dokumentiert wurde. Der mündige Leser sollte sich endlich diesen manipulativen Medien verweigern !