Viel war erwartet worden von dieser Sondersitzung des Bundestags-Sportausschusses zum Thema Doping. Es gab ja auch genügend Fragen nach der Studie „Doping in Deutschland“. Vorneweg: Die rund dreieinhalb Stunden am Montag im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus waren eine Farce. Und am Ende blieb, auf einem Tisch sitzend, eine stille Beobachterin zurück. Claudia Lepping (45) war einst Leistungssportlerin, in den 80er Jahren eine Sprinterin der deutschen Spitze. Als sie zu einem Klub nach Nordrhein-Westfalen wechselte, boten ihr die Trainer an, Dopingmittel zu nehmen. „Wir zeigen Dir mal, warum die DDR-Mädels so schnell sind“, habe ihr der Trainer gesagt. Lepping lehnte das ab. Seitdem ist die Journalistin eine Kämpferin gegen Doping, hat die Website www.dopingalarm.de gegründet. Die öffentliche Sitzung des Sportausschusses besuchte sie aus Neugier. Ihr Fazit: „Was mich wurmt ist, dass hier keiner wissen will, was die Uhr geschlagen hat.“ Vor allem war sie über den Auftritt des für Sport zuständigen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) enttäuscht. „Seine Aussage, dass der Sportausschuss dazu da ist, den Sport zu schützen, hat bei mir den Vogel abgeschossen“, so Lepping, „der Ausschuss ist da, um die Sportler zu schützen.“
Zunächst hatte der Morgen begonnen mit einem genauso fragwürdigen wie taktischen Antrag der Ausschussmitglieder der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP. Mit ihrer Mehrheit setzen sie durch, dass es keine reguläre Sitzung wurde, sondern ein sogenanntes Anhörungsverfahren. Demnach hatte jede Fraktion nur eine auf die Sekunde terminierte Redezeit, auch den aus der gesamten Bundesrepublik angereisten Fachleuten wie etwa dem Doping-Experten Gerhard Treutlein blieben nur wenige Minuten für ihre Ausführungen. Es durften nur Fragen gestellt werden, eine Diskussion der Studienergebnisse konnte sich aufgrund der geänderten Verfahrensform gar nicht entwickeln.
„Ein Skandal“, wetterte die sportpolitische Sprecherin der Grünen, Viola von Cramon. „Damit wird die Veranstaltung der Lächerlichkeit preisgegeben“, so Martin Gerster (SPD). Sie waren genauso vom Antrag der Koalition überrascht worden wie die Vorsitzende des Sportausschusses, Dagmar Freitag (SPD). „Wir haben hier durch das Verhalten der schwarz-gelben Kollegen eine große Chance verpasst“, sagte Freitag, die ihre Wut darüber kaum unterdrücken konnte. Den eingeladenen Experten gegenüber sei das Verhalten geradezu „unmöglich“.
Innenminister Hans-Peter Friedrich durfte die Fragestunde einläuten. Der CSU-Mann aus Oberfranken hangelte sich mit Allgemeinplätzen über die Zeit, wurde nicht verbindlich. Die Frage nach der Vernichtung dopingbezogener Akten beantwortet er so: Die Aufbewahrungsfristen seien eingehalten worden. Dann dankte er dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der in Vertretung seines Präsidenten Thomas Bach mit Generaldirektor Michael Vesper vor Ort war, für die Einrichtung einer Kommission, die die Studie bewerten soll.
Nachdem durch Aussagen seines Parteichefs Horst Seehofer in dieser Zeitung („Ich bin für ein Anti-Doping-Gesetz“) die Diskussion über den rechtlichen Umgang mit Doping hochgekocht war, hat der Innenminister eine eigene Expertenrunde installiert. Am 26. September will er über ein mögliches Gesetz beraten. In der Sondersitzung machte er aber auch deutlich: „Wir brauchen keine Gesetze, die die Sportgerichtsbarkeit schwächen.“ Klaus Riegert (CDU) ergänzte: „Die Fraktion legt großen Wert auf die Autonomie des Sports.“
Erregt erwiderte Viola von Cramon in ihrer Redezeit: „Was brauchen wir denn noch für Beweise, bis wir handeln?“ Insgesamt vermittelte die Mehrheit aus der schwarz-gelben Allianz im Anhörungssaal 3 den Eindruck, als habe sie die Studie nicht gelesen. Lutz Knopek (FDP) etwa schweifte weit vom Thema ab, fabulierte über die Reinheit von Stoffen in Garagenlabors, und überhaupt schien den Liberalen nicht an einer Aufarbeitung der Dopingpraktiken in den 70er Jahren gelegen zu sein: „Ich finde das nicht glücklich“, sagte sein Parteikollege Joachim Günther, damals habe es eben eine andere Mentalität gegeben. Alle hätten mitgemacht und „alle haben sich doch mit den Siegern gefreut“. Zuständiger Innenminister in der angesprochenen Ära war sein Parteikollege Hans-Dietrich Genscher.
„Dieser Tag hat meine These bestätigt: Der Sport muss Aufarbeitung noch lernen“, sagte Giselher Spitzer. Als Leiter der Berliner Forschergruppe der Humboldt-Universität war er einer der geladenen Experten – und er sah sich teils massiven Angriffen ausgesetzt. Der Sportmediziner Klaus Braumann etwa, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat, findet, die Bewertungen der Studie seien „zu kurz gesprungen“. Vieles, was in der Studie vorkomme, bewerte er gar nicht als Doping. Spitzer konterte hinterher: Er habe Verständnis dafür, dass ein Sportmediziner Probleme damit habe, die Dopingvergangenheit seiner eigenen Zunft zu diskutieren.
Und nun? Dopingexperte Gerhard Treutlein findet, „dass über Jahrzehnte die Selbstreinigungskräfte des Sports, vor allem der Sportfachverbände versagt haben“. Und er hat eine Befürchtung: Nämlich die, „dass in zehn oder 20 Jahren wieder eine Kommission zusammensitzt, die darüber diskutiert, welche Maßnahmen 2013 hätten getroffen werden können“.
Claudia Lepping findet, die Athleten werden wieder alleine gelassen. „Wir haben hierzulande noch immer eine regelrechte Dopingkultur“, sagt sie, „durch das Internet war es nie leichter als heute, an die Mittel heranzukommen“. Es gehöre enorm viel Mut und Kraft für einen Spitzenathleten dazu, aus dem System auszubrechen. „Ich hoffe, dass wir junge Sportler dazu kriegen, stark zu sein und sich diesen Bedingungen zu widersetzen.“ Dass sich der Sport alleine nicht helfen kann, ist ihr aus ihrer persönlichen Geschichte klar. Als sie ihren damaligen Trainer wegen Dopings belangte, trat er aus dem Verein aus und entzog sich so der Sportgerichtsbarkeit, erzählt sie. „Wir mussten ihn verklagen.“