In diesem Jahr feiert der schwäbisch-thüringische Technologiekonzern Carl Zeiss ein großes Jubiläum: Vor 125 Jahren übertrug der damalige Eigentümer Ernst Abbe das Unternehmen vollständig auf eine Stiftung. Die Feierstunde vor kurzem in Jena war indes mehr als ein reines Firmenjubiläum. Die politische Bedeutung dieses Jahrestages spiegelte sich unter anderem darin wider, dass Bundeskanzlerin Merkel die Festrede hielt.
Zugleich aber fällt der Stiftungsgeburtstag in eine Zeit, in der viele Deutsche der Wirtschaft misstrauen und damit ein zunehmendes Unbehagen in der Kultur des Kapitalismus verspüren. So hat eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung gezeigt, dass sich über 80 Prozent der Bundesbürger eine neue Wirtschaftsordnung wünschen, die stärker für sozialen Ausgleich sorgt. Allerdings heißt die Devise dabei: Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Denn die Deutschen setzen ihre Forderungen, die sie in Umfragen artikulieren, nicht auch an der Wahlurne um. Andernfalls hätte in Jena nicht Angela Merkel, sondern ein Kanzler geredet, der deutlich stärker für soziale Gerechtigkeit eintritt als die CDU-Politikerin. Für die meisten steht also ökonomische Sicherheit an erster Stelle, vor allem die eigene.
Daraus lässt sich schließen, dass die große Mehrheit letztlich doch eher auf Reform als auf Revolution setzt. Dass eine Neuordnung sich nicht nur durch ihre Menschenfreundlichkeit, sondern auch durch wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auszeichnen muss. Reformimpulse dazu sollten vorrangig aus der Politik kommen. Aber warum sollten sie nicht auch Unternehmen entwickeln? Womit wir wieder bei Zeiss wären. Nur kurz nachdem die Carl-Zeiss-Stiftung 1889 gegründet wurde, verabschiedete sie eine Sozialcharta für die Mitarbeiter ihres Unternehmens: Mindestlohn, Mindesturlaub, Acht-Stunden-Tag und Gewinnbeteiligung – allesamt Errungenschaften, die auf gesetzlicher Ebene erst sehr viel später oder gar bis heute nicht zum Standard geworden sind. Zeiss spielte hier den sozialpolitischen Vorreiter.
Im Laufe der Jahrzehnte haben viele andere Unternehmen Carl Zeiss nachgeeifert. Heute gibt es in Deutschland rund 500 sogenannte stiftungsgetragene Firmen. Zugegeben, nicht alle haben Vorbildcharakter. Denn die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Anreize für Stiftungsgründungen geschaffen, die vor allem Großunternehmen gern zum Steuern sparen ausnutzen. Aber es gibt auch positive Ausnahmen. Für diese Leuchttürme ist der Dienst an der Gesellschaft wichtiger als der individuelle Profit.
Dieser Philosophie folgt zum Beispiel die Wala GmbH von der Schwäbischen Alb, die Naturarzneien und Biokosmetika mit dem Markennamen „Dr. Hauschka“ herstellt. Hier haben die früheren Eigentümer die Firma schon vor Jahren einer Stiftung überschrieben. Damit haben sie das Unternehmenskapital „neutralisiert“: Es gibt keine Anteilseigner mehr in Gestalt von Einzelpersonen, etwa Erben, die ihre oft eigennützigen Interessen durchsetzen wollen, zum Beispiel eine höhere Rendite durch Personalabbau. Der Großteil des Gewinns fließt zurück ins Unternehmen – für Investitionen und um die Eigenkapitalbasis zu stärken. Denn je dicker das Finanzpolster ist, desto unabhängiger ist die Firma von den Banken und desto krisensicherer sind die Arbeitsplätze. So hat es die Wala geschafft, durch die Finanzkrise 2007/8 zu kommen, ohne eine einzige Stelle abbauen zu müssen.
Darüber hinaus versucht der schwäbische Mittelständler, gegenüber seinen Kunden und Partnern mit einem hohen Maß an sozialer Verantwortung zu agieren. So garantiert das Unternehmen den Bergbauern in Afghanistan, ihnen bestimmte Mengen von Rosenöl aus Bio-Rosen abzunehmen, um sie vom Anbau von Mohn, dem Grundstoff von Heroin, abzuhalten.
Ein weiteres Pionierunternehmen versteckt sich in einer Branche, in der man soziales Handeln kaum vermuten würde: Im Autohandel. Die Hoppmann Autowelt aus Siegen gehört zu den größeren Autohausketten in Deutschland und fährt einen straffen Expansionskurs. Doch hinter den Kulissen sieht die Autowelt ganz anders aus, als man vermuten würde. Auch Hoppmann ist schon seit längerem ein Stiftungsunternehmen. Ein wesentlicher Teil der Gewinne wird – wie auch bei der Wala – an die Mitarbeiter ausgeschüttet, wobei alle dieselbe Summe erhalten. Manager-Boni sind hier streng tabu, die Gehaltsunterschiede fallen generell eher moderat aus. Was Hoppmann aber vor allem zu einem Vorreiter macht: Im Unternehmen herrscht volle Mitbestimmung. Die rund 300 Beschäftigten werden nicht nur monatlich über die aktuelle Geschäftslage informiert, sie sind auch an allen wirtschaftlichen Entscheidungen paritätisch beteiligt – weit über das gesetzliche Maß hinaus.
Wala, Hoppmann und noch einige andere Stiftungsunternehmen dieser Art liefern die Blaupause für eine neue – reformierte – Wirtschaftsordnung: Mehr Lohngerechtigkeit, höhere Arbeitsmotivation durch mehr Mitbestimmung und sichere Arbeitsplätze, Fairness trotz Wettbewerb. Kurzum: ein Wirtschaften jenseits der Profitgier. Ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz. Jedes Jahr suchen die Eigentümer von 27 000 Unternehmen eine geeignete Nachfolgeregelung. Wenn sich nur jeder Zehnte von ihnen für die Stiftungslösung entscheiden würde, wäre der guten Sache schon sehr gedient.
Lutz Frühbrodt ist promovierter Volkswirt und arbeitete viele Jahre als Wirtschaftsjournalist. Seit 2008 leitet er den Studiengang „Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation“ an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Lutz Frühbrodt hat zum Thema vor kurzem das Buch „Das soziale Stiftungsunternehmen. Eine wirtschaftspolitische Alternative“ (Königshausen & Neumann, 14 Euro) veröffentlicht. Foto: Dietmar Modes