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WÜRZBURG
„Eine machbare Utopie“
Von unserem Redaktionsmitglied Sara Sophie Schmitt
 |  aktualisiert: 07.01.2016 14:53 Uhr

Müssen wir uns angesichts des Klimawandels, der Wasserkrise und der Ressourcenverknappung vom Wirtschaftswachstum verabschieden? Diese Frage stellt Grünen-Mitglied und Chef der Heinrich-Böll-Stiftung Ralf Fücks in seinem Buch „Intelligent wachsen - Die grüne Revolution“. Er weist darin einen dritten Weg den Aufbruch in die ökologische Moderne zu bestreiten. Im Interview erklärt er, wie dieser aussehen könnte und was Fußgängerwege ausrichten können.

Frage: Was ist die grüne industrielle Revolution?

Ralf Fücks: Im Kern geht es um den Übergang von Öl, Kohle und Gas zu erneuerbaren Energien, um abfallfreie Wertstoffkreisläufe und ein hohes Maß an Ressourceneffizienz. Ziel ist eine Produktionsweise, die die Natur nicht ruiniert, sondern ihre Kreativität auf intelligente Weise nutzt. Die Verbindung von Biologie und Technik nennt man Bionik. Sie muss als neue Leitwissenschaft dienen.

Sie sagten einmal: Nicht ob, sondern wie die Weltwirtschaft wächst, ist die Frage aller Fragen. Haben sie die Antwort?

Fücks: Meine Antwort heißt „Wachsen mit der Natur“. Die große Herausforderung liegt darin, dass wir ein epochales Wachstum der Weltwirtschaft sehen und gleichzeitig unsere natürlichen Lebensgrundlagen aushebeln. Diese Schere müssen wir schließen. Das geht nur, wenn wir die Art der Produktion verändern: von fossilen zu erneuerbaren Energiequellen, von Ressourcenverschwendung zu einem Höchstmaß an Materialeffizienz. Wir müssen künftig aus weniger Material mehr Wohlstand erzeugen. Ziel muss eine Kreislaufwirtschaft sein, in der jeder Reststoff zum Ausgangspunkt einer neuen Wertschöpfung wird. Das ist ambitioniert, aber eine machbare Utopie.

Widerspricht das nicht der Wirtschaft, die Produkte oft so herstellen, dass sie schnell kaputt gehen?

Fücks: Diese Praxis gibt es. Aber wenn die Rohstoffpreise steigen, wird Recycling ökonomisch attraktiv. Kupfer, Aluminium und andere Metalle sind heute begehrte Altstoffe. Auch die Politik muss Weichen in diese Richtung stellen. Dazu gehört eine Rücknahmeverpflichtung für Hersteller. Dann hätten sie ein Interesse, ihre Produkte langlebig und wiederverwertbar zu gestalten.

Ein weiterer Punkt, den Sie angesprochen haben, sind die erneuerbaren Energien. Doch selbst dafürmüssen wir ländliche Flächen nutzen.

Fücks: Ganz schmerzfrei geht auch die Energiewende nicht. Es gibt schon ein Spannungsfeld zwischen Landschaftsschutz und regenerativen Energien. Das betrifft vor allem die Bioenergie, also die Produktion von Gas, Diesel oder Strom aus pflanzlichen Stoffen. Das steht bisher in Konkurrenz mit der Lebensmittelproduktion. Vielfach sind auch Mais-Monokulturen entstanden, die aufwändig gedüngt und mit Pestiziden behandelt werden. Bioreaktoren mit Mais oder Getreide zu füttern, ist eine Sackgasse. Landwirtschaftliche Flächen sollten primär für Nahrungsmittelproduktion genutzt werden.

Wie könnte eine Alternative aussehen?

