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Würzburg
Kommentar: Das Paktieren mit der AfD ist inakzeptabel und beschämend
Die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen stellt einen Tabubruch dar
Kurz nachdem Thomas Kemmerich ins Amt des thüringischen Ministerpräsidenten gehievt wurde, gab es schon die ersten Proteste.
Foto: JOHN MACDOUGALL, AFP | Kurz nachdem Thomas Kemmerich ins Amt des thüringischen Ministerpräsidenten gehievt wurde, gab es schon die ersten Proteste.
Michael Reinhard
Michael Reinhard
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:11 Uhr

So, wie dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist es gestern wohl sehr vielen Menschen in Deutschland gegangen, als sie das Wahlergebnis aus dem Erfurter Landtag hörten. Sie zeigten sich, wie der Würzburger Internist Josef Schuster, "entsetzt, dass sich der Landes- und Fraktionschef der FDP mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen".  SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil übertreibt keineswegs, wenn er das im Vorfeld kaum für möglich gehaltene Abstimmungsergebnis als "einen Tiefpunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte" bezeichnet. Selbst die FDP-Politikerin Agnes Strack-Zimmermann, Beisitzerin im Bundesvorstand, findet es "unter Demokraten inakzeptabel und unerträglich, sich von jemandem wie Höcke wählen zu lassen".

Ein Tabubruch - und ein historischer Einschnitt

Der Tabubruch von Thüringen ist ein historischer Einschnitt. Denn erstmals hat sich hierzulande ein Politiker mit Hilfe der AfD in das Amt eines Ministerpräsidenten wählen lassen. Thomas Kemmerich hat seinen überraschenden Erfolg gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) einem perfiden Spiel der Rechtspopulisten zu verdanken. Das Ganze wäre aber nicht möglich gewesen, hätte sich die CDU bei der Wahl ihrer Stimmen enthalten.

Die Afd hatte im dritten Wahlgang den parteilosen Oberbürgermeister der thüringischen Gemeinde Sundhausen, Christoph Kindervater, ins für ihn aussichtslose Rennen geschickt - ohne ihm anschließend ihre Stimmen zu geben. Denn das Kalkül des Landesvorsitzenden Björn Höcke, Gründer des rechtsnationalen "Flügels" seiner Partei, war ein anderes: Er wollte einerseits die Wiederwahl des linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow verhindern, um Thüringen "nicht noch einmal diesen Gesellen auszuliefern". Zum anderen machte er keinen Hehl daraus, dass die AfD alles daransetze, sich zum Teil einer "bürgerlichen Mehrheit" im Landtag zu machen.  

Die Afd ist keine bürgerliche Partei

Das erste Ziel ist dem Rechtsextremisten gelungen, das zweite nur vordergründig. Denn die "Alternative für Deutschland" ist auch nach dem Thüringen-Dammbruch keine bürgerliche Partei, sondern bestenfalls eine rechtspopulistische, wenn nicht gar eine rechtsextreme. Sie gibt sich anti-elitär, antipluralistisch und reklamiert für sich, den "wahren Volkswillen" zu vertreten. Einige ihrer Repräsentanten verbreiten rechtsradikales, antisemitisches und völkisches Gedankengut. Diese Attribute sind ziemlich genau das Gegenteil von Bürgerlichkeit.

Schließlich wird der Höcke-Flügel nicht grundlos vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus eingestuft. CDU und FDP haben sich also im Thüringer Landtag sehenden Auges mit einem Mann eingelassen, der  es beispielsweise als "ein Problem“ betrachtet, dass „Hitler als absolut böse dargestellt wird“, und dass es nicht so „Schwarz und Weiß“ sei. Angesichts solch kruder Ansichten verwundert es nicht, wenn Höcke als zentrales Ziel seiner Partei eine Säuberung Deutschlands von "kulturfremden" Menschen fordert. In seinem Buch "Nie zweimal in denselben Fluss" schreibt er: "Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein groß angelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein." Der  Rechtsextremismusforscher Hajo Funke hat keinen Zweifel daran, was der Thüringer AfD-Chef damit meint: "Er will also Millionen Bürger aus dem Land verbannen."

