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Gastbeitrag: Ökonomie als Beitrag zum Frieden
Evangelischer Pressedienst
 |  aktualisiert: 09.02.2014 19:45 Uhr

Mit dem Siegeszug der Marktwirtschaft als ökonomisch anerkannte Grundordnung erhielt die Ökonomie eine politische Dimension. Kein Staat kann ohne die Nutzung seiner ökonomischen Ressourcen prosperieren – selbst die aktuell beginnenden Olympischen Winterspiele in Sotschi wären ohne die mehr oder minder erzwungenen Milliardeninvestitionen russischer Oligarchen nicht möglich gewesen. Die Politik braucht die Wirtschaft – ohne sich dabei zum Handlanger dieser machen zu dürfen. In der Ökonomisierung unserer Welt liegt aber ein unvermeidliches Risiko – einerseits das Wagnis einer ausgebeuteten und der Gier zum Opfer gefallenen Gesellschaft und Umwelt sowie andererseits auch die Chance einer unter ökonomisch-moralischer Nachhaltigkeit sich entwickelnden, alle Gesellschaftsschichten erfassenden Wohlstandsverbesserung. Wenn hinter ökonomischem Handeln moralethische Überzeugung steht, kann die Welt an nachhaltigem Wirtschaften gesunden – hierzu müssen Regeln geschaffen werden, die etwa über das Konstrukt der sozialen Marktwirtschaft ethische Standards qua Vorgabe gewährleisten.

Die Ökonomie muss als mächtiger Hebel eine ethische Gerechtigkeit erfüllen. Nach Aristoteles und Thomas von Aquin kann die Wirtschaftsethik in eine Tauschgerechtigkeit der Gesellschaftsmitglieder (siehe die aktuelle Mindestlohndebatte), eine Verteilungsgerechtigkeit des Staates gegenüber seinen Bürgern (zum Beispiel über soziale Fürsorgesysteme) sowie eine Legalgerechtigkeit in Form der Bürgerpflichten gegenüber dem Staat (zum Beispiel in Form der aktuell diskutierten Steuerehrlichkeit) unterteilt werden. Eine ethisch verantwortliche Ökonomie muss die Voraussetzung für die Erfüllung dieser Gerechtigkeitsdimensionen schaffen. Eine unter moralisch-ethischen Gesichtspunkten gerechte Ökonomie stellt die Grundlage eines Wohlfahrtsstaates dar.

Eine Ökonomisierung der Gesellschaft kann bei Beachtung ethischer Maßstäbe nicht nur zu gesellschaftlichem Wohlstand, sondern als Folge dessen zu gesellschaftlicher Befriedung, zu nationaler wie internationaler Solidarität mit Katastrophen- und Kriegsgebieten sowie zur weltweiten Teilhabe aller Menschen an den Gütern dieser Erde führen. Um diese nach Thomas Morus definierte positive Utopie zu verwirklichen, müsste jedes Wirtschaftssubjekt seiner Tausch-, Verteilungs- und Legalgerechtigkeit „gerecht“ werden und somit einem humanistischen Ideal folgen. Sprechen wir aber aktuell von einer Ökonomisierung der Gesellschaft, so geschieht dies zumeist mit einem negativen Beigeschmack. Gierige Banken waren verantwortlich für die europäische Finanzkrise und die aktuellen Diskussionen über Libor- und Wechselkursmanipulationen lassen auch weiterhin keine Läuterung der Kreditwirtschaft erkennen. Versicherungsunternehmen werden immer wieder durch ihre aggressiven Vertriebspraktiken auffällig und selbst dem bis dato vertrauenswürdigen Gelben Engel (ADAC) wurden durch interne Misswirtschaft die „Flügel gestutzt“. Auf der anderen Seite arbeiten familiär geführte Unternehmen mit hohem ethischem Standard, Unternehmer sorgen sich um jeden Mitarbeiter und stehen mit ihrer Reputation für ihre Produkte ein. Der deutsche Corporate Governance Kodex versucht die Unternehmen durch Selbstverpflichtung zu ethisch verantwortlichem, nachhaltigem Unternehmertum zu führen und alle Kapitalgesellschaften haben sich diesem Kodex gemäß Paragraf 161 AktG zu unterwerfen.

