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Klingbeil: „Mit uns gibt es keine nationalen Alleingänge“
Landesparteitag der SPD Baden-Württemberg       -  _
Foto: Christoph Schmidt (dpa)
Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 11.12.2019 21:42 Uhr

Lars Klingbeil (40) ist seit vergangenem Herbst SPD-Generalsekretär. Der Niedersachse aus der Lüneburger Heide studierte in Hannover Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte. In dieser Zeit arbeitete er im Wahlkreisbüro von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Von 2003 bis 2007 war er Bundesvorsitzender der Jusos. Seit 2009 sitzt er im Bundestag. Er gehört dem konservativen Seeheimer Kreis der SPD an. Im Interview spricht er über die Rolle Deutschlands in der EU, die Asylproblematik und das, was seine Partei von Angela Merkel und Horst Seehofer erwartet.

Frage: Herr Klingbeil, Sie gelten als eingefleischter Rockmusikfan, haben selbst in einer Band E-Gitarre gespielt. Welcher Songtitel fällt Ihnen zum aktuellen Zustand der Großen Koalition ein?

Lars Klingbeil: Es gibt von der Band Tocotronic ein Stück, in dem es heißt: „Gehen die Leute auf der Straße eigentlich absichtlich so langsam – wollen sie verhindern, dass wir vorwärtskommen?“ Wenn ich mir anschaue, was die SPD in dieser Regierung alles vorhat, um das Land voranzubringen, und was CDU und CSU in den vergangenen Wochen für ein Theater veranstaltet haben, dann passt das ziemlich gut.

Glauben Sie, dass nach dem großen Asylstreit nun etwas Ruhe einkehrt, oder geht es jetzt angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen erst richtig los?

Klingbeil: In der Sache haben wir eine Klärung, dazu hat die SPD mit einer klaren Haltung beigetragen. Wir haben deutlich gemacht, dass wir den Weg von Seehofer und Söder, die auf geschlossene Lager und nationale Alleingänge setzen, nicht mitgehen. Horst Seehofer muss endlich anfangen, den Koalitionsvertrag umzusetzen und die internationalen Abkommen schließen, die wir für die Rückführung abgelehnter Asylbewerber brauchen. Wir haben aber den Eindruck, dass der Frieden zwischen CDU und CSU nur ein vorübergehender ist. Das sind zwei Parteien, die offenbar nur noch eingeschränkt in der Lage sind, ordentlich miteinander zu reden und seriös Politik zu machen. Seehofer ist als Innenminister geschwächt, ich glaube aber auch, dass die Kanzlerin geschwächt ist durch den Unionsstreit in den letzten Wochen. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Konflikt auf Unionsseite aufbricht. Und das ist eine schwierige Situation, weil die Menschen zu Recht erwarten, dass diese Regierung das Land voranbringt.

Es ist ja nicht so, dass sich die SPD aus dem Streit völlig heraushält. Sie und Parteichefin Andrea Nahles haben Bundesinnenminister Horst Seehofer ja neulich eine „Gefahr für Europa“ genannt.

Klingbeil: Wir haben es tatsächlich nicht verstanden, dass Seehofer und andere jetzt – in einer Situation, in der so viele auf Europa blicken – versuchen, Deutschland als Kraft zu positionieren, die Europa spaltet. Darauf hat die SPD eine klare Antwort gegeben: Mit uns wird es keine nationalen Alleingänge geben. Und wir haben schon noch die Hoffnung, dass Herr Seehofer zur Besinnung kommt.

Wie viel Porzellan ist denn zerschlagen worden? Und was bedeutet das für die Zukunft dieser Regierung?

Klingbeil: Für die SPD war der Inhalt des Koalitionsvertrags die Motivation, ja zu sagen zu dieser Regierung. Wir wollen bezahlbares Wohnen, Sicherheit im Alter, und wir wollen den Arbeitsmarkt fit machen für das digitale Zeitalter. Das ist unser Antrieb. Das ist natürlich schwierig mit CDU und CSU, wo sich jetzt zeigt, dass es da immer tiefere Gräben gibt. Diese verfahrene Situation in den Unionsparteien zu lösen ist eine Führungsaufgabe von Frau Merkel. Deshalb beobachten wir schon sehr genau, ob die sich jetzt fangen.

Täuscht der Eindruck, dass es auch bei der SPD in der Flüchtlingspolitik mehr um Abschottung als um Integration gegangen ist?

