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Augsburg
Kommentar: Der Widerspruch der Gesellschaft
Für das Klima, aber gegen teuren Sprit und Stromtrassen: Warum wir uns ständig in einem inneren Interessenskonflikt befinden und was man dagegen tun kann.
Die meisten Menschen sind für mehr Klimaschutz - aber nicht, wenn dafür die Spritpreise angehoben werden.
Foto: Sina Schuldt, dpa | Die meisten Menschen sind für mehr Klimaschutz - aber nicht, wenn dafür die Spritpreise angehoben werden.
Christian Imminger
 |  aktualisiert: 17.01.2020 02:11 Uhr

Das innere Gaspedal erst einmal kräftig durchgedrückt dürfte am Mittwoch manch ein Pendler haben, als er von der Forderung des Umweltbundesamtes für einen wirksamen Klimaschutz auf der Straße hörte: Um bis zu 70 Cent pro Liter müsste demnach der Spritpreis steigen, die Pendlerpauschale gleichzeitig wegfallen. Hinten runter fallen kann da hingegen schon mal, zumal wenn die Drehzahl ohnehin im roten Bereich ist, dass eine schrittweise Umsetzung bis zum Jahr 2030 nebst einer sozialen Kompensation vorgeschlagen wurde.

Egal, am Anfang steht erst einmal eine Zahl, und ein bisschen erinnert das Ganze an den berühmten Fünf-Mark-Beschluss der Grünen 1998 mit seinen (fast) verheerenden Folgen bei der Bundestagswahl. Umso mehr dürfte sich manch ein Ökoveteran von damals oder Grünen-Wähler von heute, der mit dem Rad von seiner Altbauwohnung ins Büro fährt, bestätigt fühlen.

Je nach Rolle kann man gleichzeitig für und gegen etwas sein 

Das Problem dabei ist: Beide Positionen sind legitim, beide Seiten haben erst einmal recht. Gerade beim Thema Klimaschutz zeigt sich nämlich, dass Betroffenheit und Betroffenheit einen Unterschied machen, zeigen sich die Widersprüche moderner Gesellschaften. Und damit ist nicht nur der erwähnte Pendler/Radler-, also der oft zitierte Stadt-Land-Konflikt, der Unterschied zwischen einzelnen Milieus gemeint. Vielmehr geht dieser Widerspruch, zieht sich diese Konfliktlinie durch uns alle. Denn wer wäre denn grundsätzlich dagegen, also gegen mehr Klimaschutz?

Doch wenn es konkret wird, wenn der Einzelne mit Folgen und Kosten konfrontiert wird, sieht das Ganze bekanntlich schon wieder etwas anders aus. Beispiele für diese Binse gibt es zuhauf, ob es nun um das Einkaufsverhalten der Menschen oder sogenannte Monstertrassen geht, die man dann doch lieber nicht in der Nachbarschaft haben mag - not in my backyard („Nicht in meinem Hinterhof“).

Bevor man sich nun aber im Sinne der reinen Lehre über solcherart St. Florians-Prinzip mokiert - welchem Hausbesitzer (der in seiner Freizeit womöglich gar Kröten über die Straße trägt oder sich sonstwie engagiert) kann man denn etwa nicht nachsehen, wenn er sich gegen den Wertverlust seiner Immobilie wehrt? Er agiert in diesem Fall eben in seiner Rolle als Hausbesitzer.

Die Paradoxien nehmen eher zu als ab 

Es sind diese Widersprüche, die erst mal auszuhalten sind, und diese Widersprüche und Paradoxien nehmen in komplexen Gesellschaften eher zu als ab. Das zeigt sich nicht nur beim Klima- und Naturschutz (auch hier besteht im Übrigen teilweise schon ein Widerspruch, wenn etwa Naturschützer vor zu vielen Wasserkraftwerken warnen). Das zeigt sich auch an einem anderen Dauerthema dieser Tage, nämlich der Auseinandersetzung um die „Schwarze Null“: Als Steuerzahler mag man das Prinzip, dass der Staat keine Schulden macht, vielleicht ja intuitiv begrüßen - und gleichzeitig in seiner anderen Rolle als Sparer, als Akteur an den Finanzmärkten über die niedrigen bis negativen Zinsen schimpfen. Paradox auch das, und es gäbe noch viele andere Beispiele für solche Widersprüche, die erst einmal unhintergehbar.

Was allerdings ginge: Diese Widersprüche offenzulegen, wozu sachlich informierende Medien gefragt wären, eine ebenso sachliche Diskussion darüber und schließlich das Überführen dieser Widersprüche in eine Politik, die das Ganze im Blick hat und zwischen einzelnen Akteuren vermittelt, aber auch jedem einzelnen Akteur erklärt, warum er welche Folgen zu tragen hat. Doch bekanntermaßen will Politik auch gewählt werden - und von den Vorschlägen des Umweltbundesamts ist folglich auch nichts im Klimapaket zu finden. Wer wählt aber wiederum Politik? Keine Frage: Wir müssen uns alle bei unseren eigenen Widersprüchen packen.

 
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  • W. K.
    So viele Pendler wären froh, nicht pendeln zu müssen. Aber wenn er am Ort keine Arbeit findet oder gar die Firma den Standort verlegt, dann wird er eigentlich zum Zwangspendler und dann auch noch doppelt bestraft.
    In meinem Fall bin ich jahrelang gerne mit Bahn und Bus von Rottendorf nach Würzburg gefahren. Mit Umorganisationen und neuem Chef wurde die Arbeitszeit dann so unplanbar, dass die Benutzung des öPNV nicht mehr möglich war.
    Die Klima-Politik sollte daher auch versuchen, die Arbeitgeber mit zu belasten.
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  • M. M.
    Problem sind auch die ganzen Büro-Pendler, die teilweise sogar wegen Halbtagsjobs zig Kilometer zurücklegen (müssen).
    Seitens des Gesetzgebers und der Arbeitgeber müsste hier viel mehr das Homeoffice gefördert werden. Zumindest einige Tage die Woche wäre es für die meisten ohne weiteres möglich, von Zuhause aus zu arbeiten.
    Für was haben wir den ganzen technischen Fortschritt und die Digitalisierung?
    Leider herrscht in diesem Punkt in Betrieben seitens der Vorgesetzten oft noch die "derhem schaffd der/die doch nix" - Mentalität. Hauptsache anwesend im Büro....
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  • R. S.
    Sehr guter Kommentar. Genau das Problem erkannt!
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