Auch Würzburger Forscher arbeiten auf dem Gebiet der beiden frisch gekürten Träger des Nobelpreises für Medizin, John Gurdon und Shinya Yamanaka. Professor Albrecht Müller vom Zentrum für Experimentelle Molekulare Medizin der Universität ist seit Jahren mit seinem Team dem Zellgedächtnis auf der Spur und leitet das bundesweite und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Schwerpunktprogramm „Pluripotency and cellular reprogramming“ (Pluripotenz und zelluläre Reprogrammierung). Was man darunter versteht, erklärt der Würzburger Grundlagenforscher im Gespräch.
Professor Albrecht Müller: Das kann man nicht vorhersehen, aber es ist jedes Jahr spannend, wenn der Nobelpreis für Medizin verkündet wird. Eine völlige Überraschung ist es jedoch nicht, dass John Gurdon und Shinya Yamanaka ausgezeichnet werden. Das spürte man schon länger. Bei Yamanaka ging es allerdings sehr schnell. Seine bahnbrechende Publikation über zelluläre Prozesse ist von 2006, Gurdons Entdeckung ist schon 50 Jahre alt. Beide Preisträger passen jedoch gut zusammen, sie haben die Stammzellbiologie revolutioniert.
Müller: Die beiden Forscher haben den Nobelpreis erhalten für ihre Entdeckung, wie Körperzellen ihre Identität erhalten und wie sie sie behalten. Also: Was ist ausschlaggebend dafür, dass zum Beispiel eine Hautzelle eine Hautzelle ist und eine frühembryonale Zelle eine frühembryonale Zelle? Wie laufen solche Entwicklungen im Zellkern ab? Und: Sind sie umkehrbar? Die Antwort lautet: Ja, sie sind umkehrbar. Gurdon erkannte, dass Körperzellen eines erwachsenen Frosches das gesamte Erbgut enthalten und sich aus ihren Kernen Kaulquappen entwickeln können. Er transplantierte dazu in den Kern einer unreifen Froschzelle eine reife. Yamanaka hat aus vier Genen einer Hautzelle eine frühembryonale Zelle gewonnen. Aus dieser können sich alle Arten entwickeln, also nicht nur Hautzellen.
Müller: Pluripotent heißt, dass Stammzellen sich zu allen Zelltypen eines Organismus entwickeln können – also aus einer Hautzelle eine Darmzelle werden kann. Es gibt natürliche embryonale Stammzellen, kurz ES-Zellen, die das ermöglichen, ebenso sogenannte induzierte pluripotente Zellen, kurz iPS-Zellen. Yamanaka hat erstmals iPS-Zellen hergestellt. Er hat eine erwachsene Körperzelle durch künstliche Reprogrammierung in eine pluripotente frühembryonale Zelle verwandelt. Und dazu genügte ihm ein Cocktail aus vier Genen.
Müller: Das ist Grundlagenforschung, um Antworten auf Fragen zu erhalten: Wie funktioniert eine Zelle? Ist ihre Entwicklung umkehrbar? Die Hoffnung dabei ist, Körperzellen für Transplantationen herstellen zu können und damit viele Krankheiten in den Griff zu bekommen. Bis es jedoch so weit ist, wird noch einige Zeit vergehen. Aber bereits heute ist der Weg prinzipiell schon verstanden, wie man körperspezifische Zellen für Transplantationen entwickeln kann. Das würde auch das Thema Gewebetransplantation entscheidend beeinflussen.
Müller: Sicher kann man spekulieren, dass die Möglichkeit, aus einer erwachsenen, also alten Hautzelle, eine junge Hautzelle herzustellen, einen Jungbrunnen darstellt – wie im berühmten Gemälde von Lucas Cranach aus dem 16. Jahrhundert. Die Alten und Kranken gehen ins Wasser und steigen jung und gesund wieder heraus. Es ist jedoch nicht so, dass man irgendwann eine Creme haben wird, die alte, faltige Haut in glatte Babyhaut verwandelt. Aber, wie gesagt, es ist möglich, adulte Zellen in frühembryonale Zellen zu verwandeln – das ist die Beobachtung von Yamanaka.
Müller: In Deutschland ist es ja verboten oder nur unter hohen Auflagen möglich, mit embryonalen Stammzellen zu forschen. Yamanakas Entdeckung der iPS-Zellen ist eine Alternative, sie ersetzt jedoch nicht die Forschung mit humanen ES-Zellen. Beide Zelltypen kann man nicht einzeln, sondern nur gemeinsam betrachten. Ich denke aber, dass die Yamanaka-Zelle irgendwann die Arbeit mit ES-Zellen unnötig werden lässt. In der Grundlagenforschung brauchen wir jedoch noch beide, um sie zu kontrollieren und besser zu verstehen.
Müller: Wir beobachten Faktoren zum molekularen Zellgedächtnis und forschen beispielsweise zu Fragen: Woher weiß die Tochterzelle wie die Mutterzelle aussah? Wie erinnert sich die Zelle daran, woher sie kommt? Und: Was läuft in einer Zelle ab, wenn sie sich teilt? Bei einer Reprogrammierung a la Yamanaka vergisst dies die Zelle ja zum Teil oder kurzzeitig. Verstanden hat man das noch längst nicht. Das sind Phänomene, die waren total überraschend. Man dachte vor Yamanaka auch, dass viel mehr als vier Faktoren beziehungsweise Gene zusammenspielen müssen. Allerdings war ein Gen darunter, das Krebs erzeugen kann. Mittlerweile weiß man, dass man ohne auskommt.
Müller: So einfach ist das nicht, es gibt ja nicht nur einen Krebs. Aber es wird versucht. Das Problem ist: Eine Zelle ist komplex und sie hatte viele Millionen Jahre für ihre Entwicklung. Sie hatte also sehr lange Zeit, alles auszuprobieren und das Beste für sich zu finden. Wir machen dagegen erst seit rund 40 Jahren Zellmolekularbiologie. Wir haben also noch einen weiten Weg vor uns, alles zu verstehen.
Albrecht Müller
Der Molekularbiologe ist Professor am Institut für Medizinische Strahlenkunde und Zellforschung der Uni Würzburg. Er leitet das bundesweite Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu embryonalen und adulten Stammzellen mit dem Titel „Pluripotenz und zelluläre Reprogrammierung“. Ziel ist es, die molekularen Grundlagen für das Verhalten der Zellen zu verstehen. Müllers Forschungsgruppe arbeitet nicht mit menschlichen embryonalen Stammzellen, und auch im DFG-Programm wird in erster Linie an Mauszellen geforscht.
Text: CJ/FOTO: Thomas Obermeier