Fücks: Der nächste Schritt ist, Biogas oder Kraftstoffe aus organischem Abfall oder aus Algen zu erzeugen. Und was den Flächenverbrauch betrifft: Je höher der Wirkungsgrad der Photovoltaik wird, je effektiver Windräder werden, desto weniger Flächen brauchen wir dafür. Künftig werden wir Solarmodule in Gebäudefassaden oder Fensterflächen integrieren. Es wird sogar mit Anstrichen experimentiert, die organische Solarzellen enthalten.

All diese Technologien können sich reiche Industrienationen leisten, Schwellenländer nicht.

Fücks: Noch ist es so, dass wir pro Kopf deutlich mehr Kohlenstoffdioxid (CO2) verursachen als die Schwellenländer. Allerdings wächst dort die Wirtschaft sehr viel stärker, daher holen sie auch bei den CO2-Emissionen rasch auf. Wenn die industrielle Revolution der Entwicklungsländer in den alten Bahnen stattfindet, fahren wir den Planeten gegen die Wand. Wir werden diese Länder aber nur überzeugen, einen anderen Weg einzuschlagen, wenn wir die ökologische Wende vorexerzieren. Gerade weil wir wohlhabender sind, weil das Umweltbewusstsein stärker ausgeprägt ist, weil wir über das wissenschaftliche Know-How verfügen, müssen wir Schaufenster für die grüne industrielle Revolution werden.

Aber keine Wirtschaftsmacht der Welt wird ihre Produktionsweise ändern, solange die Nachfrage nach den konventionell gefertigten Gütern groß genug ist?

Fücks: Umweltverschmutzung, verseuchte Flüsse und Bodenerosion sind gerade für die neuen Industrieländer ein bedrohliches Thema. Es hat allerdings keinen Sinn, diesen Länder einreden zu wollen, auf Wachstum zu verzichten. Das ist eine vollkommen illusionäre Vorstellung. Für diese Gesellschaften bedeutet wirtschaftliches Wachstum sozialen Fortschritt. Deshalb müssen wir alles daran setzen, die Art und Weise des Wachstums zu ändern. In China gibt es beispielsweise interessante Pilotprojekte, neue Städte CO2-neutral zu gestalten.

Zugleich leben in China noch viele Menschen unter desolaten Zuständen.

Fücks: Das ist ähnlich wie im Europa des 19. Jahrhunderts. Friedrich Engels beschreibt in seinem Bericht „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ elende Lebensverhältnisse, wie man sie heute in den Megacities der dritten Welt wiederfindet. Die Übergangphase von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft ist brutal, zumal in Gesellschaften, in denen es kaum demokratische Rechte gibt. Aber gleichzeitig entsteht eine wachsende Mittelschicht, die Lebenserwartung steigt, auch das Bildungsniveau wächst.

Der Club of Rome warnte 1972 in „Grenzen des Wachstums“, dass wir noch maximal 50 Jahre bis zum Zusammenbruch der Zivilisation hätten? Das ist jetzt 40 Jahre her.

Fücks: Das waren Szenarien, die aus den damaligen Trends hochgerechnet wurden. Sie beschrieben eine mögliche, aber keine zwangsläufige Zukunft. Seither hat sich viel getan. Zum Beispiel ist eine weltweite Umweltbewegung entstanden. Auch die Technik hat sich weiterentwickelt. Wir gehen heute sehr viel effizienter mit Ressourcen um. Die Warnungen waren berechtigt, aber zugleich haben sie alternative Entwicklungen angestoßen. Deshalb – und das ist eine Grundthese meines Buches – müssen wir nicht fatalistisch in die Zukunft schauen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in der Lage sind, die Gefährdungen, die die moderne Industriegesellschaft produziert, mit Mitteln der Moderne abzuwenden.

Junge Menschen sind aufgewachsen mit der Ermahnung zum Klimaschutz und Angst vor dem Klimawandel. Sind wir des Themas überdrüssig?

