Die Chefin ist erst einmal weg, weit weg. Nach den heftigen Turbulenzen in ihrer Regierung, die sie selber durch den überraschenden Rauswurf ihres Umweltministers und Stellvertreters Norbert Röttgen am späten Mittwochnachmittag ausgelöst hat, kehrt Bundeskanzlerin Angela Merkel der Innenpolitik erst einmal für vier Tage den Rücken, um sich fern der Heimat mit den Großen und Mächtigen der Welt zu treffen. Erst der G8-Gipfel am Wochenende in Camp David, dann der NATO-Gipfel in Chicago.
Ein paar Tage lang werden sich für die Regierungschefin die Perspektiven verschieben: Im Vergleich zu den Themen der beiden Gipfel, unter anderem die Bekämpfung von Hunger und Armut in der „Dritten Welt“, die internationale Finanzkrise oder die Zukunft Afghanistans, wirken die innenpolitischen Probleme und die Konflikte in der schwarz-gelben Koalition geradezu klein und marginal.
Und doch kann Angela Merkel ihnen auf Dauer nicht entfliehen. Irgendwann in der kommenden Woche, entweder unmittelbar nach den beiden Gipfeln in den USA oder erst nach dem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am Mittwoch in Brüssel wird es im Berliner Kanzleramt auch zu einem Koalitionsgipfel kommen.
Auf höchster Ebene wollen die drei Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Philipp Rösler (FDP) alle offenen Fragen ansprechen und den Streit beenden. Einen offiziellen Termin für das Treffen gab es am Freitag noch nicht, die FDP-Führung drängte darauf, dass der Krisengipfel „möglichst bald“ stattfindet, auch in der Union hieß es, ein solches Treffen könnte „spontan“ angesetzt werden. Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter sagte, es sei „noch gar nichts verabredet“, allerdings sei ein Gespräch der drei Parteichefs „immer kurzfristig möglich“.
In der Dreierrunde soll es nicht nur um die Umstände gehen, die zur Entlassung von Umweltminister Röttgen führten, sondern um alle strittigen Themen, von der Umsetzung der Energiewende über das Betreuungsgeld, die Vorratsdatenspeicherung, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und den Mindestlohn bis hin zum dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt.
Auch mit den Oppositionsparteien will die Kanzlerin über eine parteienübergreifende Zustimmung zum Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin verhandeln. Da dafür das Grundgesetz geändert werden muss, ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig.
Der Rauswurf Röttgens sorgt in der Union weiter für Unruhe, vor allem in Röttgens Heimat Nordrhein-Westfalen ist der Ärger über die Art und Weise, wie Merkel ihren einstigen Vertrauten vor die Tür gesetzt hat, groß. Es sei unfair, Röttgen als den Alleinschuldigen für das Debakel bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hinzustellen. So fordert der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach eine umfassende Debatte über die Gründe der Niederlage, es müsse „nüchtern und gründlich“ über alle Ursachen für den Absturz auf nur noch 26 Prozent der Stimmen gesprochen werden.
Hingegen mehren sich auch die Stimmen derer, die Verständnis für das Vorgehen der Kanzlerin haben. Der Chef der mächtigen baden-württembergischen CDU, der Heilbronner Thomas Strobl, verteidigt gegenüber unserer Zeitung die Entlassung des Umweltministers. Nach der schweren Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen wäre es für Röttgen schwierig geworden, die Energiewende zu gestalten. „Er hätte die Gelegenheit gehabt, von sich aus zurückzutreten, insofern ist dies ein richtiger, fast schon notwendiger Schritt gewesen“, so Strobl. „Man kann nicht Minister sein ohne das Vertrauen der Kanzlerin.“
Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) sagte im Deutschlandradio Kultur: „Jeder muss wissen, dass die Kanzlerin ganz klar führt und dass sie auch zu scharfen Schritten bereit ist, wenn sie der Meinung ist, es funktioniert nicht.“ Merkel habe das Recht, Minister zu entlassen, wenn sie nicht mehr von einer gedeihlichen Zusammenarbeit ausgehen könne. „Das hat sie getan, und das ist auch in Ordnung.“
Auch der Koalitionspartner CSU stärkt Merkel demonstrativ den Rücken. Nach den Worten von Generalsekretär Alexander Dobrindt trage die CSU die Entscheidung „zu 100 Prozent“ mit.
Der designierte Umweltminister Peter Altmaier (CDU) soll am Dienstag von Bundespräsident Joachim Gauck ernannt werden, wie das Präsidialamt am Freitag mitteilt. Röttgen bekommt dann im Schloss Bellevue die Entlassungsurkunde. Am Freitag war der 46-Jährige nicht in seinem Ministerium. Auf Nachfrage sagt eine Sprecherin: „Er ist zu Hause.“ Mit Material von dpa