In Frankreich ist der Ausnahmezustand längst zur Regel geworden. Ausgerufen im November 2015 nach der Anschlagsserie in Paris, verlängerte ihn das Parlament inzwischen sechs Mal. Die Kritik von Menschenrechtsorganisationen, die vor der unverhältnismäßigen Einschränkung von Rechten und Freiheiten warnen, wurde geflissentlich überhört – auch von der Bevölkerung. Zu groß ist die Angst vor dem Vorwurf der Nachlässigkeit im Fall neuer Attacken, die niemand ausschließen kann. Die Notstandsgesetze galten bereits, als weitere Anschläge nach denen in Paris Frankreich erschütterten – unter anderem vor einem Jahr in Nizza. Denn ein Nullrisiko gibt es einfach nicht.
Bis zum Herbst will die Regierung bisherige Regeln des Ausnahmezustands in ein neues Anti-Terror-Gesetz einarbeiten, das den Sicherheitsbehörden dauerhaft deutlich mehr Befugnisse einräumt – und erneut regt sich kaum Widerstand. So sollen Ermittler künftig auch ohne richterliche Erlaubnis Wohnungen durchsuchen und Computermaterial beschlagnahmen dürfen.
Die Maßnahmen des Anti-Terror-Gesetzes reichen weit
Sie können Hausarrest gegen potenzielle Gefährder verhängen, verdächtige Moscheen und Gebetsräume vorübergehend schließen und bei Großveranstaltungen Sicherheitszonen einrichten. Daneben wird das Personal beim Militär, der Polizei und den Geheimdiensten aufgestockt. In den Straßen patrouillierende Soldaten sind ohnehin längst ein gewohntes Bild in Paris und anderen französischen Städten.
Diese Maßnahmen gehen weit, vielleicht zu weit, weil sich das Gleichgewicht von Freiheit und Sicherheit entscheidend verschiebt. Und ein Zurück erscheint unwahrscheinlich, auch wenn sich die Terrorgefahr wieder verringert.
Es ist Frankreichs Reaktion auf den Druck, den die permanent präsente Anschlagsgefahr erzeugt. Das Land ist sich bewusst, dass es wie einige weitere westliche Staaten eine besondere Zielscheibe von Islamisten ist – auch aus dem eigenen Land.
Die Profile bisheriger Attentäter zeigten schließlich, dass es sich oft um gescheiterte Existenzen handelte, um Kleinkriminelle, die nie ihren Platz fanden und oft in den Randzonen der Städte aufwuchsen, die seit langem zu den großen, ungelösten Problemen Frankreichs zählen. „Tickende Zeitbomben“ werden die extrem gewaltbereiten jungen Männer (und seltener auch Frauen) in den vernachlässigten sozialen Brennpunkten oft genannt.
Das Selbstbewusstsein des Landes hat schwer gelitten
Doch gegen die Bedrohung durch Angreifer, die mit Lastwagen, Messern oder relativ leicht zu beschaffenden Schusswaffen Massaker anrichten, kann die prunkvolle Demonstration von Macht und Stärke, die die Militärparade am französischen Nationalfeiertag an diesem Freitag ist, wenig ausrichten. Diese Tradition geht auf eine Zeit zurück, als Kriege noch nicht asymmetrisch waren und die Gegner noch leichter zu identifizieren. Und doch ist diese jährliche Veranstaltung wichtig für das französische Selbstbewusstsein, das durch die mörderischen Schläge von Terroristen schwer gelitten hat.
Auch die Wahl von Emmanuel Macron markiert einen Neuanfang und hat dem Land frischen Schwung gegeben. Es darf zwar nicht übersehen werden, dass längst nicht alle Franzosen von ihrem jungen Präsidenten überzeugt sind. Doch noch überwiegt der Optimismus: Ein neuer, dynamischer Stil ist eingezogen. Es gibt neuen Mut. Und neue Hoffnung.
Auch der Blick der Welt auf Frankreich hat sich aufgehellt. Äußerst bedacht auf symbolische Gesten legt Macron großen Wert auf den deutsch-französischen Schulterschluss, hat nun aber auch US-Präsident Donald Trump zum Militär-Défilé auf den Champs-Élysées eingeladen. Frankreich steht auf Augenhöhe mit den Großen, signalisiert das. Die nach außen demonstrierte Stärke reicht zwar nicht, wenn das Land im Inneren wankt. Doch es scheint sich zu festigen und zu stärken – zu wünschen ist es ihm.