Erhitzte Gemüter gehören dieser Tage dazu. Ja, es war und ist ein Gewürge um die Koalitionsbildung. Ja, weder CDU noch SPD machen dabei eine gute Figur. Ja, das schadet dem Ansehen der deutschen Politik. Und ja, darüber darf man sich aufregen. Völlig kalt aber lässt viele ein zur Randnotiz der Verhandlungen verkommenes Versagen: Quasi so nebenbei wurden die Klimaschutzziele 2020 aufgegeben. Das ist fatal. Für jeden von uns. Aber keinen interessiert‘s.
Deutschland wollte bis 2020 die Treibhausgas-Emissionen deutlich reduzieren, um 40 Prozent im Vergleich zu 1990. Dass das ein ehrgeiziges Ziel war, war klar. Dass es schwer zu erreichen sein würde auch. Trotzdem hatte sich seit 2007 jede Bundesregierung dazu bekannt, wenngleich zu wenig dafür getan. Nun sind sich Union und SPD einig: Das Klimaschutzziel ist nicht zu halten. Weit hinten im vorläufigen Koalitionsvertrag heißt es, man wolle „die Handlungslücke zur Erreichung des Klimaziels 2020 so schnell wie möglich“ schließen. Mit anderen Worten: die Versäumnisse der vergangenen Jahre möglichst kaschieren. Als Trostpflaster für alle entsetzten Grünen gibt es ein Bekenntnis zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Und Ergänzungen an vereinbarten „Maßnahmenpaketen“, die die unvermeidbare Lücke so gering wie möglich halten sollen. Konkrete Finanzierungszusagen und Fristen aber fehlen. Das ist zu wenig.
Das Aus für die schmutzigsten Kraftwerke fehlt
Nötig wären etwa festgeschriebene Termine für die Abschaltung der schmutzigsten Kohlekraftwerke. Damit aber tun sich Union und SPD schwer. Statt zu handeln wird erneut vertagt, eine Kommission soll bis Jahresende ein Aktionsprogramm erarbeiten. Ebenso schwer tun sich die Volksparteien mit Dieselfahrverboten oder verpflichtenden Vorgaben zur Nachrüstung von Abgasschleudern. Und auch das schön formulierte Ziel, ein global ausgerichtetes CO²-Bepreisungssystem zu schaffen, bleibt mit einer US-Regierung unter Donald Trump wohl unerreichbar.
Weder Merkel noch Schulz, sondern unser Klima, unsere Umwelt, sind damit die größten Verlierer der Koalitionsverhandlungen. Die große Empörung aber bleibt aus. Welche Luft wir atmen, wie stark sich die Erde erwärmt, das betrifft alle. Aber keiner schreit auf. Und keiner tut was. Warum?
Klimaschutz fängt im Zweifel bei jedem selbst an
Vielleicht weil Klimaschutz schwer greifbar ist. Weil er unsere Bequemlichkeit einschränkt. Und weil er nicht „in“ ist. Klar, Greenpeace oder BUND sind entsetzt. Die Grünen auch. Und der Rest? Arbeitet sich erst mal am Postengeschacher der Parteien ab, am Auf- und Abstieg Einzelner, an Streitfragen zur Krankenversicherung oder Rente. Das ist einfacher, weil diese Entrüstung ungefährlich für den eigenen Alltagskomfort ist. Klimaschutz hingegen klingt zwar weltumspannend, fängt aber im Zweifel bei mir selbst an. Strom sparen kann jeder. In der Stadt aufs Auto verzichten auch. Zudem muss es nicht zwangsläufig in jedem Urlaub eine Fernreise per Flugzeug sein. Zugegeben: Spaß macht das nicht. Es ist aber dringend notwendig.
Denn die Folgen des Klimawandels sind längst keine weit entfernten Horrorszenarien mehr, sondern auch in Bayern mess- und spürbar. Das Umweltbundesamt rechnet beispielsweise in naher Zukunft mit einem Anstieg der mittleren Jahrestemperatur im Freistaat um bis zu zwei Grad. Und mit deutlich extremeren Wetterlagen. Für die Region um Würzburg heißt das etwa mehr Hitzewellen, heiße Tage und Tropennächte. Gleichzeitig wird Regen häufiger ausbleiben. Wasserknappheit droht, vor allem im Sommer. Spätestens dann, wenn Autowaschen verboten oder Rasensprengen untersagt wird, ist das Klimaproblem plötzlich vor der Haustür angekommen. Das sollte endlich allen bewusst werden.
Es braucht Politiker, die Klimaschutz sexy machen
Deshalb muss Klimaschutz „in“ werden – in Politik und Gesellschaft gleichermaßen. Es braucht Politiker, die dafür einstehen. Die einen Gegenpart zu Donald Trump und seinem unerschütterlichen Leugnen der Erderwärmung setzen. Die Klimaschutz sexy machen und damit aus der Ecke der Ökofreaks holen. Die etwa als französischer Präsident einem US-Staatsoberhaupt auf Englisch die Leviten lesen, wenn dieses das Pariser Klimaschutzabkommen aufkündigt. Es braucht mehr davon. Sichtbare Zeichen. Vor allem aber Taten. Und die von jedem Einzelnen. Sonst stehen wir in zehn Jahren genau am gleichen Punkt wie heute und beerdigen das Klimaziel 2030. Wahrscheinlich nur mit erhitzteren Gemütern.