Nur wenige Tage, nachdem wir der Befreiung von Auschwitz vor 75 Jahren gedacht haben, lässt sich ein FDP-Politiker von solch antiliberalen Rassisten zum Ministerpräsidenten wählen. Ein fatales Signal, das weit über Thüringen hinaus reichen wird. Ês scheint, als hätten einige Politiker nichts aus unserer Geschichte gelernt. Das ist beschämend - und wirft ein besorgniserregendes Licht auf den Zustand der liberalen Demokratie.

 
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  • B. L.
    Es ist eine Schande, dass ein Redakteur, wie Sie Herr Reinhard, nicht neutral berichten können.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Es ist ja auch kein Bericht sondern ein Kommentar. Daher ist es auch keine Schande. Thema verfehlt.
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  • A. G.
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette und wurde daher gesperrt.
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  • S. C.
    Ja und es ist ebenfalls eine Schande, daß beim gestrigen Artikel (kein "Kommentar" zu diesem Thema die unliebsamen Antworten zensiert wurden. Danach hat man auch die restlichen Kommentare gelöscht und die Kommetarfunktion deaktiviert.
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  • R. D.
    Das Mittel der Demokratie ist die freie und geheimd Wahl und die wurde durchgeführt. Nur weil einem das Ergebnis nicht passt soll es undemokratisch gewesen sein? Ist nicht auch in Bremen eine Minderheitsregierung an der Macht?
    Wenn es wirklich um die Menschen und das Land gehen würde, dann könnten doch auch die drei Linksparteien, die auch keine Mehrheit haben, mit der FDP und CDU in Sachfragen zusammenarbeiten, oder? Oder geht es doch nur um Parteitaktik und Macht?
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  • L. W.
    @ James

    Das haben doch die "drei Linksparteien" versucht. Wer sich verweigert hat war Mike Mohring von der CDU auch nur in einzelnen Fällen mit der Linken zusammen zu arbeiten.
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  • R. Ö.
    Eine Partei, die einem nicht in den Kram passt, verbieten zu wollen, dass ist widerlich und verstößt gegen die Grundsätze der "sogenannten Demokratie"!!!
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  • G. B.
    Also ich mag die FDP nicht besonders. Und schon gar nicht die AFD.
    Was ich aber auch absolut nicht mag:
    Dass sofort nach Neuwahlen geschrien wird, wenn man mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden ist.
    Es hätten sich doch auch CDU, SPD und Grüne zur Wahl des Ministerpräsidenten aufstellen lassen können - aber nein, sie haben es nicht getan und motzen jetzt, dass der FDP Mann so dreist sein kann, und die Wahl angenommen hat.
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  • S. C.
    Zitat: "So, wie dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist es wohl sehr vielen Menschen in Deutschland gegangen, als sie das Wahlergebnis aus dem Erfurter Landtag hörten. Sie zeigten sich, wie der Würzburger Internist Josef Schuster, "entsetzt, dass sich der Landes- und Fraktionschef der FDP mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen"
    Ich denke mal, wesentlich mehr Menschen finden das Wahlergebnis einfach nur in Ordnung.

    Sehr drollig: gerade die, die der AfD immer antidemokratisches Verhalten vorwerfen, regen sich nun über einen FDP-MP auf?

    Demokratie paßt den Altparteien wohl nur in den Kram, wenn das für sie gewünschte Ergebnis herauskommt?
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  • O. O.
    Ich finde es einfach ekelhaft was einen Menschen mit geilheit auf Macht dazu treibt sich so wie Kemmerich zu verhalten. Ein einfaches "Ich nehme die Wahl nicht an " hätte gereicht. Jetzt wird er der Totengräber der FDP. Hoffentlich
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  • E. H.
    So so, der FDP- Mann Kemmerich soll nicht Ministerpräsident bleiben? - Was ist die Konsequenz? Ramelow, der Vorzeige- Linke wird ggf. wiedergewählt MIT Unterstützung/ Duldung der CDU/CSU, der SPD, der Grünen ... Soviel zu Abgrenzung gegen "links"...  

