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Gastbeitrag: Dicke Bertha mit dünner Wirkung
Von unserem Gastautor LÜDER GERKEN
 |  aktualisiert: 20.03.2012 19:13 Uhr

Die guten alten Dampflokomotiven hatten Anhänger für die Kohle. Das waren die Tender. Auf Neudeutsch sind Tender Aktionen der Europäischen Zentralbank (EZB), bei denen es auch um „Kohle“ geht: Geld ist das Gleitmittel der Volkswirtschaft. Vom Brötchen bis zum Fabrikbau wird alles mit Geld bezahlt. Die EZB prüft regelmäßig, wie viel Geld die Volkswirtschaften in der Eurozone benötigen, damit sie reibungslos laufen. Dieses Geld stellt sie zur Verfügung, indem sie den Banken alle paar Tage zu einem von ihr festgelegten Zinssatz Kredite mit einer Laufzeit von einer Woche bis zu einem Jahr anbietet. Diese Angebote nennt man Tender. Pointiert gesagt: Die EZB druckt Geld.

Die Banken haben also zwei Geldquellen: die Spareinlagen und die EZB-Kredite. Ihr Geschäft besteht darin, aus beiden Quellen Kredite an Unternehmen, Verbraucher und Staaten zu vergeben. So weit der Normalfall.

Aber derzeit haben wir keine normalen Zeiten. Die Europäische Zentralbank ist wahrlich nicht zu beneiden; denn sie steht vor einem gigantischen Dilemma: Die Euro-Schulden-Krise hat deutlich gemacht, dass in Südeuropa nicht nur die Staaten todkrank sind, sondern auch die Banken. Bei ihnen will deshalb kaum noch jemand sein Geld anlegen. Das bedroht nicht nur ihre Existenz, sondern die des gesamten Bankensystems.

Um den Kollaps zu verhindern, hat die EZB im Dezember 2011 und im Februar 2012 zwei Sonder-Tender begeben: Zum Dumpingzins von einem Prozent bei der Begebung und für eine Rekordlaufzeit von drei Jahren konnten sich die Banken Geld von der EZB leihen, und zwar die unvorstellbare Summe von über einer Billion Euro – in Ziffern: 1 000 000 000 000. Das ist das Vierzigfache der gesamten Neuverschuldung des deutschen Staates 2011. Vor allem griffen die Banken Südeuropas zu. Die leihen das Geld nun weiter, nicht zuletzt an ihre vor dem Bankrott stehenden Staaten.

Auf den ersten Blick profitieren alle: Die Banken machen Kasse, weil sie das billige Geld mit kräftigen Aufschlägen weiterverleihen können. Die Staaten können weiter ihre Schuldenmacherei finanzieren, ohne sich als Gegenleistung zu Reformen verpflichten zu müssen. Die EZB schließlich macht sich die Finger nicht schmutzig. Denn sie leiht nicht den Staaten Geld – was ihr verboten ist –, sondern den Banken, die dann den Staaten das Geld leihen. Es merkt ja niemand, dass das eine Aushebelung des Verbots ist.

EZB-Präsident Mario Draghi nannte den Februar-Tender die „dicke Bertha“ – in Anspielung auf eine deutsche Kanone im ersten Weltkrieg. Was er offenbar nicht wusste: Die „dicke Bertha“ war ein Ungetüm mit dünner Wirkung, da ohne Durchschlagskraft.

Ähnliches gilt auch für Mario Draghis „dicke Bertha“ und ihren Vorgänger, den Dezember-Tender. Denn die Geldschwemme der EZB wirkt wie eine Spritze beim Junkie. Sie schafft nur kurzzeitig Linderung, beseitigt die Abhängigkeit von der Droge Kredit dagegen nicht. Sie verstärkt diese Abhängigkeit sogar, denn sie senkt den Druck zu einer Entziehungskur mit Reformen. Der Kredit-Junkie braucht immer weitere Dosen.

Wird man in drei Jahren – wenn die Kredite zurückzuzahlen wären, aber mangels Reformen nicht zurückgezahlt werden können – die Staaten und die sie finanzierenden Banken in die Pleite gehen lassen? Nachdem man jetzt schon einen Sündenfall nach dem anderen begeht, um genau das zu verhindern? Oder wird man erneut „dicke Berthas“ auffahren? Die Antwort liegt auf der Hand.

Und wer zahlt die Zeche? Die Geldschwemme führt zu Inflation. Schon heute – obwohl sich viele Euroländer in einer Rezession befinden – sind die Warenpreise stark gestiegen. Wenn die Konjunktur anzieht, werden sie noch stärker ansteigen. Die EZB wird das Geld gar nicht so schnell aus dem Markt ziehen können, weil sie sich für drei Jahre gebunden hat.

Außerdem droht Inflation bei den Vermögensanlagen. Weil so viel Geld da ist und viele nicht wissen, wohin damit, kauft man „Sachwerte“, die – vermeintlich – vor Inflation schützen. Die Preise für Immobilien, Aktien, Rohstoffe sind bereits kräftig gestiegen. Und zwar alle auf einmal. Das ist unnatürlich. Es drohen – wie zum Beispiel jüngst in Spanien – bei den Vermögensanlagen Preisblasen, die später zerplatzen. Mancher, der heute zu überhöhten Preisen Immobilien kauft, wird noch sein blaues Wunder erleben.

Die Rechnung für die „dicken Berthas“ wird den Verbrauchern und Anlegern präsentiert werden, vor allem also dem kleinen Mann. Nur merkt der es noch nicht.

Lüder Gerken

Der 52-jährige Ökonom studierte Wirtschaftswissenschaft (Diplom in Volkswirtschaftslehre 1985, Promotion 1988) und Rechtswissenschaft (Erste juristische Staatsprüfung 1991). Anschließend leitete Lüder Gerken von 1991 bis 2001 das Walter-Eucken-Institut in Freiburg im Breisgau. Er habilitierte sich 1998 an der Universität Bayreuth. Von 2001 bis 2004 war Gerken Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft in Berlin. Seit 1999 ist er Vorsitzender des Vorstandes der Stiftung Ordnungspolitik, seit 2006 Direktor des Centrums für Europäische Politik. Auch in der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft war Gerken aktiv. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen nationale und internationale Ordnungspolitik und europäische Integration.

 
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  • Anscheined vertreiben sich die Finanzbeamten auf europäischer Ebene mit dem Kriegsspiel; denn sie gebrauchen ein Vokabular, welches die Finanzmisere zum Militärzynismus macht. "Bazooka", "dicke Bertha", das alles spiegelt ein Denken wider,
    welches in der "World of warcraft" eine Rolle spielt.
    Hier kommt die ganze "spätrömische Dekadenz" zur Entfaltung.
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