Der Schock über die unfassbare Bluttat sitzt tief. Auch zwei Tage danach. Über Würzburg liegt eine bedrückende Atmosphäre. Das Gefühl der Verwundbarkeit ist beim Gang durch die Stadt allgegenwärtig. Es hätte jeden treffen können am vergangenen Freitag, als ein 24-jähriger Mann drei Menschen mit einem Messer tötete und mehrere zum Teil schwer verletzte. All diese Unsicherheit und Trauer vermischt sich jedoch zunehmend mit Solidarität, Zusammenhalt – und Trotz: Gewalttäter können viel zerstören, können Tod und Schrecken verbreiten, aber sie können uns nicht unsere Werte nehmen.
Mit seiner empathischen Art trifft Würzburgs Oberbürgermeister den richtigen Ton
Allen voran Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt verkörpert in diesen schweren Tagen für seine Stadt und die Region vorbildlich diese Haltung. Mit seiner empathischen Art trifft er in seinen öffentlichen Äußerungen den richtigen Ton. Verbreitet keine Worthülsen, sondern drückt aus, was viele Bürgerinnen und Bürger nach der Messerattacke empfinden. Seine eigene Betroffenheit versucht der Rathauschef gar nicht erst routiniert zu verstecken. "Ich habe auch (…) um unsere Stadt geweint", bekennt er offen.
Schuchardt ist nicht blauäugig. Er weiß natürlich, dass Werte wie Solidarität und Zusammenhalt in den kommenden Wochen einer harten Belastungsprobe ausgesetzt sein werden. Geflüchteter, Zuwanderer, Gewalttäter, Glaubenskrieger und Terrorist – Massaker: Auch wenn es nach wie vor keine gesicherten Erkenntnisse zum Motiv des Täters gibt, haben sich einige ihr Urteil längst gebildet. Die AfD läuft sich verbal bereits warm mit der unsäglichen Parole, "Masseneinwanderung" sei auch "Messereinwanderung".
Der Würzburger Ausländer- und Integrationsbeirat sieht zu Recht jetzt eine "gemeinsame Herausforderung" darin, "zu verhindern, dass diese Mordtat in pauschale Anschuldigungen umschlägt, und das Geschehen von zuwanderungsfeindlichen Kräften politisch instrumentalisiert wird". Das schreckliche Verbrechen eines möglicherweise psychisch kranken Flüchtlings darf nicht dazu führen, alle Geflüchteten unter einen Generalverdacht zu stellen. Nicht die Herkunft ist bei Straftätern entscheidend, sondern die Motivlage jedes Einzelnen.
Auch in Momenten der Trauer über die Opfer und der berechtigten Wut auf den Amokläufer darf die Mitmenschlichkeit nicht auf der Strecke bleiben. Über Männer, Frauen und Kinder, die nach einer oft lebensgefährlichen Flucht vor Terror und Verfolgung bei uns Schutz suchen, wird jetzt wieder geredet, als handele es sich bei ihnen um lästige und gefährliche Eindringlinge, die nur eines wollen: sich auf unsere Kosten ein schönes Leben machen. Und die dann zu allem Überfluss noch kriminell werden.
Einen absoluten Schutz für unser Leben kann es in einer offenen Gesellschaft nicht geben
Wichtig ist, die Hintergründe akribisch auszuleuchten, die zum Messerangriff in der Würzburger Innenstadt geführt haben. Das wird Zeit brauchen, da die Grenzen zwischen terroristisch begründeten Taten und psychisch auffälligen Tätern oft verschwimmen. Die Ermittler müssen darüber hinaus Antwort auf die Frage geben, warum sie den 24-jährigen Amokläufer nicht schon im Vorfeld der Tat als potenziellen Gefährder auf dem Schirm hatten. Seine psychische Auffälligkeit war ihnen genauso bekannt wie seine Gewaltbereitschaft. So soll er im Januar bei einem Streit in der Obdachlosenunterkunft zu einem Messer gegriffen und einem Mitbewohner gedroht haben. Das seinerzeit in Auftrag gegebene psychiatrische Gutachten liegt bis heute nicht vor.
Einen absoluten Schutz für unser Leben, soviel ist klar, kann es in einer offenen Gesellschaft nicht geben. Aber es muss alles getan werden für die größtmögliche Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger.