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Gastbeitrag: Der Professorenmord von Lemberg
Von unserem Gastautor Johannes Dietl
 |  aktualisiert: 08.06.2012 19:07 Uhr

Die deutsche Fußballnationalmannschaft bestreitet am 9. und 17. Juni zwei EM-Gruppenspiele in Lviv in der Ukraine – vormals Lemberg. Die Stadt zwischen Ost und West erlebte während der NS-Zeit gleich zu Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion ein grausames Verbrechen: Die Ermordung von 25 polnischen Professoren, vornehmlich Mitgliedern der Medizinischen Fakultät der Universität Lemberg, war die Fortsetzung der NS-Vernichtungspolitik im besetzten Polen und der Auftakt zu neuen Verbrechen in den eroberten Ostgebieten. Die gezielte Exekution der Hochschullehrer in Lemberg war gegen die polnische nationale Elite gerichtet und hat im polnischen Nationalbewusstsein einen hohen Stellenwert, so dass diese Ereignisse auch in den Lehrplänen der Schulen verzeichnet sind.

In Deutschland sind diese Vorgänge wenig bekannt. Und auch der Bürgermeister von Lemberg, Andriy Sadowyi, möchte höflicherweise im Rahmen der EM nicht an diese Greueltaten der Nazis erinnern. Er betont die kulturelle Achse Lembergs zwischen Ost und West und ist stolz auf die Altstadt, die zum Weltkulturerbe der Unesco gehört.

Die „Sonderaktion Krakau“ als Vorspiel

Am 6. November 1939 waren auf Veranlassung von SS-Obersturmbannführer Bruno Müller alle Professoren, Dozenten und Assistenten unter einem Vorwand in die Aula der traditionsreichen Krakauer Jagiellonen-Universität eingeladen worden. Müller hatte das Gebäude umstellen lassen, die Professoren saßen in der Falle. Alle 183 Anwesenden mit Ausnahme von drei Frauen wurden verhaftet und zunächst in ein nahes Zuchthaus gebracht. Ende November 1939 wurden dann 168 polnische Hochschullehrer in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin weiterverlegt.

Die „Sonderaktion Krakau“ war für die deutschen Besatzer der Auftakt einer Vernichtung der intellektuellen Führungsschicht in Polen. In Krakau aber regte sich Widerstand gegen dieses brutale Vorgehen der Nazis. Familienangehörige schalteten das Internationale Rote Kreuz ein und protestierten auf mehreren politischen Ebenen. Sie erreichten, dass neben dem berühmten Berliner Chirurgen Ferdinand Sauerbruch sogar der italienische Diktator Benito Mussolini bei den Nazis intervenierte. Auch der Vatikan schaltete sich ein. So kamen 102 Professoren am 8. Februar 1940 wieder frei, die übrigen Wissenschaftler wurden im Lauf des Jahres 1941 entlassen. Zwölf Inhaftierte waren im Konzentrationslager oder an den Folgen der Haft in Krakau gestorben, drei jüdische Professoren wurden in einem anderen Konzentrationslager ermordet.

In den Morgenstunden des 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht mit drei Millionen Soldaten ohne Kriegserklärung die ahnungslose Sowjetunion. Bereits am 30. Juni rückten Einheiten der 1. Gebirgsdivision in Lemberg ein. Die Stadt fiel den deutschen Besatzern kampflos in die Hände, die Sowjets hatten Lemberg fluchtartig verlassen. Die Deutschen wurden von den Ukrainern zum Teil als Befreier begrüßt.

Der blutige Auftakt

Durch das schnelle Vorrücken der deutschen Wehrmacht gelang es dem sowjetischen Geheimdienst NKWD nicht mehr, die etwa 4000 ukrainischen Häftlinge aus den drei Gefängnissen Lembergs zu evakuieren. Sie wurden alle erschossen. Diesen Mord schoben die neuen Besatzer den Juden in die Schuhe. Die Juden wurden gewaltsam aus ihren Wohnungen geholt und in die Gefängnisse der Stadt getrieben, wo sie die Leichen identifizieren mussten. Dabei kam es zu brutalen Übergriffen. Viele Juden wurden erschlagen und erstochen.

Diese Pogromstimmung gegen die Juden wurde von den Besatzern als bewusstes Mittel eingesetzt, um die latent vorhandene antisemitische Stimmung in der Bevölkerung für die eigenen Ziele zu nutzen. Während der Nazi-Herrschaft wurden fast alle 136 000 Juden Lembergs umgebracht, am Ende des Krieges hatten nur 200 bis 800 Juden überlebt.

