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Im Einklang mit seiner Kirche
Gut behütet: Papst Benedikt XVI. trifft bei seiner wöchentlichen Audienz auf dem Petersplatz in Rom ein Kind.
Foto: Action Press | Gut behütet: Papst Benedikt XVI. trifft bei seiner wöchentlichen Audienz auf dem Petersplatz in Rom ein Kind.
Von unserem Redaktionsmitglied Ludwig Sanhüter
 |  aktualisiert: 13.04.2012 19:49 Uhr

Papst Benedikt XVI. mag Hüte. Schon kurz nach seinem Amtsantritt überraschte er die Öffentlichkeit, indem er den alten Camauro, eine Art Mütze mit einem Rand aus weißem Hermelinfell, wieder hoffähig machte. Für den Sommer bevorzugt er den breitkrempigen Saturno, der ebenfalls schon ein wenig in Vergessenheit geraten war. Und bei Besuchen in aller Welt genießt er es sichtlich, die Kopfbedeckungen, die ihm angeboten werden, auch zu probieren: sei es der Panama-Hut, den ihm Altöttings Bürgermeister Herbert Hofauer beim Besuch 2006 schenkte, oder jüngst in Mexiko der mächtige Sombrero.

Äußerlichkeiten? Sicher. Und doch mehr als das. Sie verraten einiges über Joseph Ratzinger, den Menschen, den Theologen, den Kirchenführer, der am 16. April 85 Jahre alt wird.

Äußerlichkeiten sind wichtig in der katholischen Kirche, die liturgischen Gewänder, die Zeremonien, die Kniebeugen, der Weihrauch und das Weihwasser. Symbole sind es, sichtbare Zeichen für Unsichtbares, Versinnbildlichungen, die den Zuschauern unter die Haut, in die Seele gehen sollen. Die sichtbare Kirche als Zeichen der unsichtbaren.

Er liebt sie, diese sichtbare Kirche. Schon den kleinen Joseph hatte sie beeindruckt. Als er damals den Kardinal Michael Faulhaber gesehen habe in seinem ganzen Purpur, da habe ihm der gewaltig imponiert und er habe sich gesagt, „so was möchte ich werden.“ Das erzählte Ratzinger dem Journalisten Peter Seewald.

Ein Leben lang ist er mit dieser seiner Kirche glücklich. Er macht Karriere in ihr – Professor, Bischof, Kardinal, Leiter der Glaubenskongregation, Papst. Mühelos erscheint dieser Werdegang, Ratzinger ist begabt und fleißig, auch gut vernetzt, aber offenbar weitgehend frei von Ehrgeiz und Karrieredenken, von Intrigen und Machtkämpfen.

Papst schließlich wird er doch eher wider Willen. Er hatte sich mit 78 Jahren auf seinen Ruhestand gefreut und sah nach der Wahl sehr deutlich die Last, die auf ihn zukommt.

Doch abzulehnen käme für Ratzinger nicht in Frage. Eine Figur, wie Michel Piccoli sie in „Habemus Papam“ darstellt, ein frisch gewähltes Kirchenoberhaupt, das sagt „Ich kann das nicht“ und davonläuft, so etwas gibt es bei Ratzinger nicht: „Ich bin nur ein einfacher demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn“, sagt er und verrät mit diesem einen Satz zugleich so viel über sich und seinen Glauben. Gehorsam und treu ist er seiner Kirche und seinem Herrn, und glücklich damit, dienen zu dürfen.

Das Spannungsverhältnis von Individuum und Institution ist Thema der modernen Soziologie, doch nichts, was Professor Joseph Ratzinger oder Papst Benedikt XVI. plagen würde. Die Kirche ist seine natürliche Heimat, schon seit den Kindertagen in Bayern im tiefgläubigen Elternhaus und der fest gefügten katholischen Welt.

Eine Welt, in die das radikal Andere einbrach: die Ideologie des Nationalsozialismus mit ihrem pervertierten religiösen Anspruch, ihrer Verfolgung von Andersdenkenden. Das katholische Milieu leistete manchen Widerstand, aber Ratzinger wurde in die HJ beordert und erlebte das Zwangssystem aus nächster Nähe.

„So was möchte ich werden.“

Der kleine Joseph will Kardinal werden

Die Anfechtung des Glaubens durch Ideologien, aber auch durch den gesellschaftlichen Wandel wird ihm zum Lebensthema: Er wird nicht müde, in seinen Schriften diese Anfechtung zu schildern, das Unzeitgemäße des Glaubens in der öffentlichen Wahrnehmung, seine Bedrohung durch Atheismus und – davor hat er besonders Angst – durch selbst gestrickte Religiosität.

Dagegen setzt er seinen Glauben, untrennbar verbunden mit der Kirche und ihrer traditionellen Form. Am Zweiten Vatikanischen Konzil hat er mitgewirkt, galt damals als Reformer. Aber die Studentenrevolte erschreckte ihn – 1968 floh er aus Tübingen ins beschauliche Regensburg. Als sich der Bedeutungsverlust der Kirche nach dem Konzil fortsetzte, ja trotz aller Modernisierungsversuche gar verschärfte, gab es für ihn keine Alternative mehr zum traditionellen Kirchenbild.

