
An andere Politiker erinnert die Riester-Rente oder das Hartz-Konzept. Nach Walter Kolbow ist keine Bundeswehr-Reform benannt, auch keine der noch zahlreicheren Affären in dem Ressort. Aber die „Kolbow-Kur“ trägt seinen Namen, ein Reha-Programm, das auf Betreiben des einstigen Staatssekretärs im Verteidigungsministerium für Soldaten nach dem Auslandseinsatz geschaffen wurde. „Man könnte schlimmer in Erinnerung bleiben“, schmunzelt der SPD-Politiker aus Würzburg, der am Sonntag 70 Jahre alt wird.
Sein Bart ist grauer geworden, der Schritt ein wenig bedächtiger, aber noch immer ist er viel auf Reisen. „Ich habe da ganz gute Kontakte“, ist nach wie vor ein geflügeltes Wort. Kolbow ist noch immer auf Augenhöhe, wenn es um Fragen der Außen-und Sicherheitspolitik geht – und eine Eigenschaft ist ihm geblieben, die ihm bei Experten viel Wertschätzung brachte, aber Journalisten zur Weisglut trieb, die schnelle Antworten auf einfache Fragen suchten. Penibel wägt er noch immer alle „wenn“ und „aber“ zu einem Problem ab, ehe er zu einer fundierten Einschätzung der Lage kommt.
Kurz vor seinem 70. Geburtstag am Sonntag häufen sich die Glückwünsche: Gerd Schröder hat geschrieben, unter dem Kolbow als Staatssekretär die Spitze seiner Laufbahn erreichte – und seine schwierigste Aufgabe zugeteilt bekam: als Koordinator für Flüchtlingsfragen in der Kosovo-Krise 1999. Der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering gratuliert. Außenminister Frank-Walter Steinmeier („Wir brauchten Dich im Kosovo als Scharnier unserer Außenpolitik“) wollte eigentlich beim Empfang im Luisengarten in Würzburg die Rede halten. Weil er verhindert ist, redet ein anderer, dessen Erscheinen zeigt, dass „Freund“ kein leeres Wort für ihn ist: Jean Asselborn, der Außenminister von Luxemburg, hat an gleichen Tag 65. Geburtstag – und kommt dennoch.
Auf der Zielgeraden seiner politischen Laufbahn wirkt Kolbow mit sich im Reinen. „Ich habe mehr Zeit und eine sehr verständnisvolle Frau, die weiß, dass ich nach 29 Jahren im Bundestag nicht einfach so aufhören kann.“ Er ist als Anwalt tätig und stolz darauf, dass nicht nur die Partei seinen Rat sucht. Die Bundesregierung berät er in einer Kommission mit dem Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) zu der Frage: Wann muss das Parlament von der Bundesregierung vor Auslandseinsätzen gefragt werden?
An seinem Geburtstag werden viele Redner die Erinnerung aufleben lassen, dass Kolbow standfest als einer der Ersten das „Nein“ von Kanzler Gerhard Schröder verteidigte, dem US-Präsidenten George W. Bush in den Irak-Krieg zu folgen. Die Frage, ob Kolbow in Mainbernheim dabei Bush „Diktator“ genannt hatte, war sogar der „Washington Post“ eine Schlagzeile wert.
Die Erinnerung an endlose Parteitage, zähe Diskussionen, Hinterzimmer-Politik abseits der großen Bühnen verblasst allmählich mit den Jahren im Ruhestand. Oft sind die Akteure in träger Routine gefangen – und im frustrierenden Gefühl, persönlich nichts bewegt zu haben. Doch selten gibt es magische Momente, die ein ganzes Politikerleben aufwiegen können. Wie der an einem heißen Juni-Tag vor 15 Jahren im Flüchtlingslager Cegrane, an der Grenze zwischen Mazedonien und Kosovo. Tausende waren in die Auffanglager nach Mazedonien geflohen. Kein Baum gab Schatten, in den Zelten war es brüllend heiß. Es stank nach faulen Lebensmitteln und Menschen, die nicht genug Wasser zum Waschen haben.
Kolbow besuchte als Beauftragter der Bundesregierung das Lager: Hier ein Gruß, dort ein Händedruck, ein Blick in die Zelte. Er wirkt grau, trug sichtbar an der Last der Aufgabe. Arbeitstage mit 14 Stunden waren die Regel, Termin jagte Termin. Aber für die Kinder im Lager schien der bärtige Mann im Anzug mit den Soldaten im Gefolge mehr als Abwechslung im öden Lageralltag. Sie drängelten um ihn, fassten ihn an, riefen „Nato, Nato“. Und plötzlich schien der sonst manchmal so spröde Verwaltungsjurist eine Erscheinung zu haben: Er lächelte, breitete über den Kindern die Arme aus und rief auf Englisch: „Wir bringen euch alle heim.“ Wie ein Mantra wiederholte er dieses Versprechen immer wieder. Er wirkte euphorisiert, als habe er gerade erfahren, wie Politik auch sein kann.
Vorher und später sah er im Kosovo das Grauen: Menschen auf der Flucht und solche, die nicht rechtzeitig flüchten konnten. Der Geruch der Massengräber ließ ihn monatelang nicht los, noch nach der Rückkehr an den Schreibtisch in Berlin. Dass er psychologische Hilfe suchte und fand, hat er keinem auf die Nase gebunden und erst später auf Nachfrage zögerlich bestätigt. Heute sagt er: „Das ist Teil meiner politischen Biografie und es war ja für etwas gut: Ich habe deshalb früher als andere verstanden, dass die Nachbereitung der Auslandseinsätze für die Soldaten ebenso wichtig ist wie die Vorbereitung.“
Dass die Kinder vom Lager Cegrane heute wieder im Kosovo sind, macht ihn glücklich – und ein wenig stolz, weil er sagen kann: Ich konnte etwas bewegen. Nicht vielen Politikern ist das vergönnt. Aber das zählt mehr als das goldene Schild des „Beauftragten der Bundesregierung“, mehr als ein Buch, das er danach schrieb – sogar mehr als der Begriff „Kolbow-Kur“.