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BERLIN
Eine Autokanzlerin ohne Benzin im Blut
Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 13.09.2017 03:28 Uhr

Golf II, weiß, Dreitürer, 70-PS-Benziner – Angela Merkels erster Westwagen ist ein typisches Vernunftauto, bescheiden, ohne Schnickschnack. 1990, als sie den VW kauft, ist die heutige Bundeskanzlerin stellvertretende Sprecherin der letzten DDR-Regierung, steht ganz am Anfang ihrer politischen Laufbahn. Als ihr Entdecker gilt übrigens der CDU-Politiker Hans-Christian Maaß, später Lobbyist in der Autoindustrie. Auffallend viele gut vernetzte Expolitiker kümmern sich auf Seiten der Autobauer um den Kontakt zur Regierung.

Wie Matthias Wissmann, als CDU-Verkehrsminister Merkels Kabinettskollege unter Helmut Kohl. Wenn Wissmann als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie Anliegen hat, schreibt er, so heißt es, an die „Liebe Angela“. Die heute in schwer gepanzerten Limousinen von Mercedes, Audi oder BMW chauffiert wird.

Hunderttausende Arbeitsplätze hängen vom Auto ab

Wie ihre Amtsvorgänger weiß Merkel um die enorme Bedeutung der Autoindustrie. Vom Aushängeschild der deutschen Wirtschaft hängen bis zu 900 000 Arbeitsplätze ab. Nicht aus PS-Begeisterung, aus Vernunft und Verantwortungsgefühl ist sie von Anfang an auch Autokanzlerin. Im Schulterschluss mit den Konzernchefs kurbelt sie etwa mit der Abwrackprämie den Absatz an. Setzt sich auf Europa-Ebene gegen allzu strenge Abgaswerte ein oder legt Förderprogramme für mehr Elektromobilität auf. Keine andere Branche dürfte einen auch nur ähnlich guten Zugang zur mächtigsten Frau im Land haben.

Doch seit bekannt ist, dass die von ihr so gehätschelten Konzerne bei den Abgaswerten von Millionen Dieselautos dreist betrogen haben, scheint Angela Merkel tief enttäuscht. Wenn sie davon spricht, dass zu Marktwirtschaft auch Ehrlichkeit gehört, ist das im verquasten Merkel-Sprech nichts anderes als der Vorwurf der Lüge. Immer wieder klingt Merkels Entsetzen durch über das Maß an Glaubwürdigkeit, das im Dieselskandal verspielt wurde. Und immer deutlicher wird, wie tief die Sorgen der Kanzlerin um die Zukunft des gesamten Industriezweigs sind.

Merkel, die rationale Physikerin, verfolgt genau, wie sich die Autowelt verändert. Und sieht Signale, die sie massiv beunruhigen. Die immer schneller voranschreitende Entwicklung von autonom fahrenden Autos, bei denen ausländische Konzerne den Ton angeben. Oder den Hype um die Autos von Tesla, der US-Hersteller von Elektroautos.

Bei einem weiteren Dieselgipfel wird ein Machtwort erwartet

Gleichzeitig stellen viele Länder – etwa China, ein Megamarkt – die Weichen für ein Auslaufen von Wagen mit Verbrennungsmotor. In deutschen Innenstädten drohen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge. Die will Merkel unbedingt verhindern, aus Rücksicht auf Arbeitsplätze und Dieselfahrer. Doch klar ist, dass die Kanzlerin mit den mageren Ergebnissen des Dieselgipfels massiv unzufrieden ist. Bei einem weiteren Spitzentreffen will sie ein Machtwort sprechen.

Das bedeutet sicher nicht, dass Angela Merkel Maßnahmen ergreifen wird, die der Industrie insgesamt schaden oder die Arbeitsplätze vernichten. Doch mit der Gutgläubigkeit gegenüber Tricksereien dürfte es vorbei sein. Merkel wird den Autokonzernen womöglich weit schneller als erwartet einen klaren Kurs vorgeben. Die Energiewirtschaft hat das schon erlebt. Sie wähnte sich noch in bestem Einvernehmen mit der Bundesregierung, als das endgültige Aus für die Kernenergie in Deutschland kam.

Die Autoindustrie, die nicht trotz, sondern wegen der allzu lange von der Politik gewährten Narrenfreiheit ins Schlingern geraten ist, hat einen Weckruf bitter nötig. Den Autobossen dräut, dass die „liebe Angela“ ihre Faxen dicke hat. Merkel darf ihre Rolle als Autokanzlerin nicht ablegen – muss sie aber neu definieren. Nüchterner, skeptischer, leidenschaftslos. Das dürfte ihr nicht schwerfallen. Wer sich privat für einen Brot-und-Butter-Golf entscheidet, hat sicher kein Benzin im Blut.

 
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