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Kommentar:Trumps Grenzverschiebung ist gefährlich
Der US-Präsident interessiert sich weder fürVölkerrecht noch für Geopolitik. Das birgt enorme Gefahren für den gesamten Nahen Osten.
Karl Doemens
Karl Doemens
 |  aktualisiert: 12.04.2019 02:13 Uhr

Aus der Ferne betrachtet, könnte man die Golanhöhen für ein vergessenes Fleckchen Erde halten. Viele Steine, wenig Menschen, mehrere Tausend Rinder und Schafe sowie einige Weinfelder prägen das hügelige Felsplateau zwischen dem See Genezareth in Israel und der syrischen Hauptstadt Damaskus.

Doch die relative Ruhe ist trügerisch. Alle paar Monate muss die israelische Raketenabwehr ein Geschoss abfangen, das mutmaßlich von iranischen Milizen abgefeuert wurde. Die politische Lage ist extrem heikel: Israel hat das gut 1000 Quadratkilometer große Gebiet 1967 besetzt und 1981 annektiert. International wurde die Landnahme nie akzeptiert. Der Golan, der wegen seiner exponierten Lage militärstrategisch von großer Bedeutung ist und Israel einen Teil seines Wassers liefert, gehört offiziell zu Syrien. UN-Blauhelme wachen in einer Pufferzone über die Einhaltung der Waffenruhe.

Der US-Präsident hat in ein Wespennest gestochen

Mitten in dieses Wespennest hat nun US-Präsident Donald Trump gestochen, indem er ohne Rücksprache mit den Verbündeten per Twitter erklärte, nach 52 Jahren sei es für die USA nun Zeit, die Souveränität Israels über den Gebirgszug anzuerkennen. Der Hauptaddressat des Tweets ist nicht schwer auszumachen: Israels Premierminister Benjamin Netanjahu kommt nächste Woche nach Washington und muss sich am 9. April einer äußerst kritischen Parlamentswahl stellen. „Danke, Präsident Trump!“, antwortete der Regierungschef auf Twitter begeistert.

Dass Trump im Alleingang die internationale Rechtslage über den Haufen wirft und sich in einen ausländischen Wahlkampf einmischt, verletzt nicht nur alle Regeln der Diplomatie. Trump setzt sich für einen zwielichtigen Politiker ein, dem daheim eine Anklage wegen Bestechlichkeit, Untreue und Betrug droht. Vor allem birgt es aber enorme Gefahren für den gesamten Nahen Osten. „Diese Entscheidung ist schlecht für die amerikanischen Interessen, schlecht für Israel, aber gut für Trumps Politik und großartig für Bibis (Netanjahu) Politik“, beschreibt der amerikanische Nahost-Experte Ilan Goldenberg das zynische Kalkül.

Trumps Vorstoß ist Wasser auf die Mühlen radikaler Islamisten 

Tatsächlich werden Israels Nachbarn die Grenzverschiebung kaum tatenlos hinnehmen. Die erbosten Proteste der Türkei, des Iran und Syriens vermitteln einen Vorgeschmack auf die drohende weitere Destabilisierung der Region. Trumps Vorstoß ist Wasser auf die Mühlen radikaler Islamisten. Die Konsequenzen müssen andere tragen, denn gleichzeitig will der US-Präsident seine Soldaten aus Syrien abziehen. Schlimmer noch: Die Billigung der Landnahme könnte Israels Rechte ermuntern, ihren Traum von einer Annexion des dichtbesiedelten Westjordanlands umzusetzen. Das wäre dann das endgültige Ende jeder Zweistaatenlösung und könnte einen neuen Krieg auslösen. Dass Trump nebenbei dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Argument für die Rechtfertigung der Krim-Annexion liefert, wirkt im Vergleich dazu fast nebensächlich.

Doch der Narzisst im Weißen Haus interessiert sich weder für Völkerrecht noch für Geopolitik. Ihm geht es alleine darum, seine eigene Position zu stabilisieren und zu stärken. Dafür braucht er die Unterstützung der rechten Evangelikalen und Juden in den USA, die er schon mit der Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und der einseitigen Aufkündigung des Iran-Atomabkommens umwarb.

Seit Wochen fährt Trump nun innenpolitisch eine Kampagne gegen die Demokraten, denen er wegen der Äußerungen ihrer muslimischer Abgeordneten Ilhan Omar und Rashida Tlaib eine israelfeindliche und gar antisemitische Politik unterstellt. Bei Twitter fantasiert er von einem „Jexodus“ – einer gewaltigen jüdischen Austrittswelle bei den Demokraten. Dafür gibt es keinerlei Belege. Doch Trump wird jede Kritik an der Golan-Entscheidung zur weiteren Diffamierung der Opposition nutzen und sich selbst demonstrativ an der Seite Netanjahus zeigen. Er will seine radikale Basis um jeden Preis mobilisieren. Ein öder Gebirgszug auf der anderen Seite der Erdkugel ist dafür aus seiner Sicht ein lächerlicher Preis.

 
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