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Kommentar: Die Morde von Hanau verlangen nach Antworten
Stefan Lange (51) ist neuer Leiter des Hauptstadtbüros unserer Zeitung. Zuvor arbeitete er als Teamleiter Politik im Berliner Büro von Dow Jones Newswires und dem Wall Street Journal. Lange ist seit 2001 in Berlin und hat dort unter anderem bei verschiedenen Nachrichtenagenturen gearbeitet. Davor war der gebürtige Friese zwölf Jahre lang als Volontär und Redakteur bei einer Tageszeitung in Jever beschäftigt.
Stefan Lange
 |  aktualisiert: 28.03.2020 02:11 Uhr

Nach den Morden von Hanau nannte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble das Geschehen eine „Wahnsinnstat“. Der erfahrene CDU-Politiker, selbst Opfer eines Anschlags, ist gut darin, ungeheure Vorgänge in einem Wort zusammenzufassen. Auch diesmal ist es ihm gelungen. Was ein Wahnsinn, wenn ein Mann aufsteht, zur geladenen Waffe greift, zehn Menschen umbringt und sich anschließend selbst tötet. So jedenfalls stellte sich in den ersten Stunden der Erkenntnisstand dar. Die weiteren Ermittlungen müssen abgewartet werden. Es scheint aber so zu sein, dass die Taten auf rechtsextremistischem Gedankengut fußen.

Was darüber hinaus kein Schein mehr, sondern Gewissheit ist: In Deutschland passiert gerade etwas, was wir bisher nicht für möglich gehalten haben. Die Ermordung von Menschen, die anders aussehen, anders denken, anders glauben, das war bislang vor allem eine Sache von Amokläufern in den USA oder Selbstmordattentätern in Afghanistan. Jetzt hat der Wahnsinn auch Deutschland erfasst.

Vergiftetes gesellschaftliches Klima

Und ausgerechnet hier in Deutschland mit seiner Nazi-Vergangenheit sind es vor allem rechtsextreme Wahnsinnige, die das Land erschüttern. Vor Hanau war die Enttarnung der rechten Terrorzelle „Gruppe S“. Davor war die Bluttat von Halle, als ein schwerbewaffneter Deutscher eine Synagoge stürmen wollte. Davor war die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, ein Rechtsextremist ist hier tatverdächtig. Davor waren München, Düsseldorf, Mölln, Solingen und noch viele mehr.

Solche Wahnsinnstaten „wachsen in einem vergifteten gesellschaftlichen Klima“, sagte Schäuble. Kanzlerin Angela Merkel äußerte sich ähnlich und nannte Hass und Rassismus ein Gift, das in unserer Gesellschaft existiert. Das Bild ist gut gewählt. Es zieht die Frage nach sich, was getan werden muss, um dieses Gift wieder auszusaugen. Gesetzesverschärfungen braucht es nicht, davon hat es seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 genug gegeben. Das Waffenrecht ist strenger geworden, gerade erst verabschiedete das Kabinett einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Rechtsradikalismus und Hass im Internet.

Eine Wunde, die schnell geschlossen werden muss

Zwei Beispiele sind das nur, sie legen gleichzeitig den Finger in eine Wunde, die schnell geschlossen werden muss: Bundes- sowie Landespolizeien haben gar nicht genug Leute, um jeden Waffenschrank und das gesamte Internet zu kontrollieren. Durch diese und andere Lücken windet sich das Gift, es erreicht Gruppen und zunehmend auch Einzeltäter.

Der Mörder von Hanau scheint ein solcher Einzeltäter gewesen zu sein, einer, der sich selbst radikalisierte und enthemmte. Auch das ist offenbar eine Herausforderung, auf die Deutschland noch nicht vorbereitet ist. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) etwa konnte als eine gefährliche Gruppe fehlgeleiteter Nazis begriffen werden. Dass auch einzelne Männer mit Pullunder und weißem Hemdkragen Ausländer und Migranten ermorden, ist eine andere Entwicklung.

Helfen kann eine ehrliche gesellschaftliche Debatte über die Zustände im Land. Eine Diskussion, die schon in der Schule ansetzt und ganz altmodisch wieder Werte und Normen vermittelt. Die klarmacht, dass Beleidigungen und Morddrohungen im Internet kein Kavaliersdelikt sind und die immer wieder aufgreift, warum im Oktober 2015 so viele Flüchtlinge ins Land kamen.

Das Gift muss raus. Transparenz, Solidarität, Empathie und Ehrlichkeit können das bewirken. Aber schnell muss es gehen, bevor das Gift zersetzt, was unser Land und seine Demokratie ausmachen.

 
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