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Gastbeitrag: Ein Schritt nach vorn
Von unserem Gastautor Erich Garhammer
 |  aktualisiert: 22.02.2013 19:35 Uhr

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als der Kölner Kardinal Frings am 8. November 1963 in der Konzilsaula seine Rede über die Notwendigkeit einer Kurienreform hielt. Vor allem prangerte er die Praxis des Heiligen Offiziums, der obersten Glaubensbehörde, an, die direkt dem Papst unterstellt war. Beeinflusst hatte diese Rede ein anderer: Joseph Ratzinger, der junge Startheologe und Berater von Josef Frings auf dem Konzil. Er sollte viel später selber Leiter dieser mächtigen, in der Zwischenzeit zur Kongregation herabgestuften Behörde werden.

Papst Paul VI. machte mit der Kurienreform Ernst. Er entmachtete das Heilige Offizium, das sich immer wieder als Staat im Staate aufspielte. Bevor er Papst wurde, hatte er als Mitarbeiter im Staatssekretariat in den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts die Obstruktionspolitik des Heiligen Offiziums am eigenen Leib erfahren müssen. Als Kritiker dieser Praxis wurde er 1954 auf den Bischofsstuhl von Mailand „abgeschoben“.

Man wollte einen internen Kritiker loshaben und verweigerte ihm sogar den Kardinalspurpur, der mit diesem Amt verbunden war. So kam er auch nicht als Nachfolger von Pius XII. in Frage. Der 1958 neu gewählte Papst Johannes XXIII., der um diese Degradierung wusste, ernannte ihn umgehend zum Kardinal, und er wurde 1963 im fünften Wahlgang dessen Nachfolger.

Dieser Blick zurück soll daran erinnern, dass sich im Vatikan immer zwei Parteien „belauern“: die „politicanti“ (sie haben die Diplomatie der Weltbühne im Auge) und die „zelanti“ (die Glaubenswächter). Als der „oberste Glaubenswächter“ Joseph Ratzinger 2005 zum Papst gewählt wurde, dachten alle, dass er diese Gesetzmäßigkeiten kennen würde aufgrund seiner 23-jährigen Insiderkenntnisse als Präfekt der Glaubenskongregation.

Aber er machte einen entscheidenden Fehler. Er ernannte Tarcisio Bertone, einen engen Mitarbeiter der Glaubenskongregation, zum Kardinalstaatssekretär. Damit war die „Balance of Power“ zerstört, das Staatssekretariat als kritisches Auge der Welt wurde blind. Die Texte des Papstes wurden nun nicht mehr mit diesem Auge gegengelesen. So passierten die Regensburger Rede mit dem Affront gegen den Islam und die Rehabilitierung des Holocaust-Leugners Richard Williamson mit dem Affront gegen das jüdische Volk. Das Weltecho war verheerend. Nun regte sich auch intern Widerstand: die Vatileaks-Affäre ist ein Beweis dafür.

So wurde immer weniger bemerkt, wofür dieser Papst eigentlich stand und eintrat: Für eine Re-Episkopalisierung des Papstamtes: Benedikt war als Papst ein Bischof unter Bischöfen. Die Wahl der Mitra statt der Tiara (Papstkrone) im Wappen, der Verzicht auf den Titel Patriarch des Abendlandes, die Rückübertragung der Seligsprechungsfeiern in die Diözesen – in Würzburg ist noch die Seligsprechungsfeier von Georg Häfner in Erinnerung – all das waren kleine, aber bedeutsame Schritte. Sie sind in einer Linie zu sehen mit dem Absteigen Papst Johannes‘ XXIII. von der Sedia gestatoria (dem tragbaren Papstthron) oder dem Ablegen der Papstkrone durch Papst Paul VI.

