Es gibt Dinge, die sind so verstörend, dass man sich am liebsten Augen und Ohren zuhalten und so schnell wie möglich weglaufen möchte. Berichte über sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen etwa lassen sich nur schwer aushalten. Das, was gerade in England passiert, wo gestandene Profifußballer reihenweise vor der Kamera weinend zusammenbrechen, wo Traditionsvereine in einem ganz anderen Licht dastehen und wo plötzlich klar wird: Es gab und gibt ein Leben abseits des Spielfeldes, das so dunkel ist, dass es anderen Menschen verborgen bleibt. Das so düster und abgründig ist, dass sich keiner näher herantraut.
Ja, es gibt dieses Leben abseits der Scheinwerfer, abseits der Öffentlichkeit. Es findet in abgeschlossenen Räumen statt. Womöglich im Privatbereich des so beliebten, gut aussehenden und erfolgreichen Trainers, der von Eltern und Kollegen gleichermaßen verehrt wird und der sich sicher sein kann, dass seine dunkle Seite niemals sichtbar werden wird. Weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf.
Weinende Opfer im Fernsehen sind schwer auszuhalten
„Egal, ob im Sport oder der Kirche, oft sind es ja gerade die Menschen, die besonders verehrt und bewundert werden. An deren Seite man so gerne ist und wo gute Gefühle eine Rolle spielen“, sagen Experten wie Sportsoziologin Bettina Rulofs von der Sportuni Köln, die durch ihre europaweiten Studienprojekte täglich mit Missbrauchsfällen zu tun hat.
Ja, es gab und gibt ein Leben abseits des Spielfeldes. Nicht nur in England. Auch hier. Ein Leben, in dem Vertrauen brutal gebrochen wird, Kinderseelen reihenweise geopfert werden. Manche Betrachter und Hörer der Nachrichten der vergangenen Tage mögen es nicht gutheißen, wenn Missbrauchsopfer im Fernsehen verzweifelt weinen. Manche mögen sich bei diesem Anblick fremdschämen. Können nicht verstehen, warum die das nicht im stillen Kämmerlein mit sich selbst austragen, warum sie die ganze Welt mit ihrem alten Seelenmüll zuschütten.
Das sind die, die nichts begriffen haben und die, die auch nichts begreifen wollen. Weil es unbequem ist. Weil es Zeit kostet. Weil es nicht ins Weltbild passt. Das schöne Bild, der schöne Schein. Sportsoziologen sprechen von einem beunruhigenden Desinteresse in deutschen Vereinen, was das Thema Prävention und Aufklärung von sexualisierter Gewalt betrifft. Deshalb ist es gut, dass Englands Fußballskandal in seinem ganzen Ausmaß und seiner Brutalität um die Welt geht.
Der englische Skandal muss ein Weckruf sein für alle Vereine
Der englische Skandal kann nicht nur, er muss ein Weckruf sein für alle Sportvereine! Wer heute noch meint, mit Nichtverstehenwollen seinem Verein einen Gefallen zu tun, ihn damit schützen zu können auf Kosten des Kindswohls, der sitzt auf dem falschen Dampfer. Hier etwas nicht zu begreifen, hier nicht um einfachste Prävention bemüht zu sein, weil man glaubt, es besser zu wissen, ist für den Stand eines Vereines viel gefährlicher.
Vertuschen ist zudem in keinem Lebensbereich ein guter Ratgeber. Täter zu schützen, um den vermeintlich guten Ruf zu wahren, schon gleich gar nicht. Dass Missbrauch in allen Schichten und allen Gesellschaftsbereichen in so einem Umfang stattfinden kann, mag zum Teil dem menschlichen Verdrängungsmechanismus geschuldet sein. Möglich ist er aber nur, weil so viele Menschen wegschauen. Sich Ohren und Augen zuhalten. Sich weigern, einzugreifen, Stellung zu beziehen, sich ohne Wenn und Aber hinter die Opfer zu stellen.
Wer bei diesem Thema dicht macht, wer vorsätzlich wegschaut, wer Wissen zurückhält und damit ermöglicht, dass Kinder weiterhin gequält und gedemütigt werden, der macht sich nicht nur moralisch schuldig, der kann auch laut Strafgesetzbuch wegen Beihilfe zu einer Straftat vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Und das ist richtig. Denn jeder Missbrauch war und ist ein Verbrechen!