Gute Nachricht am Freitagabend. Die Große Koalition ist offenbar gewillt, das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz doch noch in der letzten Sitzungswoche vor der Bundestagswahl im September zu beschließen. Zuletzt war das nicht mehr so sicher. Die Kritik an dem Vorhaben, Facebook und Co. unter Androhung millionenschwerer Bußgelder zu zwingen, mehr gegen rechtswidrige Hetze in sozialen Medien zu tun, ist nämlich heftig. Sie ist in manchen Punkten durchaus berechtigt, in der Summe aber arg überzogen. Dieses Gesetz ist überfällig. Es setzt ein deutliches Signal, dass im Internet nicht Recht sein kann, was in der analogen Welt von der Justiz verfolgt wird.
Schwer wiegt der Vorwurf, das Gesetz privatisiere das Recht, wenn man es den Konzernen überlässt, zu entscheiden, ob ein Post noch durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist oder nicht. Sogar von Zensur ist die Rede. Das ist Unsinn. Schon heute filtern und löschen Facebook und Co. die eingehenden Kommentare – aber eben nicht nach nachvollziehbaren, rechtlichen Kriterien, sondern nach selbst verfassten, wenig transparenten „Gemeinschaftsstandards“. Und kein Ernstzunehmender spricht von Zensur.
Auch Händler, die illegal gefertigte Ware verkaufen, haften mit
Selbstverständlich sind zunächst einmal die Urheber von Beleidigung und Volksverhetzung zur Verantwortung zu ziehen. Wenn das Gesetz kommt, würde Facebook aber endlich mithaften. So wie Medien verantwortlich sind, wenn ein Leserbriefschreiber oder Interviewpartner in ihren Beiträgen gegen Gesetze verstößt. So wie ein Händler haftet, der Waren verkauft, die illegal hergestellt oder gestohlen wurden.
Angesichts von Bußgeldern im zweistelligen Millionenbereich könnten Facebook und Co. verlockt werden, lieber einen Beitrag mehr als einen zuwenig zu löschen und damit die Meinungsfreiheit mehr einzuschränken als notwendig, lautet ein weiterer Kritikpunkt. Ein „Overblocking“ sei zu befürchten. Ein Einwand, den man ernst nehmen muss. Auch wenn die Netzwerke eigentlich kein Interesse haben dürften, Rede und Gegenrede im vorauseilenden Gehorsam einzuschränken. Schließlich basiert darauf ihr Geschäftsmodell.
Gleichwohl ist es gut, wenn diskutiert wird, die engen Fristen – Löschung offenkundig rechtswidriger Beiträger binnen 24 Stunden nach Kenntniserlangung – großzügiger zu gestalten. Manchmal ist es nämlich tatsächlich nicht so einfach, festzustellen, ob ein derber Beitrag schon beleidigend oder vielleicht nur ironisch gemeint ist.
Jugendmedienschutz als Vorbild für Selbstkontrolle
Auch die Idee, den Unternehmen zu erlauben, eine Clearingstelle ähnlich wie beim Jugendmedienschutz zur Selbstkontrolle einzurichten, kommt Kritikern entgegen. Ebenso die Versicherung, Millionenstrafen sollen nicht den einzelnen Verstoß sanktionieren, sondern die systemische Verweigerung, Recht im Internet durchzusetzen.
Die Bemühungen, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in der Großen Koalition mehrheitsfähig zu machen, sind trotz aller Kritik auch in den eigenen Reihen richtig. Ansonsten täte sich über Monate hinweg nämlich wieder nichts. Dass es Verfassungsklagen geben wird, ist eh nicht zu verhindern. So eine Überprüfung ist auch legitim. Und es ist auch kein Beinbruch, wenn das Gesetz nach entsprechender Evaluierung vom neuen Bundestag nachgebessert werden müsste.
SPD-Minister Heiko Mass kann man vorwerfen, er habe zu lange mit der Gesetzesinitiative gewartet. Das stimmt. Aber immerhin hat er, nachdem er zunächst auf den Goodwill der Unternehmen gesetzt hat, gehandelt. Und siehe da: Die EU-Kommission hat jetzt Zahlen veröffentlicht, laut denen Facebook, Twitter und Co. seit Vorlage des Maas'schen Gesetzes deutlich konsequenter gegen Rechtsverstöße auf ihren Seiten vorgehen als zuvor. Und andere Länder in Europa haben schon angekündigt, sich das deutsche Gesetz zum Vorbild zu nehmen. Da darf es nun kein Zurück mehr geben.