Sie ist laut. Sie liebt Spektakel. Sie erhebt das organisierte Chaos zum Konzept. Und sie verspricht dem Publikum Theatralik und Spaß. Damit verkörpert die Brassband mit dem beziehungsreichen Namen „Tätärä“ ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz zugeschrieben wird. Der hanseatische Sozialdemokrat mag es eher präsidial, nüchtern und klamaukfrei. Das lässt ihn oft als kühl erscheinen. So gesehen ist diese Scholz-„Tätära“-Mixtur ein pfiffiger Schachzug der Veranstaltungsregie. Denn die Inszenierung der Gegensätze erweist sich am Donnerstagabend beim Wahlkampf-Finale der SPD durchaus als Stimmungsbeschleuniger. Die mehreren Hundert SPD-Anhänger im Cruise Center HafenCity versprühen vor der Wahl am Sonntag im Beisein des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ausgelassene Feierlaune.
Ohnehin strotzen die Sozialdemokraten an der Elbe dieser Tage vor Selbstbewusstsein. Die Demoskopen sagen ihnen einen haushohen Wahlsieg voraus. Rund 47 Prozent der Wähler wollen demnach der SPD ihre Stimme geben. Die CDU mit ihrem sympathischen, aber farblosen Spitzenkandidaten Dietrich Wersich landet laut jüngster Umfrage weit abgeschlagen bei 17 Prozent. Spannend scheint damit am Wahlsonntag allein die Frage, ob es wieder, wie vor vier Jahren, zu einer absoluten Mehrheit reicht. Oder ob sich „Kahl der Große“, wie „Die Zeit“ Scholz ob seines überschaubaren Haupthaars würdigte, einen Koalitionspartner suchen muss. Entscheidend wird das Abschneiden von FDP und AfD sein. Schaffen beide den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde, was Meinungsforscher für möglich halten, braucht die SPD einen Mitstreiter für die Regierungsbildung.
Olaf Scholz mag zwar vielen Bürgern als dröger Politik-Verwalter mit ausgeprägtem Hang zur Zahlenhuberei erscheinen. Seiner Beliebtheit tut dies keinen Abbruch. Die Leute mögen sein zupackendes, kompetentes und verlässliches Handeln. Vor allem aber: Sie schätzen es, dass ihr „König Olaf“ ihnen nicht mehr verspricht, als er halten kann. Ein Grundsatz politischen Handelns, den der gebürtige Osnabrücker mantrahaft bei seinen Auftritten lobpreist. Wäre es möglich, würden ihn 72 Prozent der Hamburger direkt als Regierungschef wählen. Seinem Unions-Herausforderer Wersich, den in der Stadt kaum jemand kennt, obwohl er einst Sozialsenator unter Ole von Beust war, gäben nur zwölf Prozent ihre Stimme.
Angesichts dieser beachtlichen Popularitätswerte reiht sich beim huldvollen Final-Abend am Hafen auch Parteichef Sigmar Gabriel mit überschwänglichem Lob in die große Schar der Scholz-Schulterklopfer ein: Die Politik des Hamburger Bürgermeisters sei für ganz Deutschland ein Vorbild. „So muss man regieren!“, adelt er seinen möglichen Kanzlerkandidaten-Konkurrenten. Dieser quittiert das verbal geraspelte Süßholz mit einem ausgedehnten Grinsen und tut anschließend das, was er am liebsten macht: über die Erfolge seiner Regierung reden – nüchtern, sachlich, zahlenverliebt, ohne rhetorischen Schnickschnack oder wohlfeil gesetzte Pointen.
So unspektakulär wie seine Reden ist der gesamte Wahlkampf. Es gibt keine Wechselstimmung in der Stadt. Die Hamburger scheinen damit zufrieden zu sein, wie es im Moment läuft. Zu gut ist ihnen noch die chaotische Koalition zwischen CDU und Schill-Partei und das anschließend gescheiterte schwarz-grüne Experiment im Gedächtnis. Der Wunsch nach Stabilität und Verlässlichkeit ist den meisten Wählern offenbar wichtiger als inhaltliche Auseinandersetzungen, die die schöne neue Scholz-Welt erschüttern könnten. Wenn gestritten wird, dann meist über typische kommunalpolitische Themen wie Kita-Betreuung, Busbeschleunigungsprogramm und Verkehrsprobleme.
Richtig emotional wird es allenfalls bei der Flüchtlingspolitik. Sie bewegt die Menschen im vornehmen Harvestehude genauso wie in Billstedt, wo fast 53 Prozent der Bewohner einen Migrationshintergrund haben und sich nur selten ein Tourist hin verirrt. Rund 22 000 Flüchtlinge leben derzeit in Hamburg. Jeden Monat kommen etwa 600 dazu. Überall in der Stadt entstehen neue Unterkünfte – zum Unwillen zahlreicher Hamburger. 43 Prozent von ihnen sind der Auffassung, mehr Flüchtlinge seien nicht zu verkraften. Beim TV-Duell zwischen Scholz und Wersich am Mittwochabend empörten sich Bürger vor laufender Kamera besonders darüber, dass die Verteilung über die Stadtteile ungerecht sei. Es könne nicht angehen, dass in Harvestehude Anwohner per Eilantrag die Aufnahme von Flüchtlingen verhinderten. Scholz kommentierte den Beschluss des Verwaltungsgerichts mit deutlichen Worten: „Wir werden diese Entscheidung niemals hinnehmen und durch alle Instanzen gehen.“
Bei den Grünen, wenn nötig Wunsch-Koalitionspartner der SPD, sieht man das ähnlich. „Es kann nicht sein, dass sich Einzelne aus ihrer Verantwortung herausklagen und keine Flüchtlinge aufnehmen wollen“, wettert Spitzenkandidatin Katharina Fegebank auf der kleinen Bühne in der Fußgängerzone von Ottensen. Bei der Abschluss-Veranstaltung ihrer Partei versichert sie am Donnerstagnachmittag den etwa 50 Zuhörern bei frostigen Temperaturen, dass „der Umgang mit Flüchtlingen für uns Grüne ein zentrales Thema der kommenden Legislaturperiode sein wird“.
Sollte es zu einem Bündnisangebot der SPD kommen, haben die Grünen, denen zwölf Prozent vorausgesagt werden, keineswegs vor, sich als fügsame Machtbeschaffer zu erweisen. Es liege Mehltau über der Stadt, und am Bürgermeister pralle Kritik ab wie an einer Marmorsäule, kritisiert Katharina Fegebank. „Diesen Zustand der Trägheit werden wir ändern“, verspricht sie den frierenden Passanten. An Streitpunkten mangelt es indes nicht. Ein quasi dauerhaftes Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge wird mit der SPD genauso schwierig zu vereinbaren sein wie der Bau einer Stadtbahn.
Amtsinhaber Olaf Scholz wird das derart zur Schau getragene Selbstbewusstsein der Öko-Partei wohl nur mäßig beeindrucken. Er kann sich entspannt zurücklehnen. Sollten die Grünen bei eventuellen Koalitionsverhandlungen zu sehr zicken, kann er mit CDU und Liberalen drohen. FDP-Spitzenfrau Katja Suding lässt keine Gelegenheit aus, für ein sozial-liberales Bündnis zu werben. Auch Dietrich Wersich findet die Vorstellung attraktiv, mit den Sozialdemokraten gemeinsam Hamburg zu regieren. Noch hat freilich einer etwas gegen solche Pläne: Olaf Scholz will bis zur letzten Minute für eine absolute Mehrheit seiner Partei kämpfen. Nüchtern, sachlich – und ohne Tätärä.