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EU-Abgeordnete Westphal: Europa beginnt in der Region
Svenja Kloos
 und  Daniela Arndt
 |  aktualisiert: 06.08.2017 03:06 Uhr

Für die EU-Abgeordnete Kerstin Westphal ist Regionalpolitik der Schlüssel zu einem besseren Europa. Nun werden in Brüssel Stimmen laut, die dafür vorhandenen Fördermittel ab 2020 zu kürzen oder ganz zu streichen. Deutschland bekommt derzeit knapp 20 Milliarden Euro aus Regional- (EFRE) und Sozialfonds (ESF). Eine Kürzung der Mittel würde vor allem Kommunen und Regionen treffen. Auch in Bayern.

Frage: Frau Westphal, in den vergangenen Monaten gab es starke Tendenzen gegen die Europäische Union. Nach dem Brexit in Großbritannien wurde dort jedoch der EU-Sympathisant Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten gewählt. Ein Zeichen für einen Stimmungswechsel?

Kerstin Westphal: Nach dem Brexit haben viele befürchtet, dass es eine Spaltung geben werde. Das ist aber zum Glück nicht passiert, die Wahl in Frankreich war die Trendwende. Doch schon zuvor kam es zur Debatte über die Zukunft der EU. Sicher fordern einige Mitgliedsstaaten eine abgeschwächte Form. Doch wir werden den Boden der EU, so wie wir ihn haben, nicht zerstören. Alle verbleibenden EU-Länder haben den Geist der Römischen Verträge am Jahrestag im März noch einmal in einer gemeinsamen Erklärung bestätigt.

Also rücken die Mitgliedstaaten doch wieder enger zusammen?

Westphal: Die Gesetzgebung in der Europäischen Union ist wie ein Dreieck – das Europäische Parlament und die Kommission funktionieren schon gut gemeinsam. Der dritte Schenkel, der uns am meisten Schwierigkeiten macht, sind die Regierungschefs der Mitgliedstaaten. Wenn sie sich stärker für den Zusammenhalt einsetzen würden, würde das zu großer Akzeptanz führen.

Wenn schon die Regierungschefs nicht zu 100 Prozent hinter der EU stehen, verwundert es nicht, dass die Bürger in der Europäischen Union vor allem ein abstraktes Konstrukt sehen, das wenig mit ihnen zu tun hat. Wie kann man die EU den Menschen, die sich davon distanziert haben, wieder näher bringen?

Westphal: Ich würde nicht unterschreiben, dass sich die Menschen von der EU distanzieren. Was sie momentan eher merken, ist, dass es die Union tatsächlich gibt. Die meisten Bürger wissen nur nicht, was die EU mit ihnen zu tun hat. Dabei fließen viele Fördergelder in Projekte – auch in Integrationskurse der Stadt Würzburg. Die Uni Würzburg hat im Jahr 2016 rund 7,3 Mio. Euro bekommen, allein 4,3 Mio. für medizinische Forschung. Das Problem dabei: kaum jemand spricht darüber. Ich würde mir wünschen, dass die Kollegen aus den anderen politischen Ebenen – Kommune, Bezirk, Land, Bund – nicht verschweigen, dass das Geld von der EU kommt.

Auf EU-Ebene wird darüber diskutiert, gerade diese angesprochenen Fördergelder zu kürzen. Sie setzen sich aber vehement dafür ein, die Förderungen beizubehalten. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Westphal: Bayern bekommt knapp 800 Millionen Euro aus den EU-Töpfen. Wir gehören sicher nicht zu den ärmsten Regionen in Europa, dennoch stehen auch wir vor Problemen. Denn in einigen bayerischen Regionen wird das Geld einfach gebraucht. Es gibt Regionen, die sind ausgeblutet. Da müssen Menschen wegziehen, weil es keine Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten gibt. Denken Sie an bestimmte Orte etwa in der Rhön. Durch gezieltere Förderung kam jetzt auch Geld nach Unterfranken. Und dafür brauchen wir das System, wie wir es jetzt haben.

Was würde passieren, wenn die Förderungen tatsächlich eingestellt werden würden?

Westphal: Dann würde es den Menschen in Europa viel, viel schlechter gehen. Auch bei uns. Dann gibt es kein Geld mehr für Mehrgenerationenhäuser, kein Geld mehr für die Sanierung von Seniorenheimen. Dann werden keine universitären Projekte in dem bisherigen Rahmen mehr möglich sein.

Und der Staat könnte das finanziell nicht auffangen?

Westphal: Nein, das wird nicht reichen.

Also würde es der EU und ihren Bürgern merkbar schaden, wenn die Förderungen wegfallen würden?

Westphal: Die nationale Scheuklappe ist das, was Europa und die Welt in zwei Weltkriege mit Verwüstung und Millionen Toten geführt hat, Nationalismus ist für jeden Einzelnen von uns tödlich. Deswegen müssen wir gegen diese Tendenzen, wieder zum Nationalstaat zurückzukehren, ankämpfen. Die Einstellung der Förderungen ist genau das, was die Rechtskonservativen, die Faschisten und die Nationalisten im Parlament wollen. Das sind die, die Europa zerstören wollen, und wenn die Förderungen eingestellt würden, hätten die recht. Dann fällt Europa auseinander.

Sie erwähnten gerade die rechten Populisten. Sehen Sie weiterhin eine Bedrohung der EU durch rechte populistische Parteien?

Westphal: Ja, die sehe ich und sie wird auch nicht abnehmen. Der Front National ist im Parlament vertreten, die nächsten Europawahlen sind 2019 und die Zusammensetzung des Europaparlaments wird essenziell sein für die Zukunft Europas. Wir haben in Frankreich durch Macron fünf Jahre gewonnen. Aber jetzt muss es eine Politik für die Menschen in allen Regionen geben, und damit sind wir wieder bei den Förderungen. Damit jeder sagen kann: Da habe ich den europäischen Mehrwert und ich erkenne ihn.

Was wünschen Sie sich abschließend für die Zukunft der Europäischen Union?

Westphal: Ich hätte gerne die Vereinigten Staaten von Europa. Ich hätte gerne, dass aus dem direkt gewählten Europäischen Parlament eine europäische Regierung hervorgeht. Ich möchte, dass Europa solidarisch auftritt. Ich will, dass die Rechten, die Faschisten und die Anti-Europäer aus dem Parlament rausfliegen. Deswegen will ich, dass die fünf-Prozent-Hürde wieder eingeführt wird. Ich gehe hier in Deutschland gegen die Rechten und die Faschisten auf die Straße, und ich kämpfe dagegen auch im Europaparlament.

Zur Person

Kerstin Westphal (54) ist seit 2009 Abgeordnete im Europäischen Parlament. Als Mitglied im Ausschuss für Regionalpolitik ist die SPD-Politikerin für die EU-Fördergelder mitverantwortlich. Sie fordert eine bessere Verzahnung aller politischen Ebenen – von der Kommune bis zum Europäischen Parlament – damit alle Regionen, Vereine und Städte leichter von der Förderung profitieren können. Westphal wurde in Hamburg geboren, ist gelernte Erzieherin und lebt heute mit ihrer Familie in Schweinfurt. FOTO: Obermeier
 
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