Was war das nur für ein unglaublicher, atemberaubender Herbst vor 30 Jahren, als entschlossene Bürger die autoritär-sozialistische DDR-Diktatur in die Knie zwangen. Als Demonstranten friedlich den Weg zum historischen Wunder der deutschen Einheit bahnten. Und eine Mauer niederrissen, die quälend lange Jahre als unüberwindbar galt, Familien, Liebende und einen ganzen Kontinent trennte. Eine friedliche Revolution, getrieben von einem unbändigen Hunger nach Freiheit – über den viele im satten, wohlstandsverwöhnten, selbstzufriedenen Westteil Deutschlands nur staunen konnten.
Welchen Mutes es bedurfte, sich einem der effektivsten, brutalsten Sicherheitsapparate, die es je gegeben hat, entgegenzustellen, ist bis heute kaum vorstellbar. Die Stasi hatte nicht nur überall ihre Spitzel. Sondern auch Mittel und Macht, Systemgegner in ihren Gefängnissen verschwinden zu lassen. Trotzdem forderten Zigtausende diese unheimlichen Staatsmacht heraus.
In immer mehr Städten der DDR schlossen sich immer mehr Menschen der Bürgerrechtsbewegung an, trugen ihren Protest auf die Straßen. Niemand konnte ausschließen, dass das Regime mit blutiger Gewalt gegen die friedlichen Demonstranten vorgehen würde. In den Kasernen wartete die bis an die Zähne bewaffnete Nationale Volksarmee.
Angst vor der „chinesischen Lösung“
Monatelang stand zu befürchten, dass das SED-Regime zur „chinesischen Lösung“ greifen würde. Im Juni 1989 war das Militär in Peking mit Panzern gegen protestierende Studenten vorgegangen und hatte ein Massaker angerichtet. Den Druck auf das DDR-Regime erhöhten zudem all die Menschen, die bereit waren, alles zurückzulassen, um in Freiheit leben zu können. Über Ungarn und die Tschechoslowakei gelang immer mehr DDR-Bürgern die Flucht nach Westen. Am Ende dieses unglaublichen Herbstes fiel die Mauer. Der Grundstein für die Wiedervereinigung am 3. Oktober des Folgejahres war gelegt.
Zur Wahrheit gehört: Ja, es ist dann auch vieles schiefgegangen nach der Wende vor 30 Jahren. Das anschließende Zusammenwachsen dessen, was zusammengehört, war nicht frei von Verletzungen und Rückschlägen. Da muss noch über vieles gesprochen werden.
Nach den Gründen für den tief sitzenden Frust fragen
Über das nach wie vor bestehende Wohlstandsgefälle, über das sich in vielen Teilen der neuen Bundesländer ausbreitende Gefühl des Abgehängtseins. Darüber, dass eben längst nicht überall blühende Landschaften entstanden sind. Darüber, dass Lebensträume in der harten Realität der Marktwirtschaft platzten wie Seifenblasen. Dass Freiheit für viele erst einmal Arbeitslosigkeit bedeutete.
Es ist wichtig, genau nach den Gründen für den tief sitzenden Frust vieler Ostdeutscher zu fragen. Nicht nur, aber eben auch, weil er sich in den Wahlerfolgen der rechtspopulistischen AfD äußert. Es ist gut, dass jetzt eine Art Aufarbeitung der Nachwendezeit begonnen hat. Aber es muss eben auch mal Zeit sein, das Positive, dass das, was nicht so gut gelaufen ist, weit überstrahlt, zu würdigen. Ohne jedes nationale Triumphgeheul und stets im Bewusstsein, dass die deutsche Teilung direkte Folge des vom Nazi-Regime begonnenen Zweiten Weltkriegs war. Gerade mit Blick auf die dunklen Seiten deutscher Geschichte sind 30 Jahre Wende ein Anlass zum Feiern. Im Osten wie im Westen der Republik. Und wer sich dabei die Fernsehbilder aus dem Herbst 1989 wieder ansieht, dem kommt unweigerlich ein Gedanke: Nur ein Bruchteil von dem Mut, der Unerschrockenheit, der Aufbruchsstimmung würde heute, in diesen so verzagten Zeiten, guttun.