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„Islam ist bereit zu Kompromissen“
Das Gespräch führte Sarah Ritschel
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:58 Uhr

Ein schmales Büchlein soll muslimischen Einwanderern helfen, sich in Deutschland zu integrieren. Insgesamt 16 Seiten hat die neue Broschüre des Münchner Forums für Islam. Im Bücherregal würde sie neben den prächtigen Buchrücken von Bibel oder Koran vermutlich einfach verschwinden. Und doch hat das Heft mit dem Titel „Willkommen in Deutschland“ einen Platz im Regal verdient. Nicht nur, weil es ernsthaft versucht, Muslimen und Christen von der richtigen Begrüßung bis hin zum Gottesbegriff des jeweils anderen Alltagstipps zum friedlichen Miteinander zu geben. Es lehrt auch die Deutschen noch so einiges über sich selbst. Weil es Anregungen gibt, wie jeder Einzelne im Umgang mit anderen handeln sollte.

In der Broschüre wird ein guter Bürger als jemand dargestellt, der fleißig und immer korrekt arbeitet. Einer, der stets zu den Elternsprechtagen seiner Kinder geht. Und einer, der niemals hinter dem Vorhang seine Nachbarn beobachten würde. All diese Informationen teilt die Broschüre auf anschaulich formulierte Kapitel. Unter dem Stichwort „Bildung“ erfahren muslimische Mitbürger, wie sie gewährleisten, dass ihre Kinder gut im Schulsystem zurecht kommen. „Geschichte“ gibt Einblick in die deutsche Vergangenheit, die sich nie wiederholen dürfe.

Das Kapitel über Gleichberechtigung erläutert, dass Mann und Frau in Deutschland auf einer Ebene stehen und jeder seinen Partner selbst wählen kann.

Und dann, fast am Ende des Büchleins, stößt man noch auf zwei äußerst informative Kapitel: Eins heißt „Sauberkeit“, das andere „Nicht stören!“. „Abfall, und seien es nur kleine Verpackungen oder Zigarettenkippen, einfach auf den Boden zu werfen, ist völlig unakzeptabel“, heißt es da. Ebenfalls aufschlussreich: „Im Bus, im Zug, im Einkaufszentrum oder auf der Straße spricht oder telefoniert man besser leise, um andere Leute nicht zu belästigen.“ Imam Benjamin Idriz erklärt, warum Verschleierung nicht nötig ist und wie Muslime und Christen sich am besten begrüßen.

Frage: Herr Idriz, in Ihrer Broschüre zitieren Sie ein arabisches Sprichwort: „Wenn du 40 Tage mit einem Volk lebst, bist du einer von ihnen.“ Ist das Ihre Wunschvorstellung?

Benjamin Idriz: Natürlich, das wäre schön. Aber die Integration ist ein Prozess, sie braucht Energie und Zeit. Aber in einem neuen Land hat man keine andere Alternative. Integration ist auch aus islamischer Sicht gewünscht. Jeder muss sich dafür Mühe geben.

In Ihrer Broschüre heißt es, wer den Weg der Integration wähle, verdiene das Lob des Propheten Muhammed.

Idriz: Genau. Wenn ein religiöser Mensch seinen Glauben in Maßen lebt, gelingt die Integration. Denn Integration ist immer eine Sache des Kompromisses. Der Islam ist bereit, solche Kompromisse zu schließen. Gleichzeitig wollen wir Muslimen zeigen, dass die Religionsfreiheit in Deutschland einen sehr hohen Wert hat, dass auch ihre Religionsfreiheit gewährleistet ist. Sie wird sogar durch das Grundgesetz geschützt.

Haben Sie ein Beispiel für flexibel gelebten Glauben?

Idriz: Der Islam verlangt, fünf Mal am Tag zu beten. Wenn aber die festen Gebetszeiten nicht mit den Arbeitszeiten kompatibel sind, können Muslime versuchen, ihren Arbeitgeber davon zu überzeugen, dass ihnen das Gebet zu einer bestimmten Zeit sehr wichtig ist. Gelingt das nicht, erlaubt es der Koran, die Gebete zu einer Zeit zusammenzubringen.