Heute, nach vier Jahrzehnten eines restaurativen Kurses, an dem Ratzinger maßgeblich mitgewirkt hat, präsentiert sich die katholische Amtskirche auch in Deutschland wieder durch und durch traditionell. Vom Schriftsteller Martin Mosebach bis zum Journalisten Matthias Matussek hat sie in der säkularen Gesellschaft ihre Verehrer gefunden, wortgewaltige Verteidiger. Konservativ ist schick geworden und widerspricht so schön provokant der linksliberalen Spielart politisch korrekten Denkens und Sprechens.

Es ist nicht nur die Ästhetik der Liturgie, für Ästhetik ist Benedikt XVI. auch sonst zu haben. So bescheiden und leutselig er sich geben kann, so sehr lebt er für die feinen Dinge: für Musik allem voran, auch für Literatur. Der feine Stil seiner theologischen Abhandlungen strahlt eine gewisse Zartheit aus, über allem liegt die Harmonie eines geordneten Weltbildes. Zweifel und Seelennöte, Anfechtungen und Krisen – er leugnet sie nicht, aber sie sind immer schon aufgehoben in einem größeren Ganzen.

Der Mensch als die Wahrheit Suchender und mit den Mächten Ringender, in Konfrontation mit Institutionen und Traditionen, der Mensch, der in existenzieller Geworfenheit an Gott und der Welt verzweifelt – nichts liegt Benedikt XVI. ferner. Seine Rede im Berliner Reichstag mit der Verteidigung des Naturrechts hatte dies zum Inhalt: Er ist fasziniert von der Wahrheit, wie er sie erkannt hat und von der Harmonie, die sich zeigt: Gott hat Himmel und Erde, das Sein und das Sollen des Menschen wunderbar gefügt. Nun soll doch der Einzelne hineinpassen und alles wird gut.

Es ist alles gut gegangen im Leben von Joseph Ratzinger. Er hat schon als Leiter der Glaubenskongregation vieles durchgesetzt in der Kirche, und vieles, was er für bedrohlich hielt, aus ihr entfernt: die Reformstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde totgeschwiegen, aufmüpfige Denker und missliebige Befreiungstheologen mundtot gemacht. Seine Forderung nach einer „Entweltlichung“ der Kirche, ebenfalls beim Deutschlandbesuch vorgetragen, mag interpretationsbedürftig sein. Sie zeigt auf jeden Fall, wie wichtig ihm die Erhaltung der reinen Lehre und die Opposition gegen den Zeitgeist ist.

So ist er wieder und wieder auf die Traditionalisten zugegangen, wie ein gnädiger Vater auf den verlorenen Sohn. Die Kirchen der Reformation sind ihm fremd geblieben, so wie die anderen Religionen. Respekt und Achtung kann er empfinden, aber die Distanz bleibt deutlich.

Trotz der Karriere führt Ratzinger ein stilles Leben. Abenteuer des Denkens – vielleicht. Solche des Tuns – nein. Ein Heiliger Benedikt, ein Heiliger Franziskus, ein Heiliger Ignatius von Loyola, sie haben sich ganz anders dem Leben ausgesetzt, die Welt bewegt. Joseph Ratzinger will das gar nicht. Dafür ist er als Mensch viel zu bescheiden. Als Theologe und Kirchenlenker viel zu ehrfürchtig vor der Institution Kirche, die für ihn mit der Wahrheit Gottes engstens verbunden ist.

 
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    Im Einklang mit seiner Kirche oder im Einklang mit seinen Pflichten oder im Einklang mit dem, was Papst Benedikt XVI für seine Pflichten kält. Ein ganzheitliches Wohlempfinden kommt mir da in den Sinn, das gönne ich von ganzem Herzen einem 83 Jahre alten Mann.

    Obwohl die Generation aus dem Herr Sanhüter und ich stammen, noch Gehorsam gelernt haben, gelingt es kaum noch jemanden, harmonisch in Pflicht und Leben zu stehen.Gehorsam als Antwort auf alle Zweifel ist heute nur noch ein zwickendes Korsett. Wir spüren es deutlich: Christen sind nur ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich. Das ist eine schwere Last. Die 68er stellten schon die Frage, ob ein Mörder unschuldig ist, wenn er in Armeekleidung Befehle des Militärs ausführt? Ich schätze Menschen, die trotz der Folgen zu ihrem Gewissen stehen. Sie beflügeln mich. Viele kommen leider aus abenteuerlichen Gedanken nicht heraus. Sie kehren am Abend wieder brav heim zu Frauchen. Es hat wohl jeder seine ganz individuelle Art, mit Gewissen und Pflicht umzugehen, das macht die Menschen so interessant.

    Es nicht selbstverständlich, im 4. Lebensquartal im Einklang mit seinen Plichten zu stehen, vielleicht sieht es bei Papst Benedikt XVI nur so aus?
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