Dass der Papst eben auch Bischof ist, wird mit dem Rücktritt erneut deutlich. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung der Normalisierung des seit dem 19. Jahrhundert sakral aufgeladenen Amtes. Alle Bischöfe müssen mit 75 Jahren ihren Amtsverzicht erklären. Das hat gute Gründe. Und es gibt auch gute Beispiele dafür, dass es ein Leben außerhalb der Rolle gibt. Manche kommen da wieder neu zu sich. Man denke nur an den jüngst verstorbenen Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher oder auch an die vielen „machtlosen“ und gerade darin neu glaubwürdigen und interessanten Gesprächspartner auf vielen Ebenen wie Bischof Paul-Werner Scheele in Würzburg oder Bischof Franz Xaver Eder in Passau.

In den vergangenen Jahren wurde immer deutlicher: Die größte Herausforderung für die Kirchenleitung ist die katholische Binnenökumene. Mit 1,2 Milliarden Mitgliedern und einer ungeheuren Bandbreite an Traditionen und Meinungen stellt sich die Frage nach einer Kultur der Weite. Dazu vermochte Benedikt außer dem Rückgriff auf die vermeintliche Einheit in Vielfalt der Kirche vor der Trennung von 1054 (in lateinische und griechisch-orthodoxe Kirche) oder durch den Retrotrend seiner modischen Accessoires wenig beizutragen.

Zu viele Türen hatte er als Präfekt der Glaubenskongregation schon verschlossen: Man denke an die harte Linie in der Schwangerschaftskonfliktberatung, die brüske Zurückweisung der oberrheinischen Bischöfe in der Frage der Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten oder die harsche Verurteilung der Befreiungstheologie. Es bleibt die Vermutung, dass er – gerade im Blick auf die Piusbrüder – versuchte, jene harmonische Kirche wiederherzustellen, die ihm aus der Kindheit vertraut war. So konnte Kardinal Carlo Maria Martini, der im letzten Konklave ein ernsthafter Papstkandidat war, aber durch sein Gehen am Stock auf seine beginnende Parkinsonkrankheit aufmerksam machte, kurz vor seinem Tod im letzten August sagen: „Die Kirche ist 200 Jahre zurückgeblieben.“

Benedikt XVI. erkannte schließlich die strukturelle Überforderung dieses Amtes, er sah seine Kräfte schwinden. Aber dieser Rücktritt macht ihn noch einmal groß: Er entmystifiziert das Petrusamt und macht es als Dienst im 3. Jahrtausend wieder neu möglich. Nicht zu unterschätzen ist dabei, dass es Glaubensakte sind, die Menschen aufhorchen lassen: Da stirbt einer in der Öffentlichkeit wie Johannes Paul II. und holt weltweit auf den Bildschirm, was tausendfacher Alltag in den Altenheimen moderner Gesellschaften ist. Da tritt ein mächtiger Mann ab, weil er die Kraft nicht mehr hat – und zeigt damit, was es bedeutet, die eigenen Grenzen zu respektieren. So gesehen liegt in diesem Rücktritt ein Schritt nach vorn. Ein unmögliches Amt ist wieder möglich geworden.

Erich Garhammer

Der Pastoraltheologe ist Lehrstuhlinhaber an der Universität Würzburg. Gerade erscheint sein Buch „Zweifel im Dienst der Hoffnung. Poesie und Theologie“ (Echter, Würzburg) in 2. Auflage. Er ist Schriftleiter der Zeitschrift „Lebendige Seelsorge“. Erich Garhammer studierte in Regensburg Theologie und Germanistik. Nach Staatsexamen und Diplom begann der Geistliche seine pastorale Praxis in der Diözese Passau. Nach der Promotion erfolgte 1991 die Berufung auf den Lehrstuhl Pastoraltheologie an der Uni Paderborn. Im Jahr 2000 wurde er nach Würzburg auf den Lehrstuhl für Pastoraltheologie berufen. Sein besonderer Forschungsschwerpunkt gilt der Auseinandersetzung mit moderner Literatur. FOTO: Privat

 
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