Das Beste aus beiden Welten: Sebastian Kurz versucht sich mit einer neuen Koalition an der Quadratur des berühmten Kreises. Sein Bündnis mit den Grünen, das schon als stilbildend für halb Europa gefeiert wird, ist allerdings fragiler als es aussieht, zu unterschiedlich sind die Parteien, zu vage viele ihrer Absprachen im Koalitionsvertrag. Eine rigide Migrationspolitik und ein ambitionierter Klimaschutz, für Kurz das Beste aus beiden Welten, schließen sich zwar nicht wechselseitig aus. Der erste Koalitionskrach aber ist schon absehbar: In dem Moment, in dem die Migration über die Balkanroute wieder signifikant zunimmt, werden Österreichs Grüne schnell im Clinch mit Kurz liegen.
Auf den ersten Blick hat sich der alte und neue Kanzler durchgesetzt. Niedrigere Steuern, eine harte Linie im Kampf gegen illegale Migration, die umstrittene Präventivhaft und ein Kopftuchverbot für Schülerinnen: In ihrem Eifer, nun endlich mitregieren zu dürfen, haben die Grünen vieles geschluckt, was für die Grünen in Deutschland schon ein Verrat an der offenen, solidarischen Gesellschaft wäre. Sein zentrales Wahlversprechen aber wird Kurz trotzdem nicht einlösen können - nämlich die Fortsetzung der bisherigen Mitte-Rechts-Politik, der er auch seinen Wahlsieg verdankt. Mit den Grünen an der Seite rückt der Mann, der wie kein anderer in Europa für einen modernen, konsequenten Konservativismus steht, weiter nach links als es für ihn und für seine Partei gut ist. Profitieren wird davon vor allem die rechtspopulistische FPÖ. Für sie ist die neue Koalition nach dem Debakel um das Ibiza-Video ein Konjunkturprogramm.
Die konservative Volkspartei hat deutlich mehr zu verlieren als die Grünen
Kurz geht allerdings nicht nur politisch ein hohes Risiko ein. Die Art und Weise, wie Schwarz-Grün in dieses Abenteuer startet, kratzt auch an seinem sorgsam gepflegten Image als neuer österreichischer Saubermann. Mit den Sozialdemokraten wollte er 2017 nicht mehr regieren, weil ein solches Bündnis wie kein anderes für das alte, verkrustetet Österreich mit seinen Postenschachereien, seinen Intrigen und Nebenabsprachen gestanden hätte. In der neuen Regierung aber waren die wichtigsten Posten und Ministerien schon verteilt, ehe der Koalitionsvertrag überhaupt stand - ein Unding, eigentlich. Kurz und seinen neuen Intimus Werner Kogler aber scheint das nicht zu stören.
Dafür, dass sie aus politischen Parallelwelten stammen, haben die beiden rasch einen Draht zueinander gefunden und ein Bündnis geschmiedet, in dem die konservative Volkspartei deutlich mehr zu verlieren hat als die Grünen. Kogler kann sich immer auf die Position zurückziehen, nur dank der Grünen komme Österreich beim Klimaschutz überhaupt voran - das alleine rechtfertige schon die Beteiligung an der Regierung. Kurz dagegen hat auch viele frustrierte und entsetzte Wähler der FPÖ zur runderneuerten ÖVP geholt. Mit jedem Zugeständnis, das er den Grünen macht, mit jedem noch so kleinen Nachgeben in der Asylpolitik läuft er Gefahr, diese Wähler wieder an die Rechtspopulisten zu verlieren.
Für viele Grüne ist Kurz der politische Gottseibeiuns
Verglichen mit dem, was ihm nun bevorsteht, waren die ersten Kanzlerjahre des Sebastian Kurz ein politischer Sonntagsspaziergang. Mit der FPÖ konnte er sich bei allen Differenzen in Stil und Sache stets auf eine Art konservativen Grundkonsens verständigen. Für viele Grüne dagegen ist Kurz der politische Gottseibeiuns: viel zu konservativ, viel zu dominant und etwas zu smart wohl auch. So souverän er die anderen Parteien bisher auf Abstand gehalten hat, so sehr läuft er nun Gefahr, sich als Kanzler in einer konflikschwangeren Koalition aufzureiben. In Österreich sind Regierungen schon an kleineren Widersprüchen als denen zwischen Kurz und Kogler gescheitert.