Nachdem die deutsche Wehrmacht Lemberg am 30. Juni 1941 kampflos erobert hatte und die Pogrome gegen die Juden abgeklungen waren, traf am 2. Juli 1941 nachmittags ein Sonderkommando aus Krakau unter der Leitung von Eberhard Schöngarth in Lemberg ein. Seine Aufgabe bestand darin, „neubesetzte Gebiete sicherheitspolizeilich zu bearbeiten und zu säubern“. Am 3. Juli 1941 begann das „Einsatzkommando z. b. V.“ (zur besonderen Verwendung) mit den Mordaktionen. Den Auftakt bildete der Mord an den Lemberger Professoren, wobei man die „Krakauer Sonderaktion“ von 1939 als warnendes Beispiel verstand. Hans Franck, der Gouverneur des Generalgouvernements, sagte bereits am 30. Mai 1940 vor Vertretern der SS und Polizei: „Was wir mit den Krakauern Professoren an Scherereien hatten, war furchtbar. Hätten wir die Sache von hier aus gemacht, wäre sie anders gelaufen.“

Das Massaker an den Professoren

Im Vorfeld der Sonderaktion ließ Schöngarth Fahndungslisten der Lemberger Hochschullehrer erstellen. Dabei sollen ukrainische Studenten Hilfestellung geleistet haben. Bei den Akademikern handelte es sich fast ausschließlich um polnische Wissenschaftler, insbesondere Mediziner; Lemberg galt als Zentrum der polnischen Wissenschaft in Ostgalizien.

Noch bevor die eigentliche Aktion begann, wurde am 2. Juli durch die Gestapo der ehemalige polnische Premierminister Kazimir Bartel, Professor an der Polytechnischen Hochschule und Direktor am Lehrstuhl für Geometrie, verhaftet. Um 22 Uhr am 3. Juli 1941 schwärmten dann Einheiten des „Einsatzkommandos z. b. V.“ aus, um die aufgelisteten Personen zu verhaften. Alle zufällig in der Wohnung befindlichen Personen über 18 Jahre, auch Frauen, Kinder und Hausangestellte, wurden mitverhaftet und auf Lastwagen in eine Schule der ukrainischen Miliz (Abrahamowicz-Anstalt) gebracht.

Der nächtliche Überfall galt – zufällig oder bewusst – in erster Linie den Mitgliedern der Medizinischen Fakultät. Auch Professoren des Polytechnikums, der Veterinärakademie und der Akademie für Außenhandel wurden verschleppt. Als einziger wurde Dr. Franciszek Groer, Professor für Kinderheilkunde, später wieder freigelassen. Der Grund lag wahrscheinlich darin, dass er mit einer Engländerin verheiratet war. Für die Nachwelt war er dadurch zu einem wichtigen Zeitzeugen geworden. Alle in der Abrahamowicz-Anstalt verhafteten Personen wurden in den frühen Morgenstunden des 4. Juli 1941 am Vuletski-Hügel exekutiert. In der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1941 wurde schließlich auf Befehl Heinrich Himmlers auch Professor Kazimierz Bartel erschossen.

Die Verantwortung für den Lemberger Professorenmord wird vom polnischen Institut für Nationales Gedenken dem Brigadeführer der SS Eberhard Schöngarth, der auch schon die Verhaftung der Professoren an der Jagiellonen-Universität in Krakau veranlasste, sowie dem Hauptsturmführer Hans Krüger, der die Geheimpolizei vor Ort leitete, zugeschrieben. Schöngarth wurde von einem britischen Militärgericht wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt und am 16. Mai 1946 hingerichtet. Krüger war zu Kriegsende in holländische Gefangenschaft geraten, wurde jedoch im November 1948 ohne Auflagen wieder entlassen. 1959 holte ihn die Vergangenheit ein, es begannen neue Ermittlungen. Am 6. Mai 1968 wurde Krüger in Münster zu lebenslanger Haft verurteilt, 1986 entlassen. Er starb 1988 in Wasserburg am Inn.

Professor Dr. Johannes Dietl

Der Direktor der Universitäts-Frauenklinik Würzburg unterhält zahlreiche Kontakte in die Städte Lviv (Lemberg) und Rivne in der Ukraine. Neben der gemeinsamen Behandlung von Patientinnen und der Hilfe bei der Beschaffung von medizinischen Geräten für die Krankenhäuser der Region interessiert sich der 63-Jährige auch für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs in der Ukraine und in Polen. Da bei dem Professorenmord von Lemberg überwiegend Kollegen umgebracht wurden, hat Dietl sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. FOTO: Schwarzott

 
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