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Kommentar: Die Limosteuer muss her!
Dass Hersteller bald freiwillig auf billige Geschmacksträger wie Zucker, Salz und Fette verzichten, ist unrealistisch. In der Folge leiden viele. Die Kosten tragen alle.
Auf der ganze Welt schleppen immer mehr Kinder zu viel ungesundes Gewicht mit sich herum.
Foto: dpa,Sebastian Kahnert | Auf der ganze Welt schleppen immer mehr Kinder zu viel ungesundes Gewicht mit sich herum.
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:00 Uhr

Süßer die Plätzchen nie schmecken: Während sich die meisten in der Weihnachtszeit eine extra Portion Kalorien auf der Zunge zergehen lassen, hält Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) dagegen. Die Deutschen sollen gesünder leben. Ihre Strategie: Fertigprodukte sollen künftig weniger Zucker, Fette und Salz enthalten. Ihr Ziel ist hehr. Doch ihr Weg ein Irrweg. Denn die Ministerin setzt darauf, dass Hersteller freiwillig auf billige Geschmacksträger verzichten. 

Geht ihr Plan nicht auf, geht das in erster Linie auf Kosten der Kinder: Schon jetzt gelten 15 Prozent aller Drei- bis 17-Jährigen in Deutschland als übergewichtig und sechs Prozent als adipös. Adipositas berechnet sich bei Kindern anhand bestimmter Normwertkurven - je nach Körperfettanteil, Alter und Geschlecht. Dachte man früher noch, das bisschen Speck verwachse sich in der Pubertät, weiß man heute, dass 80 Prozent der Zehn- bis 14-Jährigen auch als Erwachsene adipös bleiben, wenn sie es erst einmal sind.

Extrem adipöse Jugendliche schätzen ihre Lebensqualität schlechter ein als krebskranke Kinder

Die Folgen werden unterschätzt. Adipositas ist nicht nur schlimm für die Betroffenen, sondern auch teuer für unser Gesundheitssystem. Laut Experten leidet ein Drittel der adipösen Kinder an Bluthochdruck, ein Viertel an einer Stoffwechselstörung, ein Fünftel an Hyperurikämie (Auslöser von Gicht). Ab der Pubertät haben bis zu einem Drittel Glucosetoleranzstörungen, ein Prozent hat  Typ-2-Diabetes und bis zu zehn Prozent eine nicht alkoholische Fettleber-Erkrankung. Extrem adipöse Jugendliche schätzen ihre Lebensqualität schlechter ein als krebskranke Kinder. Bis zu 40 Prozent von ihnen neigen zu Depressionen. Die Lebenserwartung derjenigen, die mit 14 bereits an Typ-2-Diabetes leiden, ist zehn bis 15 Jahre geringer als bei Gleichaltrigen. Adipositas kostet nicht nur Lebensqualität, sondern auch Lebenszeit.

Die Politik muss endlich handeln! Doch offensichtlich haben Kinder in Deutschland eine schlechte Lobby. Anders ist es nicht zu erklären, dass nur ein Bruchteil der Gesundheitskosten für Prävention ausgegeben wird. Dabei sind gut informierte Eltern der Garant für den gesunden Lebensstil ihrer Kinder.

Über 2000 Ärzte haben im Mai in einem offenen Brief an die Bundesregierung drei wirksame Vorschläge gemacht: das Verbot irreführender Werbung für Kinder (wie in Kanada) sowie ein Ampelsystem für gesunde und ungesunde Lebensmittel (wie in Frankreich oder Spanien). Denn wer weiß schon, dass in einem kleinen Kinderjoghurt durchschnittlich sechs Zuckerwürfel enthalten sind? Darüber hinaus sollten ungesunde Lebensmittel höher besteuert und gleichzeitig gesunde Nahrungsmittel wie Gemüse von der Steuer befreit werden.

  • Lesen Sie auch: Spahn unterstützt Vereinbarungen für weniger Zucker und Salz

In Mexiko oder Großbritannien gibt es die Zuckersteuer. Die Folge: Limonaden und Süßgetränke sind dort teurer und werden weniger gekauft. In Großbritannien hat der britische Marktführer Coca-Cola den Zuckergehalt von Fanta und Sprite unter die Fünf-Gramm-Marke gesenkt. Zum Vergleich: In Deutschland enthalten Fanta und Sprite aktuell mehr als neun Gramm Zucker je 100 Milliliter.

Ohne Zuckersteuer und Lebensmittelampel wird sich in Deutschland nichts ändern

Doch was setzt die Ministerin von diesen Ideen um? Offensichtlich nichts. Denn überzuckerte Frühstücksflocken mit aktuell teils mehr als 35 Prozent Zuckeranteil bleiben überzuckert, auch wenn man bis zum Jahr 2025 den Zuckeranteil um 20 Prozent senkt, wie die Industrie jetzt verspricht. Und die Fanta, die bei uns fast doppelt so viel Zucker wie in Großbritannien enthält, würde auch nach der versprochenen Reduktion immer noch viel mehr Zucker enthalten als nötig - und immer noch viel mehr als in England, nämlich 7,2 Gramm. 

Und wenn dann noch der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) argumentiert, am Ende des Tages werde an der Kasse und nicht im Plenarsaal über die Zukunft von Produkten entschieden, ist das der Gipfel. Denn Verbraucher haben oft keine Wahl, entscheiden nach dem Preis oder lassen sich von Produktangaben irreführen. Allein ihnen den schwarzen Peter zuzuschieben und zu verlangen, jedes einzelne Nahrungsmittel im Kleingedruckten akribisch auf dessen Inhaltsstoffe zu prüfen, ist eine Unverschämtheit. Und die darf sich die Politik im Interesse ihrer Bürger nicht bieten lassen.

 
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  • dietmar@eberth-privat.de
    Man kann nur hoffen das für unsere Bundesregierung viel Hirn unter dem Weihnachtsbaum liegt und diese endlich ihre Hausaufgaben macht.
    Es gibt da noch viele andere Themen wie Hardwarenachrüstung bei Diesel, Klimaabkommen, Pflege, Rente, Altersarmut, Integration usw. Die haben dieses Jahr nix gelöst - Setzen, Sechs!
    Leider gibt es für Deutschland auch keine Alternative die man wählen könnte...
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  • Karin.Horst
    Super Kommentar, trifft den Nagel auf den Kopf
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