Gastbeitrag
Die Spieltheorie thematisiert dynamische Entscheidungsprozesse, indem eine zu wählende Aktion die damit ausgelöste Reaktion vorwegnimmt. Die handelnden Akteure befinden sich insofern in einem Entscheidungsdilemma, da eine Kooperation mit anderen nur lohnend ist, wenn sich alle Akteure an diese Kooperation halten und kein Akteur, den eigenen Vorteil suchend, ausschert. Das so entstehende, suboptimale Gleichgewicht ist stabil, da sich alle Akteure auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner treffen. Genau diese Suboptimalität offenbaren politisch motivierte, völkerrechtlich wie ökonomisch bedeutsame Entscheidungen einer der Globalisierung unterworfenen Politik. Dieses entscheidungstheoretische Primat der Politik führt aber zur Benachteiligung des Individuums zum Wohle der übergeordneten Gemeinschaft – dieser Benachteiligung muss sich die Politik dabei stets bewusst sein und darf diese nicht im Sinne des Allgemeinwohls einfach ausblenden.
Durch die völkerrechtliche und ökonomische Globalisierung ist unser kompliziertes, verschiedensten Kulturen und nationalen Eigenheiten gerecht werdendes Miteinander letztlich nur aus einem politischen Blickwinkel nachvollziehbar und als Gefangenen-Dilemma zu verstehen. Das Primat der Politik, allem und jedem gerecht zu werden, wird dabei durch eine nivellierende Konsensfindung den Schwächsten jeder Gesellschaft nicht gerecht werden können. Somit mündet diese Form globaler Verständigung in einen Teufelskreis zweigeteilter Entwicklungsgeschwindigkeiten, bei der die Schwächeren abgehängt zu werden drohen. Sobald eine auf Ausgleich angelegte Politik den kleinsten gemeinsamen Nenner verfolgt und diesen zur Richtschnur gesellschaftlichen Handelns stilisiert, werden Wahrhaftigkeit, Geradlinigkeit, Moral und Ethik für das einzelne Individuum zugunsten der Gemeinschaft hintangestellt.
So entsprach etwa die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees, russische Athleten trotz nachgewiesenen, staatlich organisierten Dopings nicht flächendeckend von den Olympischen Spielen auszuschließen, einem solchen Entscheidungsdilemma als politisch motivierte, der Bedeutung Russlands entsprechende Entscheidung. Trotz ungelöster Ukraine-Krise und weiterhin feindlich annektierter Krim wird eine Annäherungspolitik an Russland, insbesondere an seinen autokratisch wirkenden Präsidenten, für politisch wünschenswert gehalten. Eine gemeinsam in Frieden lebende Welt benötigt eine friedlich gesinnte Großmacht Russland. Ein von russischem Gas abhängiges Deutschland benötigt ein Rohstoffe exportierendes Russland. Und eine vom Warenaustausch (Export/Import) abhängige deutsche Wirtschaft verlangt nach dem Handelspartner Russland. Aufgrund dieser Abhängigkeiten werden im Sinne des jeweils bedeutenderen Hintergrunds völkerrechtliche und sportliche Gleichheitsgrundsätze ge- und verbogen, um politischen Notwendigkeiten folgend, gesichtswahrend zu argumentieren. Zwar weist man auf beklagenswerte Zustände hin, sieht sich aber aufgrund einer unklaren Daten- und Faktenlage zu keiner wirklichen Sanktion imstande.
Auf Kosten des sich über vier Jahre vorbereitenden, sauber agierenden Sportlers konnte Russland somit auch bei Olympia 2016 als viertstärkste Nation 56 Medaillen erringen.
Mehr oder minder enteignet
Auch die Europäische Zentralbank wurde ursprünglich als autonome, neutrale Institution zur Aufrechterhaltung und Kontrolle des europäischen Zahlungsverkehrs gegründet. Mit der europaweiten Finanzkrise, beginnend Ende 2008 mit der einen Finanz-Tsunami auslösenden Lehman-Pleite, wurde die EZB politisch zum Rettungshebel notleidender, europäischer Staaten auserkoren. Um den überschuldeten europäischen Staaten Unterstützung zu geben, wurde der Leitzins auf null gesetzt, Geschäftsbanken zahlen für Einlagen bei der EZB einen Strafzins in Höhe von minus 0,4 Prozent, und die EZB kauft monatlich Staats- und Unternehmensanleihen in Höhe von 80 Milliarden Euro an, um billiges Geld in die Märkte zu pumpen. Dieses Anleihekaufprogramm wird bis zu seinem Abschluss im März 2017 dafür sorgen, dass die EZB eine Bilanzsumme von knapp 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Euroraums aufweist. Weil langsam die ankauffähigen Anleihen ausgehen, wird bereits über einen möglichen Ankauf von Aktientiteln spekuliert, was den Aktienmärkten ebenso eine künstliche Hausse verschaffen würde.
Mit diesen im wahrsten Sinne des Wortes „staatstragenden“ politischen Entscheidungen einer neutralen Institution wird gleichzeitig der Altersvorsorgesparer mehr oder minder enteignet. Die von ihm eingeplante Verzinsung seiner langfristig angelegten und durch Konsumverzicht ermöglichten Altersvorsorge schmilzt im Lichte der EZB-Politik wie Eis in der Sonne. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft errechnete, dass bei einem Ansparhorizont von 30 Jahren und einem Zinsrückgang von 4 Prozent auf 1 Prozent die monatliche Sparleistung um zwei Drittel angehoben werden müsste, um das ursprüngliche Sparziel zu erreichen.
Mit dem Ziel, die weltweite Flüchtlingssituation in geordnete, den traumatisierten Flüchtlingen wie auch den aufnehmenden Ländern gerecht werdende Bahnen zu lenken, macht sich Europa abhängig von einem teilweise autokratisch und repressiv auftretenden, türkischen Staatssystem. So verwerflich der Putschversuch in der Türkei war, so wenig angemessen zeigte sich die Reaktion der türkischen Regierung.
Mit dem Bekenntnis zur Globalisierung müssen Entscheidungen stets multidimensional erfolgen. Die Konsequenz dieser kooperativen Entscheidungssituation zeigt sich in einem „Race-to-the-bottom“, einer Stabilisierung auf einem kleinsten gemeinsamen Nenner. Leidtragende dieser suboptimalen, allein politisch zu begründenden Entscheidungssituation sind alle Individuen – Flüchtlinge, Sportler, Sparer. Wir alle tragen diese Entscheidungen „für das große Ganze“ mit – allein die Politik sollte sich der Konsequenzen für den einzelnen stets bewusst bleiben und im Sinne der Wahrhaftigkeit diese zu erbringenden Opfer benennen. Diese teilweise für das Gemeinwohl notwendigen Entscheidungen müssen seitens der Politik ehrlich erklärt werden, um als wahrhaftige Information in ihrer Kausalität nachvollziehbar zu sein und um Problemlösungen für die betroffenen Individuen zu finden.