Fücks: Es ist richtig, an das Verantwortungsgefühl der Menschen zu appellieren. Wir sollten aber nicht als Moralprediger auftreten und den Leuten vorschreiben, was sie alles tun oder lassen sollen. Damit gewinnt man die Gesellschaft nicht. Wir müssen zeigen, dass in der grünen Revolution auch eine große wirtschaftliche Chance steckt. Und für die junge Generation muss ein ökologischer Lebensstil attraktiv sein.

Wie kann man es hinkriegen, das alte Öko-Klischee zu überwinden, in dem nachhaltiger Lebensstil immer mit Verzicht verbunden ist?

Fücks: Verzicht ist eine individuelle Entscheidung, nichts was Politik den Leuten vorschreiben soll. Wir müssen Wege aufzeigen, wie wir unsere Ernährung, das Wohnen und Reisen umweltfreundlich organisieren können. Ich glaube keine Sekunde daran, dass wir wirklich bereit sind, unsere Mobilität ernsthaft einzuschränken. Das „wie“ ist entscheidend. Unsere Städte müssen fußgänger- und fahrradfreundlicher werden, wir müssen mehr in öffentliche Verkehrssysteme investieren. Gleichzeitig brauchen wir eine andere Art von Autos. Das ist auch eine Antwort auf die schnell wachsende Motorisierung im globalen Maßstab.

Dieser Punkt ist schon lange bekannt. Dennoch kommt die Industrie nur langsam in Gang.

Fücks: Die Autoindustrie in Deutschland hat wertvolle Zeit verschlafen hat, aber inzwischen ist sie aufgewacht. Wir stehen noch am Anfang der Entwicklung. Die Stückzahlen für Elektroautos sind klein, die Preise hoch. Die Industrie muss weiter in Forschung und Entwicklung investieren. Zudem muss die Politik einiges tun. Staatliche Zuschüsse für Elektroautos halte ich nicht für richtig, weil wir mit den Steuern der kleinen Leute die Mittelschicht subventionieren würden. Aber Städte und Gemeinden können zum Beispiel Vorrangparkplätze für Elektroautos schaffen und Ladesäulen auf öffentlichem Grund aufstellen. Der Bund kann steuerliche Anreize für Unternehmen schaffen, ihre Firmenflotten umzurüsten. Die Politik kann eine Menge tun, damit dieser Markt in Gang kommt.

Warum sind Sie nicht in der aktiven Politik geblieben, um Dinge aktiv zu ändern?

Fücks: Das ist immer eine Frage von Gelegenheiten. Der Wechsel in die Stiftung hat für mich gepasst, und ich glaube, dass wir mit Ideenpolitik eine ganze Menge bewegen können.

Wie machen Sie selbst grüne Revolution?

Fücks: Mein wichtigster Beitrag ist, diese Ideen unters Volk zu bringen. Deshalb habe ich auch dieses Buch geschrieben, das eine Art Gebrauchsanleitung für die grüne Revolution ist.

Und ganz persönlich?

Fücks: Ich habe keinen Dienstwagen, erledige die meisten Termine mit dem Fahrrad oder der Bahn. Unser Familienhaus hat einen geringen Energieverbrauch, wir ernähren uns überwiegend biologisch. Ich mache also all das, was man im Alltag tun kann, ohne in Sack und Asche zu leben.
 


Ralf Fücks

In Heidelberg und Bremen studierte Ralf Fücks (1951) Sozialwissenschaft, Ökonomie und Geschichte. Parallel engagierte er sich in der Studentenbewegung und in der außerparlamentarischen Opposition. 1982 schloss sich Fücks den Grünen an. 1989/90 wurde er als Co-Vorsitzender in den Bundesvorstand der Partei gewählt. Kurz Darauf, 1991 wurde er in Bremen Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz sowie zweiter Bürgermeister in der Bremer „Ampelkoalition“. Sie zerbrach 1995. Seit 1996 leitet Ralf Fücks die Heinrich-Böll-Stiftung. Im Februar 2013 erschien sein Buch „Intelligent Wachsen – Die grüne Revolution“ im Hanser Verlag.

 
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