Die EU-Abgeordnete Barbara Lochbihler (Grüne) kritisiert die europäische Flüchtlingspolitik und fordert legale Zugänge. Lochbihler war von August 1999 bis Juni 2009 Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International. Bei der Europawahl 2009 wurde die 56-jährige Allgäuerin ins Europäische Parlament gewählt.
Barbara Lochbihler: Natürlich muss man Schlepper bekämpfen. Das beste Mittel gegen die organisierten Banden ist es aber, mehr legale Zugänge in die EU-Staaten zu schaffen. Doch in der EU fehlt es an der Einsicht und am Willen zur Umsetzung.
Lochbihler: Die EU verfolgt offiziell nach wie vor ihre Drei-Phasen-Politik. Danach soll zunächst ermittelt werden, wie die Schleuser-Netzwerke funktionieren – in dieser Phase befinden wir uns gerade. Dann sollen Schiffe konfisziert werden. Phase drei sieht vor, dass die Logistik, also auch Schiffe, mit militärischen Mitteln zerstört wird. Eine solche Eskalation ist untauglich und gefährlich, den Flüchtlingen nutzt sie am allerwenigsten.
Lochbihler: Der Ansatz ist schon richtig. Aber jede einzelne Krise ist verschieden. Die EU hat beispielsweise recht, in Libyen alles daran zu setzen, dass eine Regierung der Nationalen Einheit gebildet wird. Derzeit bekämpfen sich zwei libysche Regierungen gegenseitig. In Eritrea ist die Regierung äußerst autoritär. Die jungen Männer werden immer wieder und manchmal sogar lebenslang zwangsweise zum Militär eingezogen. Ein wichtiger Fluchtgrund. Das muss die EU anerkennen.
Lochbihler: Die Lage dort ist hochkomplex und unübersichtlich. Europa muss insbesondere die Nachbarländer, in die die Syrer massenweise flüchten – also Jordanien, den Libanon und die Türkei – weit stärker finanziell unterstützen. Das scheint mir am effektivsten.
Lochbihler: Die Logik ist zynisch: Sollen die Menschen lieber im Mittelmeer ertrinken, als hierher zu kommen? Außerdem geht die Argumentation an der Realität vorbei: Bis heute hat die europäische Agentur Frontex offiziell das Mandat, illegale Grenzübertritte zu verhindern. Doch tatsächlich sind auch die eingesetzten Beamten mittlerweile damit beschäftigt, Flüchtlinge zu retten. Es hat sich also einiges getan. Natürlich muss man überlegen, wie viele Menschen wir aufnehmen können. Wir brauchen verbindliche Quoten in der EU. Was aber passiert? Wir erleben eine Krise der Solidarität in der EU. Die Staaten müssen begreifen, dass Flüchtlinge für sie nicht schädlich sind, auch wenn das viele Politiker behaupten. Die Wirtschaft ist da schon viel weiter.
Lochbihler: Der Staat muss deutlich machen, dass rechtsradikale Verbrechen geahndet werden. Im Unterschied zu den 90er Jahren muss zudem klar ausgesprochen werden, dass es am schlechtesten für unser Land wäre, wenn Rechtsradikale die Themen setzen.
Lochbihler: Ich glaube nicht. Ich sehe in Deutschland – erst recht nach der Spaltung der AfD – glücklicherweise derzeit keine rechte Partei, die in der Lage wäre, das Thema Flüchtlinge für sich auszuschlachten. Das ist in Frankreich anders. Dort gibt es den Front National.
Lochbihler: Eine andere Abschiebungspolitik wird nicht dazu führen, dass es weniger Rechtsradikale gibt.
Lochbihler: Es wird ja immer gerne auf die EU geschimpft. Aber die EU-Staaten machen Druck auf die Regierungen dort, die Situation der Roma zu verbessern. Leider sind wir von einer Umsetzung noch weit entfernt. Ich bin nicht gegen Abschiebungen. Allerdings muss zuvor jeder Einzelfall ordentlich geprüft werden.
Lochbihler: Ich bin dagegen. Auch weil das keine Wirkung haben wird. Wenn man wirklich Zeit und Ressourcen sparen will, sollte Syrern automatisch Asyl gewährt werden. Gleichzeitig sollten die erfolgreichen EU-Ansiedlungsprogramme bei uns für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus dem Kriegsland, wie alleinstehende Mütter mit Kindern, ausgeweitet werden. Die Fälle werden bereits in den Nachbarländern Syriens geprüft. Bis zu 8000 Menschen aus Syrien haben dauerhaft in Deutschland eine Perspektive erhalten. Auch Schweden praktiziert das.
Lochbihler: In diesem Zusammenhang muss ich kritisieren, dass es nach 2012, als in vielen arabischen Staaten Revolutionen stattfanden und immer mehr Flüchtlinge kamen, versäumt wurde, das Personal des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufzustocken. Ein Fehler, der jetzt fatale Auswirkungen hat. Foto: AZ