Am kommenden Freitag erhalten Tausende Schüler im Land ihr Zeugnis. Der Konstanzer Bildungsforscher Thomas Götz erklärt, weshalb Noten oft fairer sind, als Eltern es wahrhaben wollen.
Thomas Götz: Es wäre ideal, wenn es so wäre, dass jeder seiner Leistung entsprechend benotet werden würde. Es ist aber so, dass sich eine Note aus ganz verschiedenen Faktoren zusammensetzt und sicher nicht immer gewährleistet werden kann, dass Noten ganz gerecht sind.
Götz: Zunächst spielen natürlich die Fähigkeiten der Schüler eine zentrale Rolle, also die Interessen, die Motivation und das Lernverhalten. Wichtig sind auch die Intelligenz und die Zeit, die für das Lernen investiert wird. Aber auch die Lehrer haben großen Einfluss.
Götz: Zum Beispiel, welches Anspruchsniveau sie an den Tag legen. Es ist ja bekannt, dass manche Lehrkräfte strenger benoten als andere. Auch die Qualität der Klassenarbeiten ist sehr unterschiedlich. Prinzipiell kann man aber schon davon ausgehen, dass Noten innerhalb eines Klassenverbundes relativ gerecht vergeben werden. Das liegt daran, dass Lehrer inzwischen sehr kriterienorientiert bewerten. Bevor eine Klassenarbeit bewertet wird, werden ganz klare Kriterien festgelegt, die man erfüllen muss, um eine bestimmte Note zu erzielen. Je klarer diese Kriterien definiert sind, desto fairer ist die Benotung. Es gibt empirische Studien die belegen, dass diese Kriterienkataloge dafür sorgen, dass die Benotung unabhängig vom Korrektor sehr ähnlich ausfällt.
Götz: Sympathie und Antipathie spielen zum Beispiel bei mündlichen Noten schon eine gewisse Rolle. Als Mensch wird man sich nie ganz dagegen wehren können, dass man dazu tendiert, sympathische Menschen besser zu bewerten. Allerdings belegen verschiedene Studien, dass dieser Effekt sehr, sehr klein ist und bei der Notenvergabe eine untergeordnete Rolle spielt.
Das liegt vor allem daran, dass sich Lehrer dessen durchaus bewusst sind und dementsprechend darauf achten.
Götz: Nein, das stimmt sicher nicht. Im Fach Deutsch wird nicht willkürlicher bewertet als in den Naturwissenschaften. Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die zeigen, dass Lehrer in den Sprachen sehr fair und nachvollziehbar bewerten, eben weil sie anhand von Kriterien die Noten vergeben. Außerdem gibt es auch in Fächern wie Mathematik sehr viel Interpretationsspielraum. Da geht es um viel mehr als nur um die eine richtige Lösung, sondern auch um Ansätze, Begründungen und das Grundverständnis. Ein falsches Ergebnis bedeutet nicht automatisch, dass auch die Begründung, die dazu geführt hat, völlig falsch ist.
Götz: Auch das ist eine ganz schlimme Fehlvorstellung. Weltweit zeigt sich, dass zum Beispiel Mädchen genauso gute Mathenoten haben wie Jungen, zum Teil sogar bessere. Diese Klischees begründen sich oft in der Selbsteinschätzung der Schüler. Viele Mädchen denken nur, sie seien schlechter in den Naturwissenschaften, obwohl sie es gar nicht sind. Das liegt wiederum an den Stereotypen der klassischen Jungs- und Mädchenfächer.
Götz: Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, die für Noten sprechen. Zum einen, dass man die Schüler mit Leistungsmessung und Normen vertraut macht, die in unserer Gesellschaft einfach gegeben sind. Und Noten liefern schlicht und ergreifend Rückmeldung über die eigene Leistung. Aber sie dienen auch als Information für die Eltern, damit sie die Leistung ihrer Kinder richtig einschätzen und gegebenenfalls unterstützend eingreifen können. Und nicht zuletzt sind sie Zugangsvoraussetzung für Studienplätze und Berufsausbildungen. Im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung ist es also wichtig, dass man aussagekräftige Noten hat.
Götz: Schüler vergleichen sich auch, wenn sie keine Ziffernnoten bekommen. Sie wissen sehr wohl, wie sie im Vergleich zu den Mitschülern abschneiden. Entscheidend ist nicht die Note an sich, sondern der Umgang damit. Wenn man sie als Rückmeldung begreift, kann man geeignete Maßnahmen einleiten, um den Schüler seinen Fähigkeiten entsprechend zu fördern.
Götz: Akademikerkinder haben nach wie vor bessere Noten und besuchen häufiger Universitäten als Kinder aus Arbeiterfamilien oder mit Migrationshintergrund. Das liegt aber weniger an den Lehrern als am Elternhaus. Aufgrund ihrer eigenen Laufbahn gewichten beispielsweise Akademiker schulischen Erfolg anders und haben ein höheres Interesse am Lehrstoff. Bei Migranten spielen außerdem noch die sprachlichen Fähigkeiten eine Rolle.
Götz: Lehrer sind sich dieser Gefahr durchaus bewusst. Daher wird der Fokus seit vielen Jahren darauf gelegt, dass man die Potenziale der Schüler unabhängig der Schülerherkunft betrachtet. Spätestens seit den Ergebnissen der Pisa-Studie wird daran massiv gearbeitet. Stellenweise kommt es da vielleicht noch zu Benachteiligungen. Die Zeiten, in denen Migranten pauschal schlechter abschneiden, sind aber weitgehend vorbei – auch das zeigen Studien.