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Kleine Parteien haben es schwer
Das Gespräch führte Margit Hufnagel
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:47 Uhr

Er ist einer der profiliertesten deutschen Parteienforscher: Jürgen Falter von der Universität Mainz erklärt, warum sich neue Parteien bilden und welche Chancen sie bei der Bundestagswahl am 22. September haben.

Frage: Herr Falter, mit Alternative für Deutschland (AfD), Piraten und den Freien Wählern (FW) greifen drei relativ junge Parteien die großen Volksparteien an. Wie kommt es zu dieser geballten Entwicklung?

Jürgen Falter: Es werden ständig mehr Parteien, die bei Bundestagswahlen kandidieren, und das hat damit zu tun, dass unsere Gesellschaft sich immer stärker differenziert, dass die großen politischen Lager nicht mehr in der Form existieren, wie das früher der Fall war: das katholische mit der CDU und CSU verbundene Lager oder das gewerkschaftlich gebundene Arbeiterlager, das gewissermaßen naturwüchsig der SPD zuneigte. Wir leben in einer Welt, in der unterschiedliche Lebensstile und Subkulturen eine immer größere Rolle spielen.

Welche Folgen hat diese Zersplitterung?

Falter: Die Koalitionsbildung wird schwieriger. Hinzu kommt: Viele Parteien haben zwar keine Chance, in den Bundestag einzuziehen. Aber sie plündern ein bisschen das Potenzial der großen Parteien und nehmen ihnen Stimmen weg.

Heißt das nicht auch, dass den großen Volksparteien die Legitimation immer mehr abhandenkommt, für die Gesellschaft zu sprechen und zu stehen?

Falter: Wenn man die von den Volksparteien errungenen Stimmanteile nicht auf Basis der abgegebenen gültigen Stimmen berechnet, sondern auf die Wahlberechtigten bezieht, dann repräsentieren die Volksparteien nur noch eine relativ kleine Minderheit der Bevölkerung. Selbst die Volksparteien zusammengerechnet vereinen im Allgemeinen noch nicht einmal eine Mehrheit der Wahlberechtigten hinter sich. Das ist schon bedenklich. Die Parteien sind nicht mehr so verwurzelt in der Gesellschaft, wie sie das einmal waren.

Welche Überlebenschance räumen Sie den neuen Parteien ein? Ist das nur ein kurzfristiger Hype?

Falter: Neue Parteien entstehen im Allgemeinen deshalb, weil bestimmte politische Probleme von den etablierten Parteien nicht genügend berücksichtigt werden. So sind die Grünen in den 80er Jahren entstanden, so spielt die Linke immer noch eine Rolle als soziale Protestpartei. Für die AfD oder die Piraten gilt das auf jeden Fall, bei den Freien Wählern liegt die Ursache etwas anders. Die AfD beispielsweise hat das Thema Euro besetzt, das von den anderen Parteien nicht in der notwendigen Intensität thematisiert wird, schon gar nicht von der Koalition. Wenn solche Themen weiter eine Rolle spielen, dann haben auch diese Parteien eine Chance, weiterzuexistieren. Wenn die Themen aber von der Bildfläche verschwinden – nehmen wir mal an, durch ein Wunder würde sich die Eurokrisekrise lösen – dann wäre die AfD vermutlich nur eine Eintagsfliege.

AfD und Piraten gelten als Ein-Themen-Parteien. Ist das typisch für neue Parteien?

Falter: Wenn man in die Wahlprogramme schaut, stimmt das eigentlich gar nicht. Zwar steht in der Wahlwerbung, in der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit immer nur ein Thema im Vordergrund. Die AfD hat aber noch weitere Themen wie mehr direkte Demokratie nach Schweizer Muster, ein Steuersystem, wie es von Paul Kirchhof entworfen worden ist oder eine Immigrationsgesetzgebung, die der von Kanada ähnelt. Aber das steht nicht im Vordergrund. Deswegen werden diese Parteien als Ein-Themen-Parteien behandelt. Und da sie nun einmal so behandelt werden, reagieren sie auch so in ihren Wahlkämpfen.

