Pegida-Aktivisten und Putin-Anhänger behaupten, die Medien würden von höheren Mächten fremdgesteuert und ihre Anliegen verzerrt wiedergeben. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hält diesen Vorwurf für falsch. Er sagt aber auch, was Journalisten anders machen sollten.
Bernhard Pörksen: Dies sind unterschiedliche Gründe. Zum einen gibt es, ganz generell gesprochen, eine seit Jahren grassierende Medienverdrossenheit, eine Klage über angebliche Manipulationen, die aber im Zuge der Ukraine-Krise eine neue Qualität erreicht hat. Zum anderen lebt die Pegida-Bewegung von einer gefühlten Repräsentationskrise. Sie bezieht ihre Wucht auch aus der Annahme, man werde von vermeintlich übermächtigen Medien und etablierten Politikern entweder totgeschwiegen oder aber diffamiert und lächerlich gemacht. Dieser Märtyrer-Mythos gibt der Bewegung Zusammenhalt, er stiftet Identität.
Pörksen: Ich halte den Vorwurf einer systematischen Unterdrückung politisch unkorrekter Positionen schlicht für falsch. Auch an die Existenz eines politisch-medialen Meinungskartells, das unliebsame Ansichten aussortiert, glaube ich nicht – das ist eine „self-destroying prophecy“, eine sich selbst widerlegende Annahme, die schon ein Blick in das allabendliche Fernseh- und Talkshowprogramm demontiert. Auch den Initiator der Pegida-Bewegung, einen wegen Einbrüchen und Drogendelikten verurteilten, zeitweise ins Ausland geflohenen Mann, wollte man übrigens sofort für den großen Auftritt verpflichten. Medien lieben die Figur des provozierenden, schillernden Antikorrekten. Sie verschaffen ihm – auch im Falle der inhaltlichen Nicht-Zustimmung – ein Forum. Kurzum: Woran sich die Gegner der „Political Correctness“ häufig stören, ist eigentlich nicht notwendig die fehlende Berichterstattung, sondern die fehlende Zustimmung zu ihren Auffassungen. Aber die kann man im öffentlichen Diskurs nun mal nicht erzwingen.
Pörksen: Diese Kritik ist nicht neu, sie blieb nur viel zu lange unbeachtet und auch öffentlich undiskutiert. Wissenschaftler beobachten seit Jahren eine steigende Medienverdrossenheit – nur wird über diese, im Gegensatz zur Politikverdrossenheit, so gut wie nicht gesprochen. Journalisten gelten lange schon wahlweise als korrupt, unmoralisch, zu mächtig und skandalversessen. Und viele Pegida-Demonstranten teilen offenkundig derartige Pauschal-Urteile und lassen ihrer Wut auf „die Lügenpresse“ freien Lauf.
Pörksen: Das Netz ist ein ungeheuer plastisches Medium – und produziert in einem solchen Fall Verstärker-Effekte. Es ermöglicht, dass sich Einzelne blitzschnell zusammenfinden, Gemeinschaft erleben, Demonstrationen organisieren. Manchmal sind es sinnvolle, relevante Anliegen, die man formuliert. Und manchmal bilden sich Wahl- und Wutgemeinschaften, die für fatale Positionen werben, aber mithilfe der sozialen Netzwerke eine neue Kraft entfalten.
Pörksen: Die Folge ist eine für jeden erfahrbare Verwandlung von Öffentlichkeit. Medien- und Publikumsempörung klaffen mit einem Mal für alle sichtbar auseinander. Aus der von mächtigen Massenmedien bestimmten Mediendemokratie wird allmählich die Empörungsdemokratie des digitalen Zeitalters. Die klassischen Gatekeeper, die journalistischen Schleusenwärter, verlieren an Einfluss und Deutungsautorität. Jeder kann sich nun barrierefrei zuschalten – mit guten oder schlechten Absichten, relevanten oder irrelevanten und im Extremfall auch gefährlichen, fremdenfeindlichen Anliegen.
Pörksen: Man kann empirisch zeigen, dass Medienskepsis und Medienverdrossenheit tatsächlich massiv vorhanden sind. Dies machen aktuelle Studien zum Berufsprestige und zur Vertrauenswürdigkeit von Journalisten deutlich. Und doch weiß man natürlich oft nicht, wer eigentlich spricht, wenn scheinbar die Masse im Netz ihre Stimme erhebt. Es lässt sich in der Regel nicht unmittelbar klären, ob die Lauten und Wütenden irgendwie repräsentativ sind. Insofern ist es sicher klug, nicht vorschnell in Hysterie zu verfallen.
Pörksen: Schwer zu sagen – und doch ist Fehlertransparenz eine Kardinaltugend des Qualitätsjournalismus. Und tatsächlich hat es Fehler in der Ukraine-Berichterstattung gegeben. Diese müssen benannt und offengelegt werden. Sie liefern aber keine Begründung für die pauschalisierende Totalabwertung des Journalismus. Diese halte ich für nicht gerechtfertigt. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern steht der deutsche Journalismus nach wie vor wirklich gut da.
Pörksen: Es lässt sich zeigen, dass das Wissen, wie Medien eigentlich arbeiten, was Journalismus ausmacht, wie eine Recherche und ein Faktencheck funktionieren, oft äußerst gering ist. Hier müssen Journalisten entschiedener für eine Selbstaufklärung der Branche sorgen, ihre Arbeitsweise erläutern, ihre Fehler benennen, die Mechanismen der Nachrichtenauswahl und die Formen der Nachrichtenpräsentation begründen. Denn eine sich weiter verstärkende Glaubwürdigkeitskrise wäre fatal. Medien brauchen ein Publikum, das ihnen glaubt; sie leben existenziell vom Vertrauen in ihre Arbeit. Nur dann kann eine kritische Enthüllung auch tatsächlich wirken.
Bernhard Pörksen
Der 45-Jährige arbeitete als Journalist für diverse Zeitungen und Magazine. Seit 2008 ist Bernhard Pörksen Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, dort war er auch Gründungsbeauftragter und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medienwissenschaft. Er erforscht die Empörungsdynamik des digitalen Zeitalters. Kürzlich veröffentlichte er – gemeinsam mit Friedemann Schulz von Thun – das Buch „Kommunikation als Lebenskunst“. Text: AZ/Foto: Bernd Brundert