Klingbeil: Die Haltung der SPD ist ganz eindeutig: Wir stehen für eine humanitäre Flüchtlingspolitik mit klaren Regeln. Das bedeutet, dass Menschen, die Schutz suchen, auch Schutz bekommen müssen. Das bedeutet auch, dass es Seenotrettung geben muss. Menschen, die Geflüchtete vor dem Ertrinken retten, dürfen nicht kriminalisiert werden. Die Integration von Menschen, die zu uns kommen, muss besser werden. Das haben wir in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt mit einem Milliardenpaket für die Kommunen. Und wir wollen auch, dass die Verfahren schneller werden, dass Menschen schneller erfahren, ob sie hierbleiben können oder nicht. Wer nicht bleiben kann, muss das Land zügig wieder verlassen. Und das liegt insbesondere in der Verantwortung des Bundesinnenministers, der mal anfangen sollte, auf der Grundlage des Koalitionsvertrags seine Arbeit zu machen, statt Show-Debatten zu inszenieren und damit Regierungskrisen auszulösen.

Droht beim neuen Thema Fachkräftezuwanderungsgesetz schon der nächste Streit?

Klingbeil: Es muss ergänzend zum Asylrecht andere Wege geben, nach Deutschland zu kommen. Und deshalb brauchen wir ein Einwanderungsgesetz. Ich bin viel unterwegs in meinem Wahlkreis, da berichten mir Unternehmer von großem Fachkräftemangel. Die würden gerne mehr Menschen ausbilden und einstellen, die auf dem Weg des Asylsystems nach Deutschland kommen, fürchten aber, dass diese dann wieder abgeschoben werden. Über ein Einwanderungsgesetz könnten viele Menschen in Deutschland eine Perspektive finden, davon profitieren wir alle. Darum muss es gehen und darüber gibt es auch eine grundsätzliche Einigkeit in der Koalition.

Heißt das, dass Sie einen sogenannten Spurwechsel befürworten, dass Menschen, die als Asylbewerber gekommen sind, aber abgelehnt wurden, im Rahmen eines Zuwanderungsgesetzes bleiben können?

Klingbeil: Man muss sich das im Einzelfall anschauen. Was bedeutet es denn für uns als Gesellschaft, wenn wir Leute abschieben, die über zehn Jahre in Deutschland sind, Abitur oder eine Ausbildung gemacht haben, gut integriert sind und auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden? Solchen Leuten müssen wir eine Perspektive eröffnen.

Mit das größte Thema der SPD im Wahlkampf war Europa. Geht die Regierung da aus Ihrer Sicht zu zögerlich voran?

Klingbeil: Wir sind ganz klar angetreten, um die europäische Einigung voranzubringen. Finanzminister Olaf Scholz hat ja bereits viel Vorarbeit für einen europäischen Investitionshaushalt geleistet. Dabei geht es auch um das soziale Gesicht Europas, etwa um den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit.

Reicht die Unterstützung der Bundesregierung für die Vorstöße des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur weiteren europäischen Einigung aus?

Klingbeil: Wir haben ja gerade erlebt, dass die CSU in die ganz andere Richtung will, nämlich in Richtung nationale Alleingänge. Das ist von der SPD gestoppt worden. Dass Europa stärker werden muss, merken wir jeden Tag, wenn wir uns die weltpolitische Lage anschauen. Die Bindung zu den USA ist durch Trump unsicherer geworden, da muss Europa sich jetzt mehr auf die eigene Stärke besinnen. Deutschland hat gemeinsam mit Frankreich eine große Verantwortung, das voranzutreiben.

In vielen europäischen Ländern hat es in den vergangenen Jahren einen starken Rechtsruck gegeben. Wo sehen Sie die Ursachen?

Klingbeil: Vieles an der europäischen Einigung haben wir zu lange für selbstverständlich gehalten. Aber gerade meine Generation muss jetzt für ein starkes Europa kämpfen! Wir müssen von einer oft sehr technokratischen EU zu einem sozialen Europa kommen, das den Menschen Sicherheit gibt. Da tragen wir gemeinsam Verantwortung, die vielen pro-europäischen Stimmen, die es ja auch in Osteuropa gibt, zu stärken.

Viele sozialdemokratische Parteien in Europa sind bis zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Auch die SPD steht in Umfragen schlecht da. Wie wollen Sie den weiteren Absturz aufhalten?

Klingbeil: Politisches Vertrauen geht sehr schnell verloren, aber es dauert lange, es wieder zurückzugewinnen. Deshalb müssen wir als SPD konsequent unseren Weg der Erneuerung weitergehen und dürfen uns von Umfragen nicht verrückt machen lassen. Wir sind die Partei, die Antworten auf die Fragen der Zukunft entwickelt, in der die Digitalisierung die Arbeitswelt verändern wird. Die SPD will diesen Wandel sozial gestalten. Daran arbeiten wir. Es geht aber auch darum, die Partei selbst zu verändern. Und ich bin mir sicher, dass es bei den Menschen eine große Hoffnung gibt auf eine zukunftsorientierte, optimistische Sozialdemokratie. Foto: dpa

 
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