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Berlin
Kommentar: Die Diagnose lautet Ärztemangel
Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz ist Jens Spahn ein gravierendes Problem angegangen. Weitaus schwieriger wird es aber, den Ärztemangel zu beheben.
Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 04.04.2019 02:12 Uhr

Es ist schlichtweg ein Skandal, wenn Kassenpatienten wochen- oder gar monatelang auf einen Facharzttermin warten müssen. Für die Betroffenen bedeutet das eine nicht zu rechtfertigende Verlängerung ihrer Leiden. Der Ärger der Patienten ist nur allzu verständlich, vor allem dann, wenn sie sehen, dass der privatversicherte Nachbar sofort eine Audienz beim Mediziner des Vertrauens bekommt.

Gesundheitsminister Jens Spahn, der auch nach seiner Schlappe im Kampf um den CDU-Vorsitz noch auf höhere Ämter schielt, hat den so viele Wähler betreffenden Missstand als Chance be- und ergriffen. Beherzt zimmerte er ein ehrgeiziges Gesetzeswerk, dass Behandlung und Terminversorgung für Kassenpatienten spürbar verbessern soll. Die Große Koalition nimmt dafür viel Geld in die Hand und das ist grundsätzlich auch richtig so. Denn eine frühzeitige angemessene Versorgung kann Spätfolgen reduzieren. Nicht nur die Patienten profitieren, sondern die ganze Volkswirtschaft. Krankheitstage werden reduziert, Berufsunfähigkeit kann eher vermieden werden.

Viele Praxen arbeiten bereits am Anschlag

Ohne Zweifel ist Jens Spahn ein gravierendes Problem angegangen. Ob sein neues Gesetz den – im ganz buchstäblichen Sinne – Praxis-Test bestehen wird, muss sich jetzt zeigen. Sicher ist das keineswegs. Spahn macht den Ärzten Vorschriften, hofft auf den Applaus vieler Kassenpatienten, die schon immer glaubten, dass Mediziner ihre Zeit bevorzugt lukrativen Privatversicherten widmen. Die Mediziner müssen künftig etwa deutlich mehr Sprechstunden für gesetzlich Versicherte anbieten, zudem offene Sprechstunden, zu denen Patienten auch ohne Termin kommen können.

In der Realität aber arbeiten viele Praxen bereits jetzt am Anschlag. Mehr geht oft schlichtweg nicht, auch nicht unter Zwang oder für die ebenfalls beschlossenen zusätzlichen Honorare. Der Alltag eines Arztes besteht ja nicht nur aus Sprechstunden, er muss operieren, organisieren, seine Bücher führen und weitere Aufgaben erledigen. An der Hauptursache für die Termin-Misere und viele andere Ärgernisse im Gesundheitswesen ändert das neue Gesetz nichts: Deutschland leidet unter Ärztemangel, gerade im ländlichen Raum. Wo heute ein Landarzt in den Ruhestand geht, findet sich allzu oft kein Nachfolger. Ein Mediziner, der seine Praxis in der Stadt eröffnet, hat mehr potenzielle Patienten, darunter oft auch mehr privat Versicherte, kürzere Wege bei Hausbesuchen, mehr Kollegen, die ihn im Urlaub vertreten können, und eine bessere heilkundliche Infrastruktur in der Nähe.

Mehr Senioren brauchen mehr Ärzte, vor allem Allgemeinmediziner

An attraktiven Standorten ballen sich die Fachärzte, während anderswo ganze Landstriche medizinisch veröden. Längst ist das Problem nicht mehr auf strukturschwache Regionen in den neuen Bundesländern begrenzt, auch reiche Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg werden in Zukunft immer stärker betroffen sein. Verschärft wird das Problem durch eine alternde Gesellschaft – mehr Senioren brauchen mehr Ärzte, vor allem Allgemeinmediziner.

Doch die klassische Hausarztpraxis ist für immer weniger Medizinstudenten erstrebenswert. Enge, von den Krankenkassen gesetzte Budget-Grenzen schränken die Verdienstmöglichkeiten ein, die freilich deswegen noch längst nicht schlecht sind. Aber eben nicht unbedingt so gut, wie bei einem Facharzt in der Stadt. Ein Stückweit ist der Ärztemangel in Wirklichkeit eher eine mangelhafte Verteilung der Ärzte über das Bundesgebiet. Diesen Missstand zu beheben, wird für Gesundheitsminister Jens Spahn weitaus schwieriger werden, als Gesetze über eine schnellere Terminvergaben zu machen.

Erste Ansätze dazu gibt es. Etwa gezielte finanzielle Anreize für die Ansiedlung von Arztpraxen auf dem Land. Oder die Abschaffung des Numerus Clausus für angehende Landärzte, wie sie Nordrhein-Westfalen kürzlich beschlossen hat, die Heimat von Jens Spahn. Mit seiner Kur für das krankende Gesundheitswesen ist der Jungstar der CDU erst am Anfang. Bald schon könnte sich herausstellen: Mediziner, die es in einer bestimmten Region gar nicht gibt, kann auch ein Jens Spahn nicht zwingen, Kassenpatienten schneller zu empfangen.

 
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