Sie glauben, dass solche Ratschläge eher angenommen werden, wenn sie von muslimischer Seite kommen – nicht von deutschen Behörden. Warum?

Idriz: Wenn ein gläubiger Mensch solche Ratschläge mit religiösen Zitaten untermauert sieht, kann er sich selbst damit identifizieren. Es hat keinen Sinn, in Zeiten wie dieser den Koran oder das Grundgesetz zu verteilen. Unsere Broschüre soll eine Brücke zwischen beiden sein.

Sie schreiben, dass es aus islamischer Sicht völlig in Ordnung ist, mit „Grüß Gott“ begrüßt zu werden. Wie sollen Muslime auf den Gruß reagieren?

Idriz: In „Grüß Gott“ ist Gott ausdrücklich erwähnt. Muslime sprechen sehr gern über Gott. Wenn mich jemand mit „Grüß Gott“ begrüßt, sehe ich keinen Widerspruch darin, auch so zu antworten.

Heißt das, dass Christen Muslime auch mit deren Gruß „as-salamu aleikum“ ansprechen sollen?

Idriz: Es gibt durchaus Nicht-Muslime, die uns mit „as-salamu aleikum“ grüßen. Das kommt sehr gut bei Muslimen an.

Sie schreiben, dass die „Vollverschleierung der Frauen weder islamisch erforderlich noch gesellschaftlich erwünscht“ ist. Unterstützen sie den Vorschlag von Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), diese in Bayern zu verbieten?

Idriz: Mit der Broschüre wollen wir die Wahrnehmung vermeintlich islamischer Traditionen in der deutschen Gesellschaft bekannt machen. Islamisch ist es nicht verpflichtend und gefordert, sich zu verschleiern. Aber wir wollen keine Politik machen. Über ein Verbot zu reden, ist nicht unsere Sache.

Aus Ihrer Broschüre kann man auch als Deutscher noch einiges lernen. Der Deutsche sei fleißig, heißt es da. Und er spreche etwa im Bus immer leise, um andere nicht zu stören.

Idriz: Ja, die Broschüre enthält auch viel Interessantes für Nicht-Muslime (lacht). Wir wollen damit schließlich auch gesamtgesellschaftliche Werte vermitteln.

Sie schreiben von Deutschland als „großherziger Gesellschaft, die anderen mit Toleranz begegnet“. Würden sie das derzeit bestätigen?

Idriz: Es gab immer wieder Angriffe auf Flüchtlinge und Islamfeindlichkeit. Aber viele Deutsche haben auch Angela Merkels Worte beherzigt: „Wir schaffen das.“ Es gibt viele Familien, die sich um Flüchtlinge gekümmert haben. In den Städten haben Helfer sie herzlich willkommen geheißen. Das kann uns alle ermutigen.

Benjamin Idriz

Benjamin Idriz, geboren 1972 in Skopje (Mazedonien), ist Imam der muslimischen Gemeinde Penzberg und Vorsitzender des Münchner Forums für Islam (MFI). Er spricht Deutsch, Türkisch, Albanisch, Arabisch, Bosnisch und Mazedonisch. Idriz wirbt für einen aufgeklärten „Euro-Islam“. Manche CSU-Politiker sind skeptisch, weil Idriz in München ein großes Islamzentrum mit finanzieller Unterstützung aus dem Nahen Osten bauen lassen will. So forderten die CSU-Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Uhl und Johannes Singhammer Aufklärung über eine anonyme Millionenspende, die angeblich aus Saudi-Arabien in Sicht ist. Das MFI sieht sich als Einrichtung, die Muslime in München als „natürlichen und wertvollen Bestandteil der Stadtgesellschaft“ integrieren will.

Die Broschüre „Willkommen in Deutschland“ ist Teil der MFI-Reihe „Islam im Hier und Heute“. Die Stadt München unterstützt die Veröffentlichung. Text: AZ, dpa / Foto: dpa

 
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