Sowohl AfD als auch Piraten und FW haben interne Probleme, Machtkämpfe, Querelen. Sind neue Parteien Anziehungspunkte für Querulanten?

Falter: Sowohl bei der AfD als auch bei den Piraten und den Freien Wählern, die übrigens einen noch strikteren Anti-Euro-Kurs fahren als die AfD, handelt es sich um Protestparteien. Diese ziehen viele Unzufriedene an. Und da den jungen Parteien der Organisationsaufbau, die Professionalität fehlt, die die großen Parteien haben, können sich immer mal wieder Stimmungen, einzelne Personen durchsetzen. Denken Sie an die Grünen und die Pädophilie in den 80er Jahren. Erst als sich die Grünen professionalisiert haben, konnten sie diese abseitigen Vorstellungen abstoßen. Insofern ist es kein Wunder, dass es viel Streit im Inneren gibt. Das muss sich erst auspendeln, und das braucht Zeit.

Warum ist den Grünen gelungen, was den Piraten schwerfällt, nämlich dauerhaft zu bestehen und eine Art von Volkspartei zu werden?

Falter: Die Grünen haben sich aus mehreren Quellen gespeist. Sie waren so etwas wie die Zusammenfassung aller möglichen Protestbewegungen: Feministen, Pazifisten, Ökologiebewegte, Schwule, Lesben, eine Zeit lang eben auch Pädophile. Mehrere Gewässer sind zu einem Strom zusammengeflossen. Vereinigendes Thema bis heute ist die Ökologie – ein Thema, das sehr breit greift und eine sehr hohe allgemeine Akzeptanz besitzt. Jeder ist für bessere Umwelt, jeder ist für Nachhaltigkeit. Bei den Piraten und der AfD sind die Anhänger sehr viel stärker in ihren Auffassungen gespalten.

Welche Chance räumen Sie den neuen Parteien bei der Bundestagswahl ein?

Falter: Ich glaube, die kleinen Parteien werden es alle miteinander schwer haben. Die Einzigen, die Chancen haben könnten, sind meines Erachtens die AfD und die Piraten. Da haben wir aber nicht genügend Erfahrungen aus den Umfragen, um das wirklich realistisch einschätzen zu können. Überraschungen sind vorstellbar, wenn auch vielleicht nicht sehr wahrscheinlich. Die AfD beispielsweise hat ein deutlich höheres Wählerpotenzial als es die Umfragen im Augenblick zeigen. Es hängt also von der Entwicklung der Eurokrise ab bis zum Wahltag, ob dieses Potenzial geweckt werden kann.

Apropos Wählerpotenzial. Das der Freien Wählern liegt laut Politbarometer bei über 20 Prozent. Aber ist es nicht so, dass die Menschen bei der Wahl doch eher auf das Bekannte, auf das Etablierte setzen?

Falter: Das ist im Allgemeinen so. Und wenn die Zufriedenheit zwar nicht mit der Regierung, aber mit der Kanzlerin so hoch wie im Augenblick ist, wollen viele Wähler doch eher keine Experimente eingehen. Und „keine Experimente“ bezieht sich hier selbst auf die Oppositionsparteien, die ja durchaus schon gezeigt haben, dass sie Politik können.

Jürgen Falter

Politikwissenschaft und Neuere Geschichte studierte Jürgen Falter von 1963 bis 1968 in Heidelberg und Berlin. Zwischen 1973 und 1983 war er Professor für Methodologie der Sozialwissenschaften und für Politische Soziologie im Fachbereich Pädagogik der Bundeswehr-Universität in München. 1983 übernahm Falter einen Lehrstuhl am Otto-Suhr-Institut, den er bis 1992 innehielt. 1993 nahm er einen Ruf an die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz an, wo er bis 2012 den Lehrstuhl für Innenpolitik und Politische Soziologie innehatte. FOTO: dpa

 
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