Es gärt hinter den Kulissen der europäischen Geldpolitik. Die Ursache ist, dass man die Europäische Zentralbank (EZB) zu einem Zwitter gemacht hat. Die eigentliche Aufgabe der Europäischen Zentralbank ist die Geldpolitik. Das umfasst vor allem die Versorgung der Volkswirtschaften mit Geld und die Sicherung der Geldwertstabilität. Doch dann kam ab 2008 die Finanz- und Wirtschaftskrise.
Eines der Hauptprobleme war das unverantwortliche Geschäftsgebaren vieler Banken. Sie hatten jahrelang auf Teufel komm heraus Kredite vergeben – ohne ausreichende Prüfung der Kreditwürdigkeit der Schuldner. Viele nationale Bankaufsichtsbehörden hatten weggesehen. Als dann in der Krise etliche Schuldner die Kredite nicht zurückzahlen konnten, standen viele Banken vor der Pleite. Um den Kollaps zu verhindern, sprangen mit Hunderten von Milliarden Euro die Staaten ein – was wiederum etliche von ihnen an den Abgrund brachte.
Eine der Hauptlehren aus der Krise war daher: Die Banken müssen an eine kürzere Leine genommen und strenger beaufsichtigt werden. Daher schuf man 2010 zunächst die European Banking Authority (EBA). Sie sollte die Arbeit der nationalen Bankaufsichtsbehörden kontrollieren. Doch 2012 wollte man noch weitergehen: Eine europäische Aufsichtsbehörde sollte nicht mehr die nationalen Aufsichtsbehörden, sondern die Banken selbst kontrollieren. Das ist sachgerecht. Was hätte nähergelegen, als der EBA diese Aufgabe zu übertragen?
Doch aus politischen Gründen entschied man sich anders: Die EZB wurde damit betraut. Für sie bedeutete das einen ganz erheblichen Machtzuwachs. Doch gerade der ist fatal. Denn seitdem hat die Europäische Zentralbank zwei Funktionen: neben der Geldpolitik nun auch die Bankenaufsicht. Und das bringt massive Interessenkonflikte mit sich.
Ein aktuelles Beispiel: Es ist nunmehr Pflicht der Europäischen Zentralbank – als Bankenaufsichtsbehörde –, dafür zu sorgen, dass die noch immer kippeligen Banken ihr Kreditvolumen bereinigen und Kredite nur noch an zahlungsfähige Staaten und Unternehmen vergeben. Gleichzeitig aber flutet sie – als Teil ihrer Geldpolitik – die Banken mit billigem Geld, um sie zu einer deutlichen Steigerung ihrer Kreditvergaben zu bewegen; dies soll die Konjunktur in der Euro-Zone beleben. Beides zusammen ist die Quadratur des Kreises.
Darauf wiesen das Centrum für Europäische Politik und andere schon 2012 hin. Aber alle Warnungen wurden ignoriert. Um den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, behauptete man, man werde innerhalb der EZB eine „Chinesische Mauer“ schaffen, die beide Aufgaben strikt voneinander trenne.
Doch diese „Chinesische Mauer“ ist ein Witz: Innerhalb der Europäischen Zentralbank wurde für die Bankenaufsicht ein „Aufsichtsgremium“ geschaffen. Dieses Gremium erstellt aufsichtsrechtliche „Beschlussentwürfe“. Diese müssen dem EZB-Rat – dem für die Geldpolitik zuständigen obersten Entscheidungsorgan der EZB – zur „Annahme“ vorgelegt werden. Die Annahme gilt als erfolgt, wenn der EZB-Rat nicht innerhalb von zehn Tagen widerspricht. Vollmundig wurde versichert, dass der EZB-Rat sein Widerspruchsrecht nicht nutzen, sondern schweigen werde. Dadurch sei gewährleistet, dass die aufsichtsrechtlichen und die geldpolitischen Entscheidungen völlig unabhängig voneinander seien.
Jüngst kam es zum Schwur: Das Aufsichtsgremium wollte den griechischen Banken untersagen, dem griechischen Staat weiter Kredite zu geben. Das ist auch geboten. Denn die griechischen Banken sind so vollgepumpt mit griechischen Staatsanleihen, dass sie im Falle einer Staatsinsolvenz unweigerlich Konkurs gingen. Und die Spatzen pfeifen es ja von den Dächern: Der griechische Staat steht unweigerlich vor dem Kollaps, falls er von den anderen Euro-Staaten keine weiteren Hilfsmilliarden erhält. Das Aufsichtsgremium in der Europäischen Zentralbank legte dem EZB-Rat also einen entsprechenden Beschlussentwurf vor.
Doch der EZB-Rat verfolgt – geldpolitisch – ganz andere Interessen: Er will, dass der griechische Staat notdürftig über Wasser gehalten wird, bis – und in der Hoffnung, dass – die Hilfsmilliarden wieder fließen. Daher sollen die griechischen Banken dem Staat erst einmal weiter Kredite geben.
Was tat also der EZB-Rat mit dem Beschlussentwurf? Entgegen allen früheren Beteuerungen schwieg er nicht, sondern stellte sich quer. Die viel gepriesene „Chinesische Mauer“ ist bereits eine Ruine. Das zentrale Anliegen, die europäischen Banken robust zu machen, gerät unter die Räder.
Lüder Gerken
Der 56-jährige Ökonom studierte Wirtschaftswissenschaft und Rechtswissenschaft. Anschließend leitete Lüder Gerken von 1991 bis 2001 das Walter-Eucken-Institut in Freiburg im Breisgau. Er habilitierte sich 1998 an der Universität Bayreuth. Von 2001 bis 2004 war Gerken Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft in Berlin. Seit 1999 ist er Vorsitzender des Vorstandes der Stiftung Ordnungspolitik, seit 2006 Direktor des Centrums für Europäische Politik. Die Stiftung wurde 1999 gegründet. Sie versteht sich als unabhängige Denkfabrik. Dem Kuratorium der Stiftung gehören Altbundespräsident Roman Herzog und der frühere Bundesbankchef Hans Tietmeyer an. Auch in der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft war Gerken aktiv. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen nationale und internationale Ordnungspolitik und europäische Integration. FOTO: CEU