Ist das deutsche Urheberrecht ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten? Zeiten, in denen Bücher noch auf Schreibmaschinen getippt und Musik auf große schwarze Scheiben gepresst wurde. Ist der gesetzliche Schutz des geistigen Eigentums gar verzichtbar in der Welt des Internets, in der ohnehin jedes Buch, jeder Film und jedes Musikstück vielleicht nicht immer legal, dafür aber jederzeit und kostenlos verfügbar ist?
Internet-Aktivisten verlangen schon länger vehement die Abschaffung – auch weil sie befürchten, über das Urheberrecht könne die Freiheit des Internets durch staatliche Überwachung ausgehöhlt werden. Die Piratenpartei fordert zumindest eine deutliche Entschärfung der geltenden Regeln – etwa durch die Legalisierung von Musik-Tauschbörsen im Internet oder eine Verkürzung der gesetzlichen Schutzfristen für eine freie Verwertung künstlerischer Werke.
Forderungen, gegen die nun Künstler massiv Front machen, die ohne Urheberrecht ihre wirtschaftliche Grundlage bedroht sehen. Zuletzt haben sich etwa der Schauspieler Mario Adorf, der Musiker Sven Regener oder Schriftsteller wie Julia Franck für einen Schutz des Urheberrechts und gegen eine „Umsonstkultur“ im Internet stark gemacht (siehe Kasten).
Die Politik reagiert auf die Debatte bislang erstaunlich hilflos: „Ein einfacher Befreiungsschlag scheint auf absehbare Zeit nicht in Sicht“, glaubt deshalb auch Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) – und verlangt zumindest pragmatische Teillösungen, die der Freiheit des Internets genauso gerecht werden, wie den berechtigten Interessen der Künstler.
Wie solche Lösungen allerdings aussehen könnten, war auch auf einer Podiumsdiskussion heftig umstritten, zu der die Ministerin Experten und Betroffene nach München geladen hatte. Könnte zum Beispiel eine „Kultur-Flatrate“ eine Lösung sein – eine Zwangsabgabe aller Internet-Nutzer zugunsten von Musikern, Schriftstellern oder Filmemachern? „Wer das freie Internet fordert, kann nicht für eine Kultur-Flatrate sein“, befand dort Thorsten Schliesche von der Musikplattform Napster. Denn für eine gerechte Verteilung der eingesammelten Mittel bräuchte man eine Vollüberwachung des Internets. „Ich wünsche mir von der Politik stattdessen ein Umfeld, das illegale Anbieter nicht besser stellt, als legale Anbieter“, fordert Schliesche mit Blick auf jüngst verschärfte Verbraucherschutzregeln im Internet.
Der Medienrechtsexperte Martin Lausen glaubt allerdings nicht, das sich legale Angebote auf Dauer im Markt von alleine durchsetzen. Notwendig sei vielmehr ein harter Kampf gegen professionelle Urheberrechtsverstöße im Internet – etwa durch eine Verschärfung der Haftung von Internet-Providern für über ihre Kanäle vertriebene Angebote oder eine Aufhebung der Anonymität für Warenanbieter im Internet: „Wir hätten mehr legale Angebote, wenn es nicht so viele illegale gäbe“, glaubt Lausen.
Das sieht der Computer-Aktivist Martin Haase komplett anders: Im Internet sei ohne Vollüberwachung nicht zu unterscheiden, was kommerzieller Handel ist und was privater Datenaustausch, warnt Haase – und plädiert für eine „Öffnungsklausel“ im Urheberrecht: „Wir brauchen die Rechtsunsicherheit“, glaubt das Vorstandsmitglied beim Chaos Computer Club. Nur so könnten sich auch in Deutschland neue Geschäftsmodelle für den Vertrieb von Kulturgütern durchsetzen. Diese Geschäftsmodelle müssten den Künstlern allerdings auch ein gesichertes Einkommen verschaffen, verlangt der Justitiar des Rechteverwerters GEMA. Dies sei bisher jedoch meist nicht so. Seine Institution werde sich aber immer gegen eine Vergütung wehren, „die so erbärmlich niedrig ist, das niemand davon leben kann.“
Letztlich müssten das Urheberrecht und das freie Internet gar kein Widerspruch sein, glaubt zumindest der Film- und Fernsehproduzent Oliver Berben. Denn gerade die Künstler hätten ja ein großes Interesse an einer möglichst weiten Verbreitung ihrer Werke: „Es soll deshalb natürlich alles im Internet frei verfügbar sein. Nur eben nicht kostenfrei.“
Künstler starten Aufruf gegen Diebstahl geistigen Eigentums
Nächste Runde im Streit ums Urheberrecht: Mehr als 100 prominente Autoren und Künstler sind am Donnerstag in Berlin mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit gegangen, in dem sie eine Stärkung des Urheberrechts fordern. Die 100 Erstunterzeichner wenden sich indirekt gegen Initiativen aus mehreren Parteien, das Urheberrecht an die veränderten Bedingungen im Netz anzupassen. Insbesondere der Aufstieg der Piratenpartei hat das lange Zeit kaum beachtete Thema ins Zentrum öffentlicher Beachtung gerückt.
Die Erklärung bezeichnet das Urheberrecht als „historische Errungenschaft bürgerlicher Freiheit“ und als „materielle Basis für individuelles geistiges Schaffen“. Sie richtet sich gegen das Argument, dass es einen Interessengegensatz zwischen den eigentlichen Urhebern kreativer Werke und den sogenannten Verwertern gibt, also etwa Verlage, Plattenfirmen und Verwertungsgesellschaften wie die Gema. Einige Netzaktivisten haben erklärt, dass sich die Urheber im Internet direkt an ihr Publikum wenden und an den Verwertern vorbei Geld verdienen könnten.
Zu den Erstunterzeichnern gehören die Schriftsteller Daniel Kehlmann, Charlotte Roche, Julia Franck, Uwe Tellkamp, Martin Walser und Günter Wallraff sowie Künstler wie der Schauspieler Mario Adorf. Auch der Musiker und Schriftsteller Sven Regener unterschrieb – er hatte die Debatte im März mit einer heftigen Polemik in Fahrt gebracht. Danach wandten sich 51 Drehbuch-Autoren der Krimi-Reihe „Tatort“ an die „liebe Netzgemeinde“ und warfen dieser vor, die „Umsonstkultur“ im Internet in den Rang eines Grundrechts erheben zu wollen. TEXT: dpa