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Knobloch: „Ich weiß nicht, ob ich als junge Jüdin heute bleiben würde“
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 02.04.2019 14:29 Uhr

Charlotte Knobloch war von 2006 bis 2010 Präsidentin des Zentralrats der Juden und ist auch im hohen Alter noch eine streitbare Verfechterin ihrer Sache. Seit 1985 ist sie Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Die 86-Jährige gilt als Vertreterin des liberalen Judentums. Wäre sie noch einmal jung – sie wüsste nicht, ob sie in Deutschland bliebe, erzählt sie im Interview.

Frage: Frau Knobloch, Sie waren zwölf Jahre alt, als der Krieg und die Naziherrschaft ein Ende hatten. Was hat Ihre Familie damals bewogen, in Deutschland zu bleiben?

Charlotte Knobloch: Nachdem meine Eltern sich 1937 hatten scheiden lassen, kam meine Großmutter zu uns, um sich um mich zu kümmern. Als die Lage für uns Juden dann immer gefährlicher wurde, bat mein Vater einen Onkel in den USA, alles vorzubereiten, damit wir nach Amerika auswandern können. Meine Großmutter allerdings hätten die Amerikaner wegen ihres Alters nicht aufgenommen – und weil mein Vater seine Mutter nicht alleine in Nazi-Deutschland zurück lassen wollte, sind wir geblieben.

Haben Sie später je daran gedacht, Deutschland den Rücken zu kehren?

Knobloch: Ich habe den Krieg ja quasi mit einer fremden Identität überlebt – bei einer ehemaligen Hausangestellten in Oberfranken, die mich aufgenommen und als ihr uneheliches Kind ausgegeben hat. Als mein Vater mich nach dem Krieg dann nach München zurückgeholt hatte, wollte ich eigentlich nur noch weg. Ich wollte die Menschen, die uns gedemütigt, beleidigt, angespuckt und verraten haben, nicht mehr sehen, sondern möglichst schnell zu meinem Onkel in die Vereinigten Staaten. Dann habe ich meinen späteren Mann kennengelernt, der ebenfalls seine Auswanderung betrieb, wir haben geheiratet und bald schon hat sich das erste Kind angekündigt. Als alles so weit war, dass wir hätten gehen können, war ich allerdings im siebten Monat schwanger – und wäre nicht mitgenommen worden.

Das heißt, Sie haben sich eher notgedrungen mit Deutschland arrangiert?

Knobloch: Wir waren damals sehr traurig und hielten unser Auswanderungsersuchen auch aufrecht. Ich hatte mich inzwischen zur Schneiderin ausbilden lassen, weil ein Beruf eine Voraussetzung für die Aufnahme in den USA war, doch als die Papiere endlich alle fertig waren, war unser zweites Kind unterwegs. Also haben wir gesagt, wir wandern aus, wenn die Kinder größer sind. Dann kam noch ein drittes Kind – und die gepackten Koffer blieben auf dem Speicher stehen.

Auch heute denken Juden in Europa an Auswanderung. Vor allem aus Frankreich sind sie zu Tausenden vor der zunehmenden antisemitischen Gewalt geflohen. Sehen Sie ähnliche Tendenzen in Deutschland?

Knobloch: Ja. Vor allem junge Familien kommen immer wieder zu mir und fragen mich, ob sie als Juden in Deutschland noch eine sichere Zukunft haben. Den aggressiven Antisemitismus, den wir heute wieder erleben, kannten sie bislang nur aus Erzählungen.

Und was raten Sie diesen Familien?

Knobloch: Ich erzähle ihnen, wie das damals bei mir war, dass auch ich an Auswanderung gedacht habe, wenngleich ich ganz andere Gründe hatte. Deutschland heute ist ja ein anderes Land als das Deutschland damals, es ist eine gefestigte Demokratie, die mit dem Antisemitismus fertig werden kann, wenn sie ihn entschlossen bekämpft. Aber ich weiß nicht, ob ich als junge Jüdin heute bleiben würde, wenn ich kleine Kinder und einen Beruf hätte, mit dem ich auch in anderen Ländern mein Leben leben könnte.

Wie erleben Sie ganz persönlich Antisemitismus?

Knobloch: Schauen Sie ins Internet, was sich dort an Hass gegen Juden artikuliert. Das erlebe ich alles auch persönlich, in Mails, in Briefen, in Anrufen. Neun von zehn Juden sagen heute in Umfragen, der Antisemitismus in Deutschland habe wieder zugenommen – nicht nur in Berlin, wo die Aggressivität Juden gegenüber besonders hoch ist. Es vergeht kaum eine Woche, in der Juden in Deutschland nicht bedroht oder auch körperlich attackiert werden.

Haben wir durch unsere Politik der offenen Grenzen eine neue Judenfeindlichkeit importiert?

Knobloch: Selbstverständlich. Da kommen Menschen zu uns, die ihr ganzes Leben immer nur gehört haben, dass das Judentum vernichtet werden muss – und der Staat Israel am besten gleich mit. Vor kurzem habe ich das Buch eines Imams gesehen, der hier in Deutschland in einigen Hinterhofmoscheen predigt. Da stand ziemlich deutlich drin: Tod den Juden. So etwas hören die Kinder dann zuhause von ihren Eltern, die in der Moschee waren, und tragen es weiter in die nächste Generation. „Du Jude“ ist heute wieder ein gängiges Schimpfwort auf vielen Schulhöfen.

Fast 75 Jahre nach Kriegsende schützt die Polizei noch immer Synagogen, jüdische Schulen und Gemeinden in Deutschland. Können Juden jemals wieder ein normales Leben in Deutschland führen?

Knobloch: Diese Sicherheitsmaßnahmen sind eine Notwendigkeit, deshalb empfinde ich sie auch nicht als Belastung. Der Skandal ist doch, dass sie überhaupt nötig sind. Dass Schüler unter Polizeischutz zur jüdischen Schule gefahren werden und unter Polizeischutz lernen müssen. Ich bin eigentlich ein optimistischer Mensch und hoffe daher, dass der Antisemitismus auch wieder abflaut. Dazu aber müsste die Politik ihm entschlossener begegnen.

Wird der Antisemitismus wieder salonfähig?

Knobloch: Salonfähig ist der Antisemitismus schon lange. Machen wir uns nichts vor: Er ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Seine Flamme ist nach dem Krieg nie ganz ausgegangen und brennt inzwischen wieder mit neuer Kraft.

 
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  • M. G.
    "Haben wir durch unsere Politik der offenen Grenzen eine neue Judenfeindlichkeit importiert?
    Knobloch: Selbstverständlich."

    Auszug aus dem Text oben.
    Respekt Frau K. Und der Import geht laufend weiter.
    ( Ich frag mich nur warum Kommentare von MP Lesern die auf diesen Punkt
    hinweisen unterdrückt werden, oder nach kurzem Erscheinen wieder spurlos
    verschwinden. zwinkern Aber eigentlich kenne ich die Antwort schon. )
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