    Und immer wieder lesenswert - die Auslandspresse: https://www.nzz.ch/international/deutschland/tabubruch-ein-skandal-das-ist-demokratie-ld.1538784
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  • H. H.
    "Und immer wieder lesenswert - die Auslandspresse: https://www.nzz.ch/international/deutschland/tabubruch-ein-skandal-das-ist-demokratie-ld.1538784" - diese Aussage ist (gewollt unter ungewollt) irreführend.
    Denn sie legt nahe, dass die Auslandspresse (offensichtlich gegenüber der deutschen "Mainstream-Presse") durchgehend wohlwollender über die Geschehnisse berichtet.
    Das ist nicht der Fall: z.B. "La Presse de la Manche" (Frankreich), "Der Standard" (Österreich) oder "Tages-Anzeiger" (Schweiz) haben sich kritisch und besorgt geäußert; vgl. https://www.stern.de/politik/deutschland/internationale-presse-zu-thueringen---es-gibt-keinen-grund--das-ergebnis-moralisch-zu-verurteilen--9124748.html.

    Die NZZ ist für ihr marktliberales und (tendenziell rechts-)konservatives Profil bekannt. Kein Wunder, dass sie sich also wohlwollend positioniert.
    Repräsentativ für "die Auslandspresse" ist sie aber keinesfalls. Sie sehen mehrheitlich die Sache wie sie ist: eine schwarze Stunde für die Demokratie
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  • F. R.
    Die Parallelen machen Angst!

    In Thüringen begann die nationalsozialistische Herrschaft. Juden wurden aus Ämtern enthoben und das Bauhaus aus Weimar vertrieben, das nach Dessau ausweichen musste. Gerade feierten wir 100 Jahre Bauhaus. Und 1933 stimmte die Vorläuferpartei der Union, das Zentrum, fürs Ermächtigungsgesetz.
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  • S. B.
    Der Vergleich mit der nsdap ist reine Hysterie.
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  • J. S.
    Hysterie sehe ich hier nicht.
    Es ist ein Vergleich.
    Keine Gleichsetzung.

    Hysterisch ist der aktuelle Jubel der Rechtsextremen.
    Und dabei wird durchaus bedeutungsschwanger Bezug genommen auf "große Zeiten".
    .

    Wir brauchen gute Schulen für alle und viel mehr guten Unterricht in Geschichte und Sozialkunde!

    Und wir brauchen mehr handfeste Solidarität in unserer Gesellschaft, damit den Angstmachern die Klientel ausbleibt.
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  • F. K.
    Mal eine hypothetische Frage:
    Wenn Herr Ramelow von ALLEN Landtagsabgeordneten gewählt worden wäre (incl. AFD)... dann dürfte er ja eigentlich die Wahl nicht annehmen, da er ja auch die Stimmen von der AFD hätte...
    oder wie ist es dann?
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  • U. L.
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette und wurde daher gesperrt. 1. Bitte geben Sie seriöse Quellen für Ihre Behauptungen an.
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  • U. L.
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette und wurde daher gesperrt. Bitte geben Sie seriöse Quellen für Ihre Behauptungen an.
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  • B. L.
    @RProkopf Widerlich ist, wenn man demokratische Spielregeln nicht akzeptiert. Info die AfD ist eine vom Volk gewählte Partei.
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  • G. W.
    Demokratische Spielregel :
    Eine Partei stellt einen Kandidaten auf, und wählt dann geschlossen den Gegenkandidaten.

    So was folgt keiner demokratischen Spielregel.
    Solches Vorgehen ist schlicht Betrug am Wähler nach Art der Faschisten.

    Und Herr Kemmerich wäre als aufrechter, naja, besser ehrlicher Kandidat sicher nicht erst beim dritten Wahlgang ins Rennen gehüpft.
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