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„Es ist nett, Recht zu haben“
Von den dpa-Korrespondenten Helen Livingstone und Michael Donhauser
 |  aktualisiert: 08.10.2013 20:03 Uhr

Ein Spaziergang in den schottischen Bergen bringt die Eingebung: Peter Higgs kommt dem sogenannten Gottesteilchen auf die Spur. Damals ist er ein junger Mann. Als 84-Jähriger bekommt der scheue Forscher nun den Nobelpreis.

Lange Zeit war der Name Peter Higgs nicht sehr weit über die Physiker-Szene hinaus bekannt. Doch bereits 1964 hatte er die Existenz eines entscheidenden Bausteins der Materie vorhergesagt – eine Antwort auf Goethes Frage im „Faust“, was die Welt im Innersten zusammenhält. Fast zeitgleich hatten das auch andere Physiker postuliert. Etwa 50 Jahre mussten sie warten, bis der Beweis für die These angetreten werden konnte. In diesem Jahr endlich bekommt Higgs den Physik-Nobelpreis gemeinsam mit dem 80 Jahre alten Belgier François Englert für die Vorhersage des Higgs-Teilchens.

Der stille Forscher aus Schottland hatte den Trubel um die Preisvergabe geahnt. Er suchte offenbar das Weite. Selbst das Nobelpreiskomitee konnte ihn zunächst nicht erreichen, um ihm die frohe Botschaft telefonisch zu überbringen. Nur kurze Zeit nach der zweimal verschobenen Bekanntgabe war am Dienstag das Band seines Anrufbeantworters in seiner Wohnung in Edinburgh vollgelaufen.

„Peter hat den Ruf, sehr scheu zu sein“, sagte sein Kollege Franz Muheim, Leiter des Instituts für Teilchen- und Nuklearphysik an der Universität Edinburgh, der Nachrichtenagentur dpa. „Er hat beschlossen, sich zurückzuziehen.“

„Still genießend“ soll Higgs auch die Nachricht zu Kenntnis genommen haben, die Ende 2011 aus dem Europäischen Kernforschungszentrum Cern zu ihm drang. Seine Kollegen in Genf hatten ein Teilchen nachgewiesen, bei dem es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um das Higgs-Teilchen handelte. Als etwa ein halbes Jahr später tatsächlich die Existenz eines Teilchens mit den entsprechenden Eigenschaften bei einem spannungsgeladenen, öffentlichen Seminar verkündet wurde, wischte sich Higgs ein paar Tränen aus den Augen. Auf dem Flug nach Hause, vertraute er in einem Interview der Öffentlichkeit an, habe er sich eine Dose „London Pride“ gegönnt – ein englisches Ale-Bier.

Das Higgs-Teilchens gilt als eine der größten Entdeckungen in den vergangenen 50 Jahren. Es war das fehlende Puzzlestück im Standardmodell vom Aufbau der Materie.

Higgs war als junger Forscher an der Universität in Edinburgh tätig, als ihm seine revolutionäre „Eingebung“ kam. Während einer Wanderung in den Bergen des schottischen Hochlands sei er dem Teilchen auf die Spur gekommen. Nicht sofort wurde ihm Glauben geschenkt. Sein erster Aufsatz zum Thema wurde in den vom Cern herausgegebenen „Physics Letters“ nicht einmal abgedruckt. Später gab das Cern Milliardenbeträge aus, um die Higgs-Theorie zu verifizieren. Der überarbeitete Aufsatz wurde schließlich 1964 im Konkurrenzblatt „Physical Review Letters“ veröffentlicht. Aber die Fachwelt zweifelte weiter.

Der Begriff „Gottesteilchen“ war Higgs stets zuwider. Den Namen hat 1993 ein Verleger geprägt. Der Physik-Nobelpreisträger Leon Lederman wollte ein Buch unter dem Titel „Das gottverdammte Teilchen“ veröffentlichen – sein Verleger setzte aber den Titel „Gottesteilchen“ durch. „Mein Modell hat nichts mit Gott zu tun“, pflegt Higgs zu sagen. „Erstens bin ich Atheist“, sagte er der BBC. „Zweitens ist mir bewusst, dass der Name als Witz gemeint war – und zwar kein besonders guter, wie ich finde.“

Higgs wurde am 29. Mai 1929 in Newcastle upon Tyne als Sohn eines Toningenieurs geboren. Er engagierte sich auch politisch. Higgs unterstützte die Anti-Atomwaffen-Bewegung, stoppte sein Engagement aber, als diese sich auch gegen die zivile Nutzung der Atomkraft richtete. Greenpeace unterstützte er so lange, bis sich die Organisation gegen den Einsatz der Gentechnik positionierte. 2004 blieb er der Preisverleihung für den Wolf-Preis in Jerusalem fern – eine der prestigeträchtigsten Auszeichnungen in der Physik. Er werde nicht nach Israel reisen, aus Protest gegen die Palästinenser-Politik, begründete er sein Fernbleiben.

Bezüglich seiner Entdeckung blieb der Familienmensch und zweifache Vater Higgs stets bescheiden. „Ich dachte nicht, dass es zeit meines Lebens noch passiert“, sagte er jüngst dem Fachblatt „New Scientist“. Die Lage habe sich geändert, als die großen Teilchenbeschleuniger gebaut wurden. „Manchmal ist es nett, recht zu haben“, fügte er hinzu. „Ich hoffe, dass diese Anerkennung für die Grundlagenforschung das Bewusstsein für den Wert des Forschens ins Blaue hinein schärft.“

Seinen Kollegen Englert scheint es nicht besonders zu stören, dass Higgs in der Öffentlichkeit meistens im Mittelpunkt stand. Am Dienstag lobte er die Arbeit seines britischen Kollegen. Vor fast 50 Jahren hatte der Belgier gemeinsam mit seinem inzwischen verstorbenen Kollegen Robert Brout einen Aufsatz zur Erklärung der Masse kleinster Teilchen eingereicht, zwei Monate vor Peter Higgs. Trotzdem setzte sich der Name des Briten in der Öffentlichkeit fest: Higgs-Mechanismus, Higgs-Teilchen oder Higgs-Boson – Englert blieb fast ausschließlich in der Forschergemeinde bekannt.

Vortrag an der Uni Würzburg

Als hätten sie es geahnt, haben die Physiker der Universität Würzburg den nächsten Vortrag in der Reihe „Physik am Samstag“ just den „Gottesteilchen“ oder Higgs-Bosons gewidmet. Professor Dr. Thorsten Ohl spricht am Samstag, 12. Oktober, ab 10.30 Uhr über das Thema „Am Ziel? – Die Elementarteilchenphysik nach der Entdeckung eines Higgsbosons“. Das teilte die Universität Würzburg mit.

Die Veranstaltungsreihe „Physik am Samstag“ richtet sich an Schüler, Lehrer und die interessierte Öffentlichkeit. Im Anschluss an jede Vorlesung besteht die Möglichkeit mit den vortragenden Professoren ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen und zu diskutieren.

Der Vortrag findet statt im Max-Scheer-Hörsaal (Hörsaal 1) des Hörsaalbaus der Naturwissenschaften der Universität Würzburg, Am Hubland.

 
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