Wie kann die Ökonomie diese angestoßene Gerechtigkeitsdebatte positiv beeinflussen, wie kann sie ihre inhärente Macht auf unser Leben und auf die Gesellschaft zum Guten nützen? Ein Sprichwort sagt hierzu treffend: Der Mensch ist dem Menschen Feind. Solange sich der Mensch nicht als solidarisches Wesen begreift, wird er als homo oeconomicus allein seinen eigenen Nutzen maximieren und die genannten Gerechtigkeitsparameter missachten. Der Segen einer freien Marktwirtschaft zeigt sich in der Entfaltungsmöglichkeit persönlicher Stärken, in der Freiheit zu innovativem und kreativem Denken sowie im Schutze des geistigen wie materiellen Eigentums. Diese Freiheit muss beibehalten werden – darf aber nicht auf Kosten und zum Schaden der Gesellschaft missbraucht werden. Nach dem Grundsatz „so viel Freiheit wie möglich, so viel Staat wie nötig“ müssen regulatorische Elemente die segensreichen Elemente der Marktwirtschaft fördern und diese auch kontrollieren – dies ist letztlich das Erfolgsgeheimnis der in Deutschland praktizierten sozialen Marktwirtschaft.

Staatliche Regulatoren stellen demnach keine Behinderung einer erfolgreichen Marktwirtschaft, sondern eher eine Ermöglichung einer ethischen Wirtschaftsordnung dar. Durch regulatorische Eingriffe wird eine moralische Nachhaltigkeit qua Diktum in die Unternehmen transportiert und ein egozentrischer „Manchester-Kapitalismus“ verhindert. Allein auf europäischer Ebene kennen wir neben der ab Herbst 2014 für die 130 systemrelevanten, europäischen Großbanken zu schaffende Bankenaufsicht (angesiedelt bei der Europäischen Zentralbank) eine europäische Aufsicht über systemrelevante Risiken (European Systemic Risk Board), eine europäische Kapitalmarktaufsicht, eine europäische Versicherungsaufsicht sowie eine weitere Bankenaufsicht für nicht-systemrelevante Banken. Auf internationaler Ebene haben die G20-Staaten ein Financial Stability Board geschaffen, das versucht globale Systemrelevanzen weltweit tätiger Konzerne zu identifizieren und frühzeitig zu beheben. Alle diese nationalen und internationalen Maßnahmen beschneiden zwar die unternehmerischen Freiheiten, dienen aber letztlich dem Erhalt ethisch-verantwortlicher, ja gesunder Märkte.

Unsere Märkte werden mit einer hohen Intensität reguliert – womit eigentlich eine ethisch verantwortlich handelnde Ökonomie gewährleistet sein müsste. Auch wenn die Wirtschaft über die Bürokratisierung ihrer Abläufe stöhnt – Aufsichtsinstitutionen ermahnen alle Wirtschaftssubjekte zu ethisch korrektem Verhalten und sind so Förderer einer nachhaltigen, der Gesellschaft und dem Menschen dienenden Wirtschaftsordnung. In diesem Zusammenhang dürfen wir regulatorische und aufsichtsführende Organe als gesundheitsfördernde Institutionen des „Organismus Weltwirtschaft“ bezeichnen. Durch die kontrollierende, der Gerechtigkeit dienende Funktion der Regulatoren kann die Ökonomie zu gesellschaftlichem Konsens, Stabilität, Gleichgewicht, letztlich zu innerem und äußerem Frieden beitragen.

Matthias Müller-Reichart

An der Hochschule RheinMain in Wiesbaden hat Professor Dr. Matthias Müller-Reichart den Lehrstuhl für Risikomanagement inne. Er ist Studiendekan der Wiesbaden Business School und Einzelhändler in Würzburg. Müller-Reichart studierte Betriebswirtschaftslehre und katholische Theologie. Er ist Autor von knapp 100 Veröffentlichungen im Rahmen der Versicherungswirtschaft und des Risikomanagements sowie Berater nationaler und internationaler Versicherungsunternehmen. FOTO: MR

 
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